„Hofer“, Hawelka und schlechtes Bier
Eine Zeitlang hielt sich Fauser in Österreich auf, weil seine verflossene, aber von ihm noch immer verehrte Liebste ihn eingeladen hatte. Zuerst war er in Wien (im Hawelka, in diversen Beisln), dann im Waldviertel auf einem Bauernhof. Fauser und Österreich - das war keine Liebe auf den ersten Blick. Der „Hofer“ blieb ihm fremd, und er mochte das Bier nicht.
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Fauser erzählt in seinem autobiografischen Roman „Rohstoff“ über seine Zeit in Österreich. Sein Alter Ego ist Harry Gelb.
"Am Wiener Westbahnhof sprach mich eine ältere Frau in einem Trachtenmantel an. Ich verstand sie dahingehend, dass sie mir eine billige Unterkunft in einem Privatquartier anbot. Mir blieb zwar unklar, wie sie auf den Gedanken gekommen war, dass ich ein billiges Privatquartier einem Hotelzimmer vorziehen könnte - ich trug Sakko, Schlips, gebügeltes Hemd und hatte einige hundert Mark dabei -, aber aus Neugier ging ich mit ihr. Sie sah auch aus, als ob sie das Geld dringend brauchte, vielleicht für eine Operation, und bekanntlich fing ja in Wien der Balkan an. Wir fuhren eine längere Strecke mit der Bahn und hatten dann noch ein Stück zu Fuß. Es war ein milder, sonniger Tag im April. Manchmal blitzte das Licht zwischen den jungen Trieben in den Bäumen wie Gold. Das war also Wien, dort lag das Schloss Schönbrunn. Als ich in der muffigen Wohnung mit den Versandhausmöbeln stand, wurde mir klar, warum die gute Frau sie so billig vermietete. Auf der Schönbrunner Landstraße donnerten die Lastwagen unablässig bergab und bergauf. Die Fenster bebten.
Ich fuhr in die Innenstadt und setzte mich in ein Cafe. Das war also die Wiener Kaffeehausatmosphäre. Bier gab es nur in Flaschen, und das was herausfloss, schmeckte eher wie Limonade. Nun, immerhin war ich in Wien. Wieder eine neue Stadt. Und ich war mit Sarah verabredet. Im Winter hatten wir gelegentlich korrespondiert. Sie lebte jetzt auf dem Land, in der Nähe von Zwettl, Niederösterreich. Warum und wovon, blieb unklar, aber es gab anscheinend einen Arzt, der da ein Häuschen hatte. Sarah pries das Landleben. Sie hatte ja schon immer eine Schwäche dafür gehabt. ‚Ich habe mir die Haare hennarot gefärbt, und die alten Frauen glauben, ich bin eine Hexe.‘ Das mussten schon merkwürdige Frauen sein, andererseits waren Sarahs Briefe immer ein gutes Beispiel für die alte Wahrheit, dass man mit Wörtern alles und nichts sagen kann. Na fein. Ich war schon lange nicht mehr auf dem Land gewesen.
Ich spazierte durch Wien und fand das berühmte Cafe Hawelka. Alle redeten vom Hawelka, selbst in Istanbul bei den Wienern hatte es immer geheißen, ja, und neulich erst hab ich den Pepi im Hawelka getroffen, oder: Wenn du nach Wien kommst, mich findest du im Hawelka. Aha. Im Hawelka gab es die internationale Hippie-Besetzung plus lokaler Bereicherung, das Artistenvölkchen. Es war ziemlich laut, alle Leute hielten sich für bedeutend, und die Bedienung kam aus Berlin und hatte das alles dick. Das Bier war schlecht. Die Wiener Künstler hatten vielleicht keine Ader für Bier. Ich trank einen Sliwowitz. Der Sliwowitz war auch schlecht, aber zusammen mit dem schlechten Bier war er fast schon wieder gut. Wien also, habe die Ehre, Joseph Roth, Roth hatte Wien allerdings nicht besonders gemocht, nur die Idee Wien, das Ideal Wien, das Ideal Habsburg. Es war alles anders gekommen. Die Politik war ein haarsträubender Wahnsinn, andererseits war sie da, sie wurde gemacht, sie war notwendig. Zwei Menschen zusammen, das war schon Politik. Ein Hippie schnorrte eine Zigarette von mir. Ich trank noch einen Sliwowitz. In meiner Tasche hatte ich schließlich die feste Zusage eines Verlegers, der den ‚Stamboul Blues‘ im Herbst herausbringen wollte. Anatol Stern hatte das vermittelt. Es war zwar ein unbekannter Verleger irgendwo im Bayerischen, eher ein junger Mann aus dem Druckgewerbe, den es aus unerfindlichen Gründen nun auch ins Verlagsgewerbe zog - ein Buch hatte er immerhin schon gemacht -, aber wenn ‚Stamboul Blues‘ noch das gleißende Licht der Öffentlichkeit erblicken sollte, dann blieb mir wahrscheinlich nichts anderes übrig. Ede hatte ja auch in Pudding-Shops ausgestellt, und es gab ja eine lange literarische Tradition der Kleinverlage, der little mags, der bahnbrechenden Editionen abseits vom Rummel der Großbetriebe. ‚Stamboul Blues‘ würde also diese lange literarische Tradition fortsetzen. Darauf genehmigte ich mir noch einen Sliwowitz. Genaugenommen war es ja dieser junge Verleger, der die lange literarische Tradition fortsetzte. Mir wäre ein saftiger Vorschuss lieber gewesen, auch wenn das eine etwas profane literarische Tradition war. Nun, man konnte nicht alles haben. Man konnte in Wien auch nicht alles haben, man saß im Hawelka, man saß allein, war aber Autor, das Bier war schlecht, der Sliwowitz auch, zusammen waren sie gut. Eine Frau mit roten Haaren kreischte über das, was ihr bärtiger Begleiter ihr ins Ohr geflüstert hatte. Ich zahlte.
