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Zumindest mutig

Als vielleicht letzter verbliebener globaler Superstar hat man es wirklich nicht leicht. Da reist man mit über 70 Lastwagen durch die Welt, steckt „Herz und Seele“ in jede Show - und dann erfüllt das Publikum seine „Pflicht“ nicht, für gutes Karma und „positive Energie“ zu sorgen. Diese Erfahrung musste Madonna zuletzt wohl öfter machen - auch am Sonntag in Wien.

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Im Wiener Happel-Stadion zeigte sich Madonna auch ziemlich sauer über das undankbare Pack. Vor wenigen Tagen war sie in Paris nach einem kurzfristig angesetzten Clubkonzert ausgebuht worden, nachdem nach 45 Minuten Schluss war. Das seien keine Fans gewesen. Und überhaupt gibt sie ja immer alles.

Enormer Aufwand

Darauf musste man am Sonntag in Wien ganz schön lange warten, mit über einer Stunde Verspätung ging es los. Schon bei der ersten Nummer war klar. Da wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen: eine Bühne mit allerlei Hebeschnickschnack, riesige Leinwände, Dutzende Tänzer und vor allem ein wummerndes Discoinferno, das seinesgleichen sucht. Der üble Verdacht: Was der Song nicht hergibt, wird mit größenwahnsinnigen Nebensächlichkeiten wettgemacht.

Madonna

ORF.at/Dominique Hammer

Kostümwechsel en masse - Madonna zwischen Cheerleader und Marching Band

Dass Madonna bei ihrer Tour einen Großteil des neuen Albums „MDNA“ ins Programm aufgenommen hat, ist ja prinzipiell nicht unsympathisch. Reine Best-of-Shows haben schließlich den Beigeschmack der Retro-Abzocke für die Pensionsvorsorge. Nur: Angesichts der Songs ist die Setlist der Tour ein bisschen übermütig. Denn die geben wenig her.

Clubsound als Verhängnis

Überhaupt war es vielleicht nicht die beste Karriereentscheidung, sich vor einigen Jahren Richtung Clubsound zu bewegen. Da war das Vorgängeralbum „Hard Candy“ trotz Federführung der US-Tausendsassas The Neptunes schon gefährlich nah am Abgrund. Für „MDNA“ holte sich Madonna die europäischen House- und Electro-DJs Benny Benassi und Martin Solveig ins Boot. Letzterer durfte dann die ganze Tour lang und auch in Wien als Einheizer mit Stirnband Madonna-Remixe auflegen, die Hände in die Höhe werfen und das Publikum von der Bühne aus mit seinem iPhone fotografieren.

Optik statt Akustik

Hin und wieder, in einzelnen Strophen einiger „MDNA“-Songs, blitzen die Popqualitäten Madonnas durch, ehe die allesamt enttäuschenden Refrains wieder vom wummerden Euro-Disco-Sound niedergedröhnt werden. Der Weg von Ibiza - zu Recht eine Insel - in die Dorfdisco ist kurz. Die Trash-Ballerei und die durch den Vocoder-Wolf gedrehte Stimme, das hat man alles schon gehört.

Wo Madonna sich früher selbst immer wieder neu erfunden und Trends gesetzt hat, hinkt sie jetzt hinterher. Und irgendwie ließ das auch in Wien das Publikum musikalisch recht kalt. Immerhin gab es genug zu sehen. Bei „Gang Bang“ schießt sie im Quentin-Tarantino-Stil etliche Typen in Skimasken nieder. Das sei übrigens ironisch gemeint, sagt sie.

Abschied vom Popsong

„MDNA“ schoss zwar sofort an die Spitze der US-Billboard-Charts - aber nur dank der Kopplung von Album- und Ticketverkauf. Schon in der zweiten Woche stürzte es auf Platz 24. Schon nach neun Wochen fiel „MDNA“ aus den Top 200. Ganz ähnlich erging es der Platte in Großbritannien. Nach Platz eins fiel sie schon in der dritten Woche aus den Top Ten. In den österreichischen Charts war das Album nur vier Wochen in den Top 75 vertreten. Die noch einigermaßen gefälligen Popsongs „Beautiful Killer“ und "I Fucked Up“ sind recht symptomatisch als Bonustracks in der Deluxe-Version des Albums versteckt.

Spärlich gestreute Hits

Mit den alten Hits blieb Madonna zum Leidwesen des Publikums beim Konzert sparsam: „Express Yourself“ riss das Publikum erstmals nach einer guten halben Stunde aus der nachvollziehbaren Lethargie. „Like a Prayer“ mit Gospelchor bildete kurz vor Schluss den Höhepunkt der Show. Eine verwackelte Version von „Open Your Heart“ wurde musikalisch und visuell der baskischen Apfelernte gewidmet.

