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Nur ein Prozent bis 2008

Gut sechs Prozent der Vogel-, Amphibien- und Säugetierarten müssten nach bisherigen Schätzungen im brasilianischen Amazonasbecken mittlerweile ausgestorben sein - weil der Regenwald dort seit vier Jahrzehnten zerstört wird. Doch bis 2008 waren gerade einmal ein Prozent tatsächlich verschwunden, berichten Biologen im Juli in der Fachzeitschrift „Science“.

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Grund für das verzögerte Artensterben sei die sogenannte Aussterbeschuld, wie das Fachblatt berichtet. Wenn der Lebensraum einer Tierart zerstört werde, dauere es einige Generationen, bis die Art vollständig verschwinde. Der brasilianische Regenwald beginne gerade erst, seine Aussterbeschuld anzuhäufen. Das Aussterben werde sich nun beschleunigen.

Fluss schlängelt sich durch Regenwald

Corbis/Frans Lanting

Das Amazonasgebiet ist für seine Artenvielfalt bekannt

Oliver Wearn vom Imperial College London hatte dafür mit Kollegen ein mathematisches Modell entwickelt. Es sagt voraus, wie schnell Wirbeltierarten in einer Region aussterben, abhängig davon, wie viel von ihrem Lebensraum verloren geht. Zunächst wurde mit dem Modell rekonstruiert, wie viel Wald zwischen 1970 und 2008 im brasilianischen Amazonasbecken zerstört und wie sehr dadurch die Artenvielfalt gefährdet wurde.

Forscher spielen vier Szenarien durch

Anschließend wurden vier Szenarien erstellt, wie es im Jahr 2050 um den Artenschwund und die Aussterbeschuld stehen könnte. Die Szenarien waren abhängig von der künftigen Entwaldung und wurden jeweils für Gitterzellen von 50 mal 50 Kilometer Größe durchgerechnet.

Das bedrohlichste Szenario: Der Regenwald wird weiter wie bisher zerstört, das heißt, fortan gehen wie im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre mindestens 28.000 Quadratkilometer pro Jahr verloren. In diesem Szenario würden 10,3 Prozent der Wirbeltierarten bis 2050 aussterben, weitere 26,9 Prozent wären gefährdet. Ein zweites Szenario geht davon aus, dass Regierungsmaßnahmen greifen, Schutzgebiete beispielsweise besser kontrolliert werden. Dann würden dem Modell nach nur 6,5 Prozent der Wirbeltierarten bis 2050 aussterben und weitere 10,6 Prozent in Aussterbeschuld stehen.

Aussterben auch bei optimistischen Schätzungen

Die zwei weiteren Szenarien sind sehr optimistisch: Das eine Mal wird angenommen, dass es gelingt, bis 2020 den jährlichen Waldverlust auf ein Fünftel des aktuellen Werts zu verringern, das andere Mal soll die Entwaldung bis 2020 vollständig gestoppt sein. Unter diesen Umständen würden nur noch 5,8 beziehungsweise 4,4 Prozent der Wirbeltierarten bis 2050 aussterben. 10,1 beziehungsweise 4,9 Prozent wären bedroht.

Brandrodung im Amazonas-Regenwald

APA/dpa/Marcelo Sayao

Die Rodungen gehen weiter

„Die vor uns liegenden Jahre bieten die Gelegenheit, Umweltschutzmaßnahmen auf die Gegenden mit der größten Aussterbeschuld zu konzentrieren. Das könnte die zu zahlende Schuld verringern“, erklären die Forscher.

Kleinen Erfolg gefeiert

Das Amazonasbecken ist das Einzugsgebiet des Amazonas, eines der längsten Flüsse weltweit. Rund 60 Prozent des Beckens liegen im brasilianischen Staatsgebiet. Das brasilianische Amazonasbecken wiederum macht etwa vier Zehntel des weltweiten tropischen Regenwalds aus. In den vergangenen Jahrzehnten wurden jedoch mehr als 810.000 Quadratkilometer Wald zerstört.

Brasiliens Regierung verkündete zwei Wochen vor Beginn des UNO-Umwelt- und Nachhaltigkeitsgipfels in Rio de Janeiro Anfang Juni den historisch niedrigsten Stand bei der Regenwaldabholzung. Danach wurden von August 2010 bis Juli 2011 rund 6.400 Quadratkilometer Regenwald zerstört und damit acht Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum 2009/2010. „Ich habe die Ehre, die niedrigste Abholzungsrate des Amazonas-Gebietes in seiner Geschichte zu verkünden“, sagte Umweltministerin Izabella Teixeira damals.

Abholzung wieder dramatisch zugenommen

Nach Angaben von Staatspräsidentin Dilma Rousseff handelte es sich im Zeitraum von August 2010 bis Juli 2011 um den niedrigsten Stand seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen 1988 durch das staatliche Institut für Weltraumforschung (INPE). Die höchste Rate wurde im Jahr 2004 registriert, als 27.000 Quadratkilometer Regenwald in Brasilien der Motorsäge oder dem Feuer zum Opfer fielen.

Im ersten Quartal 2012 hat die Abholzung allerdings wieder dramatisch zugenommen. Wie das INPE unter Berufung auf Satellitenbilder im April mitteilte, war die zwischen Jänner und März 2012 abgeholzte Fläche dreimal so groß wie die im Vorjahreszeitraum. Während die Pflanzenwelt damals auf 135 Quadratkilometern verloren ging, seien es nun schon 388 Quadratkilometer gewesen. Am schwersten betroffen war der Regenwald von der Abholzung demnach im zentralbrasilianischen Bundesstaat Mato Grosso, wo viele Rinderzüchter und Sojaproduzenten leben.

Präsidentin stellt sich gegen „Rodungsgesetz“

Brasilien ist der weltgrößte Exporteur von Soja und Rindfleisch. Die Waldzerstörung wird in Brasilien für nahezu zwei Drittel der klimaschädlichen CO2-Emissionen verantwortlich gemacht. Brasilien will seine CO2-Emissionen bis 2020 drastisch reduzieren und die Waldabholzung dazu um 80 Prozent verringern. Rousseff hatte erst kürzlich ein Teilveto gegen die Novelle des Waldgesetzes (Codigo Florestal) eingelegt, um eine geplante Aufweichung des Waldschutzes zumindest einzugrenzen.

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