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Warnung vor Sicherheitsmängeln

Im westindischen Bundesstaat Maharashtra entsteht laut Medienangaben das weltweit größte Atomkraftwerk. In Jaitapur rund 400 Kilometer südlich von Mumbai wurde letztes Jahr mit dem Bau des 9.900-Megawatt-Kraftwerks begonnen. Mitte Juli dieses Jahres wurde der Kantinenbereich offiziell eröffnet. Die indische Regierung hatte das AKW-Projekt Ende 2010 unter strengen Auflagen genehmigt.

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Umweltschützer und Bürgerrechtler protestieren seit Jahren gegen den Kraftwerksbau in dem erdbebengefährdeten Gebiet. Nach der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima I hatten die Gegner des Großprojekts ihre Protestaktionen ausgeweitet und weitere Argumente gegen das Prestigeobjekt vorgelegt.

Per Gesetz aus Kolonialzeit enteignet

Immer wieder kam es zu größeren Protestaktionen. Durch Festnahmen sollten laut einem Bericht des Monatsmagazins „Le Monde diplomatique“ die Gegner des AKW eingeschüchtert werden. Schon in der Vergangenheit hatten die Pläne unter der örtlichen Bevölkerung für Proteste gesorgt. Seit mittlerweile rund fünf Jahren kämpfen Aktivisten gegen das Projekt.

Das Versprechen, dass der Bau neue Arbeitsplätze schaffen werde, wurde überwiegend mit Skepsis aufgenommen. Die aufstrebende Wirtschaftsmacht Indien bezieht derzeit drei Prozent ihres Stroms aus Atomkraft. Die Regierung möchte den Anteil bis 2020 verdoppeln und bis 2030 auf 13 Prozent steigern. Die sechs Reaktoren mit einer Leistung von je 1.650 Megawatt werden vom französischen Areva-Konzern geliefert.

Die Befürchtungen

Die Bevölkerung in Jaitapur ist aus mehreren Gründen mehr als skeptisch dem AKW-Projekt gegenüber, das die Regierung mit allen Mitteln durchsetzen will. Sie sind laut dem Monatsmagazin der Überzeugung, dass das AKW nichts mit ihren Bedürfnissen zu tun habe. Auch stelle das AKW ein nicht vertretbares Risiko dar, so die Ansicht der Aktivisten. Selbst im Normalbetrieb bestehe die Gefahr von radioaktiven Emissionen. Und auch ein katastrophaler Unfall wie in Tschernobyl und Fukushima sei nicht auszuschließen. Es bestehen zudem Befürchtungen, dass der im Kraftwerk produzierte radioaktive Müll an Ort und Stelle gelagert werden soll und auf unabsehbare Zeit die Gesundheit der Bevölkerung gefährden würde.

Widerstand gegen das Projekt ist „die einzige Möglichkeit, Leib und Leben zu retten“, zitiert die Monatszeitschrift einen Aktivisten. Indien importiere einen Reaktortyp „der nirgendwo zugelassen ist und bei dem die Aufsichtsbehörden Finnlands, Großbritanniens und selbst Frankreichs in mehr als 3.000 Punkten Sicherheitsbedenken angemeldet haben“, so ein Sprecher der Aktivisten.

„Gefährlich auch im Normalbetrieb“

Auch der ehemalige Vorsitzende der in Indien mit der Sicherheitsüberwachung ziviler Atomanlagen betrauten Aufsichtsbehörde AERB, A. Gopalakrishnan sieht das Kraftwerk aus technischen Gründen sehr kritisch. Der Reaktotyp produziere viel mehr gefährliche Radionuklide als andere Reaktoren. Das habe negative Folgen für die Sicherheit der Brennstäbe und im Falle des Austritts von Radioaktivität für die menschliche Gesundheit. Die Sicherheitsprobleme seien offenbar gravierend, so Gopalakrishnan gegenüber „Le Monde diplomatique“.

Immer wieder Erdbeben

Jaitapur liegt in einer seismologisch kritischen Zone der Kategorie IV. Das bedeute, dass hier Erbeben bis Stärke sieben auf der Richterskala für möglich gehalten werden, wie die Monatszeitschrift schreibt. „Allein in den letzten zwanzig Jahren wurde die Region von drei Erdbeben der Stärke fünf und darüber erschüttert“, wird die Umweltorganisation Greenpeace zitiert. Unklar sei auch, ob die NPC den Reaktor durch irgendwelche Baumaßnahmen „erdbebensicherer“ gemacht habe.

Die Lokalregierung in dem Bundesstaat versuchte den Widerstand etwa auch dadurch zu brechen, dass sie die beiden dort ansässigen Religionsgruppen der Hindus und Muslime gegeneinander auszuspielen versuchte. Insbesondere werde versucht, die religiösen Führer und Prediger zu vereinnahmen, wie es heißt. Auch untersagte die Regierung prominenten AKW-Gegnern aus anderen Landesteilen, die Gegend zu besuchen und damit ortsansässige AKW-Gegner zu unterstützen.

Auch für angeschlagenen Konzern wichtig

Das Projekt ist offenbar nicht nur für die indische Regierung von großer Bedeutung. Auch für das Überleben des angeschlagenen französischen AKW-Konzerns Areva sei Jaitapur wichtig, so Vivek Monteiro, Physiker und Aktivist aus Mumbai. Er hat sich laut „Le Monde diplomatique“ eingehend mit dem Konzern beschäftigt. „Areva steckt tief in der Krise und benötigt eine gewaltige Kapitalspritze.“ Sollte Jaitapur durchfallen, würde sich diese Krise verschärfen.

Die Pläne Indiens und auch Chinas, ihre Atomkraft verdrei- oder gar vervierzufachen, gelten auch als entscheidend für die Zukunft der AKW-Industrie. Sollten sich diese Pläne zerschlagen, würde sich der Niedergang der globalen Atomindustrie beschleunigt fortsetzen, so „Le Monde diplomatique“.

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