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Akte 705 JS 33247/87 ungelöst

Am 12. September 1987 begann im spätsommerlich-beschaulichen Kiel ein Politerdbeben, das bis heute nachzittert. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ prangerte den damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel (CDU) an. Unter dem Titel „Barschels schmutzige Tricks“ beschrieb das Blatt Versuche, im Landtagswahlkampf den SPD-Spitzenkandidaten Björn Engholm zu belasten.

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Gegen Engholm war anonym Anzeige wegen Steuerhinterziehung erstattet worden, Privatdetektive überwachten ihn. Organisator der Aktionen und auch Quelle des „Spiegel“ war Reiner Pfeiffer, Medienreferent bei Barschel. Der Artikel löste eine Empörungswelle aus, die am Ende die scheinbar unbesiegbare CDU-Regierung in Kiel wegspülte, Barschel das Leben kostete, Jahre später auch das ursprüngliche Opfer Engholm aus dem Amt warf und bis heute Anlass für Prozesse und Anfeindungen ist.

Einen Monat nach „Spiegel“-Bericht tot aufgefunden

Einen Tag nach der Vorabveröffentlichung an einem Samstag bringt die Landtagswahl ein Unentschieden. CDU und FDP kommen zusammen auf 37 Sitze, wie auch SPD und die Partei der dänischen Minderheit. Zunächst versucht Jurist Barschel, jede Verantwortung für die Aktionen gegen Engholm von sich zu weisen. Er gibt am 18. September sogar vor laufenden Kameras sein „Ehrenwort“, dass die Darstellungen Pfeiffers falsch seien. Doch nach und nach bricht das Lügengebäude zusammen, die meisten Angaben erweisen sich als wahr.

Am 25. September gibt Barschel seinen Rücktritt bekannt. Damit endet die beispiellose Politkarriere des glatten Juristen: Mit 25 Jahren stellvertretender CDU-Landesvorsitzender, mit 29 Fraktionschef, mit 35 Landesminister, mit 38 Ministerpräsident. Am 11. Oktober wird der Skandal zur Tragödie. Barschel wird im Genfer Hotel „Beau Rivage“ tot in einer Badewanne aufgefunden, den Körper voller Gift. Es kommt heraus, dass er sich längere Zeit von Ärzten mit starken Psychopharmaka wegen Angstzuständen versorgen ließ.

Zahlreiche Ungereimtheiten

Bis heute ist nicht endgültig geklärt, wie die verschiedenen Gifte in seinen Körper kamen. Die Familie hält an einer Mordtheorie fest, die Ermittler schließen Selbstmord nicht aus. 1998 schloss die Staatsanwaltschaft Lübeck die Akte mit dem Zeichen 705 JS 33247/87 - ohne ein endgültiges Ergebnis. Ob Mord, Sterbehilfe oder Selbstmord, die entscheidende Frage blieb unbeantwortet. Bis heute ist Geraune über Waffengeschäfte zu hören oder Verweise auf DDR-Reisen Barschels.

Auch gibt es unzählige Ungereimtheiten, die jedoch oft sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern der Mordtheorie angeführt werden. Der tödliche Giftcocktail und andere im Hotelzimmer gefundene Substanzen sprechen so laut den einen für Mord, laut den anderen für einen Suizid eines ohnehin an hohe Dosen von Psychopharmaka gewöhnten Mannes, der möglicherweise sogar einen „Mord“ inszenieren wollte, um sich an jenen zu rächen, die ihn zu Fall brachten.

Gerüchte und Verschwörungstheorien

Barschel soll Kenntnis von angeblichen Rüstungsgeschäften Israels mit dem Iran gehabt haben, die über Schleswig-Holstein abgewickelt worden seien. Gerüchteweise wollte Barschel so auch den darin verwickelten späteren CIA-Direktor und US-Verteidigungsminister Robert Gates unter Druck setzen, der sich möglicherweise in der Todesnacht in Genf aufhielt. Mehrere angebliche Mitwisser, die an die Öffentlichkeit gingen, sind unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen oder bekamen laut eigenen Aussagen Morddrohungen.

Auch Engholm stolperte über Affäre

Aus der schleswig-holsteinischen Wahl 1988 ging jedenfalls Engholm als strahlender Sieger und neuer Superstar der SPD hervor. Doch 1993 holte ihn der Skandal ein, jetzt unter einem neuen Namen: Schubladenaffäre. Denn die SPD hatte bei der ganzen Sache keine so saubere Weste wie angenommen. Der SPD-Minister Günther Jansen hatte in einer Schublade nach eigenen Angaben 40.000 bis 50.000 Mark in bar für Pfeiffer angesammelt und an diesen weiterreichen lassen.

Engholm musste in einem Untersuchungsausschuss eine Lüge eingestehen: Er hatte schon früher als zugegeben von Pfeiffers Machenschaften gewusst. Engholm trat am 3. Mai 1993 als Ministerpräsident und SPD-Landesvorsitzender zurück. Bei dieser erneuten Untersuchung der Vorgänge kam der tote Barschel besser weg als bei der erst Beurteilung 1987 durch einen früheren Untersuchungsausschuss. Dennoch blieb bewiesen, dass Barschel gelogen hatte und die politische Verantwortung für die Vorfälle trug.

Claus-Peter Tiemann, AP / Red.

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