„Der härteste Feind“
Nach den letzten aufrüttelnden Zahlen über Suizide bei Soldaten setzt die US-Army auf Michael Kubek. Der renommierte Neurowissenschaftler von der Indiana School of Medicine ist führend in der Erforschung der Zusammenhänge von Suizidgedanken und neurochemischen Vorgängen im Gehirn. In drei Jahren soll er nach den Wünschen der Army einen Anti-Suizid-Nasenspray entwickelt haben.
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Drei Millionen Dollar (2,4 Mio. Euro) über drei Jahre hinweg stellt die Armee dem Forscher und seinem Team zur Verfügung. Kubek kann auf umfangreiche Vorarbeiten in dem Feld aufbauen. Seine Forschergruppe hat in Zusammenarbeit mit Kollegen von der Purdue-Universität und der Hebräischen Universität in Jerusalem herausgefunden, dass das Hormon Thyreoliberin (TRH) eine maßgebliche Rolle bei der Suizidverhinderung spielt. Das Problem daran: Man kann TRH bisher nicht ins Gehirn transportieren.
Spray soll „Blut-Hirn-Schranke“ überlisten
Das Gehirn ist für Medikamente schwer zu erreichen. Dafür ist die „Blut-Hirn-Schranke“ verantwortlich. Sie hat eine Schutzfunktion, indem sie das Eindringen von potenziell toxischen Substanzen in das Organ verhindert. Vermehrt setzen Wissenschaftler rund um die Welt deshalb nun auf die Idee, Wirkstoffe über nanotechnologisch wirksame Sprays in das Gehirn zu transportieren. Die deutsche Max-Planck-Gesellschaft testet etwa bereits einen Spray gegen Panikattacken an Mäusen.
Der Armee-Forschungsauftrag dient laut Kubek der Finanzierung der Endphase der Forschungen. Dass TRH „anti-depressive Effekte hat und recht schnell wirkt“, wisse man bereits seit den 70ern, so Kubek gegenüber dem Onlinenachrichtenportal „The Daily“. Bisher habe man TRH allerdings nur durch Lumbalpunktion in Spitälern verabreichen können. Nun habe man mit der Nasenspray-Idee jedoch einen anderen Weg „herausbekommen, wie wir es bis ins Gehirn schaffen können“.
Als „Soforthilfe“ gedacht
Das Militär hilft Kubek nun laut dessen Aussagen beim Beweis „an menschlichen Patienten, dass das wirklich Leben retten kann“. Der TRH-Spray soll dabei als Soforthilfe fungieren, bis eine psychopharmakologische Behandlung - üblicherweise vier bis sechs Wochen nach Beginn der Medikamenteneinnahme - greift. Genau der Umstand, dass die Armee das Problem „wegmedikamentieren“ will, ist aus der Sicht von Betroffenen allerdings ein Teil des Problems.
Die Organisation Tragedy Assistance Program for Survivors (TAPS) zur Unterstützung von Militärangehörigen und ihren Familien sieht als Hauptgrund der erschreckend hohen Suizidzahlen in der Armee, dass das Problem unter den Tisch gekehrt werde. Es gebe zu wenig Betreuung - und wenn, dann oft „zu spät“. Betroffene würden psychische Belastungen aus Scheu vor der Reaktion von Kollegen und Vorgesetzten meist nicht eingestehen. Auch eine medikamentöse Option würde daran wenig ändern.
Revolution bei Psychopharmaka?
Der zuständige Armeegeneral Austin J. Loyd vertraut dennoch auf „intelligente“ Methoden zur Vermeidung menschlicher Tragödien. „Suizid ist der härteste Feind, mit dem ich es in 37 Jahren Armee zu tun bekommen habe. Trotzdem glaube ich, dass Suizid vermeidbar ist“, erklärte er nach der Präsentation der jüngsten Zahlen dazu. Im Juni lag laut offiziellen Angaben die Zahl von US-Soldaten, die den Freitod wählten, erstmals in der Geschichte über der Zahl der Gefallenen - Tendenz steigend.
Kubek betont jedoch, seine Forschungen seien „weit von einer Lösung nur für Soldaten entfernt“: „Wenn das funktioniert, werden wir eine ganz neue Art von Arzneimitteln haben.“ Kubek selbst hat auch Forschungen dazu angestellt, wie Epilepsie-Attacken mit Nasensprays verhindert werden könnten. Jüngste Forschungen anderer Institutionen haben belegt, dass TRH auch bei bipolaren Störungen und Depressionsschüben eine Rolle spielt. In Österreich nehmen sich aus statistischer Sicht jeden Tag mehr als drei Menschen das Leben.
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