Madonna

ORF.at/Dominique Hammer

Madonna zeigt manchmal nur ein Knie

Ihr erster ganz großer Erfolg vor fast 30 Jahren, „Like a Virgin“, brachte in einer reduzierten Klavier- und Geigenadaption mit frappanter Ähnlichkeit zu Lou Reeds „Perfect Day“ ein bisschen Intimität ins Stadion. „No Fear“ war auf ihrem Rücken zu lesen, während sie ihren Hintern in die Bühnenkameras hielt. „Vogue“ in Überlänge gab es auch, vor allem um die körperlichen Vorzüge des Tanzpersonals zu zeigen.

Einige Nachdenkpausen

Der durchwegs weibliche Fan hatte – je nach Generationszugehörigkeit - die beste Freundin von heute oder damals, als Madonna fürs Leben wichtig war, mitgebracht. Oder die Mama. Oder die Tochter. Oder den Menschen mit aktuell verstärkter sozialer Interaktion. Der schien dann häufig mit der Zeit eher nachdenklich zu werden und einen verstärkten Drang Richtung Bar oder geistigen Rückzugs zu verspüren.

Tatsächlich boten die vor allem mit männlichem Ausdruckstanz überbrückten Umziehpausen der Frau Chef genügend Zeit, sich den wirklich wichtigen Fragen des Lebens zu widmen: Wieso hieß das synchrone Rumhopsen auf der Bühne, ohne das heute kaum ein US-Pop-Act auskommt, früher eigentlich Jazz-Dance? Wäre die Welt eine bessere, wenn in den 80er Jahren (die auch im Konzert-Opener „Girl Gone Wild“ zitierte) Cyndi Lauper und nicht Madonna das Rennen um den Thron der Queen of Pop gewonnen hätte? Wie wohl der heutige „Tatort“ gewesen sein mag?

Politik als PR-Maschine

Überhaupt läuft das derzeit nicht so rund auf dem Planeten Madonna. Auch die Tour verkaufte sich zögerlich. Sex, Religion und Gewalt, die bestimmenden Themen der Show, hatte Madonna schon in den 80er und 90er Jahren bedient. Nur mittlerweile müssen für Tabubrüche schon schwerere Geschütze herhalten.

In Istanbul entblößte sie eine Brust – aus Protest gegen ein damals geplantes verschärftes Abtreibungsgesetz, wie manche später wissen wollten. Und die französische Front-National-Chefin Marine Le Pen mit Hitlerbärtchen herzuzeigen heißt wohl, dass Politik offenbar der Weg zur Aufmerksamkeit ist. Le Pen bedankte sich artig mit einer Klage, PR für alle.

Das Echo grüßt zurück

Auch in Wien verlief der Vorverkauf schleppend. Rund 30.000 Besucher wurden es schließlich. Damit füllt man dann das Happel-Stadion einigermaßen, wenn man die Bühne an die Längsseite stellt und die Hälfte der Sitzreihen unbrauchbar macht. Doch nicht alles geht vorbei, vieles kommt wieder: Die gegenüberliegende Tribüne des Ovals fängt den Sound und schickt ihn teilweise zurück. Vor allem für die hinteren Stehplätze hieß das dann: Doppelt hallt nicht besser.

Madonna

ORF.at/Dominique Hammer

Der weite Blick nach vorne

Madonna wurde zum Superstar, weil sie sich ständig neu erfand: konstruierte und dekonstruierte Identitäten und wechselnde Images, immer neu, immer anders. Und gleichzeitig musikalisch auf der Suche nach Nischen, die sie in den Mainstream brachte. Das und ihre Vorreiterrolle als – wenn auch kontrovers diskutiertes - popfeministisches Role-Model sind bei ihrer Bedeutung für Pop durch wenig kaputtzubekommen.

Stolpern darf einmal sein

Insofern hat Madonna vielleicht jetzt gerade eine schwache Phase. Nicht nur bei der Entscheidung, in welche Poprichtung es gehen soll. Bei ihrem Auftritt wirkte vieles hölzern und trotz ganz viel Übens der Tanzeinlagen der strikt geplanten Show merkwürdig unbeholfen. Das sieht dann nach schwerer Arbeit aus, nicht nach Spaß. Doch wer in der Popwelt kann schon über Jahrzehnte die Qualität halten? Madonnas ein bisschen zwanghaft scheinende Suche nach ewiger Jugend geht vielleicht einmal vorbei.

Erfolg und Misserfolg hin oder her. Schließlich sind Hitparaden auch nicht mehr die Währung für Relevanz: Das „Best of“-Album der deutschen Schlagersängerin Andrea Berg hält sich seit mehr als 500 Wochen mehr oder weniger ununterbrochen in den heimischen Album-Charts. Heutzutage ist vielleicht die Anzahl der von der versammelten Facebook-Freundschaft geposteten Handyfotos eines Events der neue Gradmesser eines Ereignisses. In diesem Sinne war das Madonna-Konzert ungefähr halb so gut wie der derzeit täglich auftretende, aber wirklich völlig spektakuläre Regenbogen über Wien.

Christian Körber, ORF.at

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