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Sekte fordert Kinder zurück

Eine russische Sekte hat mit mehr als 20 Kindern jahrelang ohne Sonnenlicht, Heizung und Strom in einem unterirdischen Bunkersystem gelebt. „Die Kinder sind nie zur Schule gegangen und waren kaum über der Erde“, teilten die Behörden Anfang August in der Stadt Kasan der Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ zufolge mit.

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„Sie waren schmutzig, trugen Lumpen und wurden nie von Ärzten untersucht“, so die Behörden. Die rund 70 Mitglieder lebten mehr als zehn Jahre in den zellenartigen Wohnräumen, die bis zu sieben Stockwerke tief unter die Erde gebaut worden waren. Die Wolga-Stadt Kasan liegt rund 800 Kilometer östlich von Moskau.

Karte zeigt Russland und die Stadt Kasan

APA/ORF.at

Kinder sollen in Waisenhäuser

Die Kinder sind laut Medienangaben zwischen 18 Monate und 17 Jahre alt. Sie kamen in Kliniken und sollen dann in Waisenhäusern betreut werden, wie der Kinderschutzbeauftragte der Regierung, Pawel Astachow, der Agentur RIA Nowosti sagte. Die Behörden in der muslimisch geprägten Teilrepublik Tatarstan ermitteln gegen den 83 Jahre alten Sektenanführer Faisrachman Satarow, weil er „das Recht in die eigene Hand genommen hat“. Den Eltern drohen Verfahren wegen der Misshandlung Schutzbefohlener. Festgenommen wurde laut Behörden bisher niemand.

Satarows Anhänger drohen der „Komsomolskaja Prawda“ zufolge, den Weltuntergang heraufzubeschwören, falls ihnen die Behörden ihre Kinder nicht zurückgeben. Auch gegen den angekündigten Abriss des illegal gebauten Hauses Satarows kündigten sie Widerstand an. Die selbst ernannten „Faisrachmanisten“ hätten sich bereits 2001 von der Außenwelt abgeschottet, berichtet die Zeitung. Der Grund war angeblich durchaus weltlich: Die Gemeinschaft habe hohe Schulden gehabt.

Auf dem von Mauern umgebenen Gelände nahe einer Bahnstrecke steht eine kleine Moschee. Zudem verfüge die Sekte über eine Dieselstation und sogar eigene Brunnen. Die Frauen hätten ihre Kinder auf dem Gelände geboren. Unterricht gab der selbst ernannte Prophet Satarow. Seine Anhänger durften - bis auf wenige Ausnahmen - das Gelände nicht verlassen und keinen Kontakt zur Außenwelt aufnehmen.

Durch Zufall entdeckt

Satarow erklärte sich Medien zufolge Ende der 1980er Jahre zum Propheten. Nachdem er 1996 das etwa 700 Quadratmeter große Gelände am Stadtrand von Kasan gekauft hatte, befahl Satarow seinen Gefolgsleuten, dort das unterirdische Zellensystem zu errichten. Die Behörden waren auf den Fall aufmerksam geworden, als ein Spezialkommando wegen Ermittlungen in einem Mord an einem muslimischen Geistlichen das Gelände stürmte. Der Verdacht bestätigte sich zunächst nicht.

Der Fall erinnert an ein Drama nahe der russischen Stadt Pensa, wo sich Ende 2007 etwa 30 Mitglieder einer Weltuntergangssekte, darunter auch Kinder, in ein unterirdisches Tunnelsystem zurückzogen. Erst nach Monaten kamen die letzten Anhänger heraus. Experten erklären den Boom von Sekten nach dem Zerfall der Sowjetunion vor gut 20 Jahren mit der Orientierungslosigkeit vieler Menschen. Vor allem Sekten hätten dieses ideologische Vakuum gefüllt.

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