Nervengift und Senfgas
Das syrische Regime hat laut einem amerikanischen Zeitungsbericht damit begonnen, Chemiewaffen aus den Lagern zu holen. Die US-Regierung sei deswegen alarmiert, berichtete das „Wall Street Journal“ („WSJ“) am Freitag.
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Unklar sei, ob das Regime von Staatschef Baschar al-Assad die Waffen vor Aufständischen in Sicherheit bringt oder diese einsatzbereit gemacht werden, womöglich auch nur als Drohgebärde, zitierte das Blatt Regierungsvertreter in Washington. In den USA zeigt man sich jedenfalls alarmiert: Es gebe Beratungen zu dem Thema, sagte ein Diplomat. Besonders besorgt sei man über die syrischen Bestände des tödlichen Nervengases Sarin.
Ein Grund mehr oder weniger für Eingriff?
Die Informationen über die Waffenumlagerung könnten einerseits die Rufe nach einem internationalen Eingreifen unterstreichen, gleichzeitig zeigen sie aber auch, wie gefährlich ein solcher Einsatz sein könnte, wenn Massenvernichtungswaffen im Spiel sind, schreibt das „WSJ“. „Das zeigt, wie komplex das ist“, sagte ein US-Diplomat. „Das Regime hat einen Plan für eine ethnische Säuberung, und wir müssen hier eine Übereinstimmung finden“, so ein zweiter Diplomat. An einem militärischen Eingriff führt aus seiner Sicht nun kein Weg mehr vorbei: „Es gibt keine diplomatische Lösung.“
Für die USA ist das Thema Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten spätestens seit dem Irak-Einmarsch, der mit dem Vorhandensein solcher Waffen begründet wurde, politisch ein extrem heißes Eisen. Stellten sich diese Information doch im Nachhinein als unwahr heraus.
Senfgas, Sarin, Phosgen
Die erstmals im Ersten Weltkrieg von deutschen Truppen eingesetzten Chemiewaffen gelten wegen einfacher und billiger Herstellung als „Atombombe des kleinen Mannes“. Es sind meist haut- oder lungenschädigende Substanzen (Phosgen und Senfgas) und Nervengifte wie Sarin und VX. Schon geringste Mengen dieser Stoffe können zur Lähmung wichtiger Körperfunktionen und einem qualvollen Tod führen.
Syrien dementiert, Weißes Haus schweigt
Die syrische Regierung dementierte die Berichte. „Das ist absolut lächerlich und unwahr“, sagte der Sprecher des syrischen Außenministeriums, Dschihad Makdissi. „Wenn die USA so gut informiert sind, warum können sie dann nicht (dem UNO-Sondergesandten) Kofi Annan helfen, den Fluss illegaler Waffen nach Syrien zu stoppen um die Gewalt zu beenden?“ Das Weiße Haus und das Pentagon kommentierte die Berichte nicht.
Große Bestände an chemischen Waffen
Syrien sei eines der Länder im Mittleren Osten, das die größten Bestände an chemischen und biologischen Waffen besitzt, schrieb die US-Zeitung. Das Land hatte ein Abkommen, das die Verwendung von Chemiewaffen verbietet, nie unterzeichnet. Syrien soll vor allem größere Mengen des Nervenkampfstoffes Sarin und Senfgas besitzen. Bei einem Zusammenbruch des Regimes von Assad plane Washington, dass Spezialeinheiten aus dem Nachbarland Jordanien die syrischen Chemiewaffenlager sichern.
Human Rights Watch: Streumunition verwendet
Zutiefst beunruhigt hat sich Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger angesichts neuester Berichte von Human Rights Watch (HRW) zur angeblichen Verwendung von Streumunition in Syrien gezeigt. „Streumunition zählt zu den grausamsten und hinterhältigsten Waffen und richtet sich direkt gegen die Zivilbevölkerung“, erklärte Spindelegger laut einer Außenamtsaussendung vom Freitag.
HRW veröffentlichte am Donnerstag erste Berichte über die angebliche Verwendung von Streumunition in der gebirgigen Region rund um die Stadt Hama. Nach Rebellenberichten werde die Region um Hama seit zumindest zwei Wochen bombardiert. Neu veröffentlichte Internetvideos zeigen nun Menschen, die mit Blindgängern von Streumunition hantieren.
1,5 Mio. Zivilisten direkt betroffen
Die humanitäre Lage in Syrien hat sich nach Einschätzung des Deutschen Roten Kreuzes in den vergangenen Wochen deutlich verschlechtert. Mittlerweile sind von den Auseinandersetzungen 1,5 Millionen Zivilisten direkt betroffen, die dringend auf Hilfe angewiesen sind, sagte DRK-Präsident Rudolf Seiters.
Deserteure drohen Soldaten
Syrische Deserteure setzen unterdessen den Soldaten der Regierungstruppen eine Frist bis Ende Juli. Wer bis dahin nicht desertiert sei und sich öffentlich der Opposition angeschlossen habe, werde als „Verbrecher“ angesehen und müsse damit rechnen, getötet zu werden, hieß es in einer Erklärung im Namen von Oberst Kassem Saadeddin, die am Freitag auf Websites der Regimegegner veröffentlicht wurde.
Davon ausgenommen seien nur Soldaten, die den Deserteuren heimlich Informationen über die Pläne und Operationen der Regimetruppen zukommen ließen. Niemand solle sich in Sicherheit wähnen: „Die Revolutionäre haben ihre Augen überall.“ Oberst Saadeddin hatte früher bereits mehrfach aus der Provinz Homs Botschaften im Namen der „Freien Syrischen Armee im Inland“ abgesetzt.
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