In Schönbrunn gab es billige Kneipen, die Beisln, da fühlte ich mich wohler. Das Bier war auch besser. Arbeitern durfte man mit dieser Limopisse nicht kommen. Andererseits kam man ihnen ja mit allem anderen auch, vor allem damit, dass sie die Welt verändern müssten. Das heißt, sie selbst sollten sie nicht verändern, aber sie sollten denen, die das vorhatten, an die Hand gehen, als Killer und Kanonenfutter. Die Lügen der Revolutionäre klangen anders als die der Reaktionäre, Lügen waren es auch. Revolutionen waren Schwindel. Eine herrschende Schicht wurde durch eine andere ersetzt, und der Kulturapparat spuckte die Leitartikel dazu aus, die launigen Betrachtungen, die Feuilletons, die Propaganda, die Apercus. Ich aß ein Gulasch und trank noch mehr Bier. Wenn man sie durchschaute, konnte man trotz der Lügen leben. Was für ein Wahnsinn, dieser Frankfurter Winter. Man brauchte manchmal nur etwas auf Distanz zu gehn, und schon erkannte man, wie lächerlich diese Verrenkungen waren, mit denen man sich so gern brüstete. Das Beisl gefiel mir. Ich trank noch etwas Sliwowitz, dann kraxelte ich die Landstraße hoch, legte mich ins Versandhausbett, lauschte den Lastwagen und wunderte mich, dass ich lebte.
Sarahs Haare hatten tatsächlich einen Hauch von Henna, aber ich hätte sie selbst damit nicht für eine Hexe gehalten. Dafür hatte ihr Gesicht seine Tausendundeine-Nacht-Schönheit verloren, das bäurische Erbe der ukrainischen Juden drang schon sehr deutlich durch. Wir fuhren mit Freunden, die dort auch ein Haus zu haben schienen, Richtung Zwettl. Genaues wurde mir nicht mitgeteilt, das galt wahrscheinlich als deutsch. Alles in diesem nasalen Stil, der jedes Wort wie einen Seufzer klingen ließ. Musik gab es auch, per Kassette, österreichischer Pop, aber nicht Alpenjodler, sondern richtig a la Rock & Roll. Sarah erzählte vom Hofer, ob ich den Hofer kenne, was, du kennst den Hofer nicht? Ich kannte nur Andreas Hofer, dem Namen nach, der konnte kaum gemeint sein. Hofer war ein Hit, ein Song, Nr. 1, ich hörte Hofer, verstand kein Wort und sagte das auch. Sarah war ganz pikiert. Sie glaubte, ich sei aus Prinzip dagegen. Es hatte sich nicht viel geändert. Sie sprach allerdings mit österreichischem Akzent. Mir auch recht. Von mir aus hätte sie mit chinesischem Akzent reden können. Ich liebte sie immer noch, aber da war nun nichts mehr zu machen. Wir fuhren durch Österreich.
Buchhinweis
Hardcover:
Jörg Fauser: Rohstoff. Alexander Verlag Berlin, 327 Seiten, 20,50 Euro.
E-Book:
Jörg Fauser: Rohstoff. Alexander Verlag Berlin, 8,49 Euro.
Taschenbuch:
Jörg Fauser: Rohstoff. Diogenes, 327 Seiten, 10,20 Euro.
Von Zwettl aus ging es in die Berge, Berge mit Wald, eine ziemlich finstere Sache. Hinter den Bergen lagen weitere Berge, Berge, so weit man sah, und dann kam schon die Tschechoslowakei, noch mehr Berge. Karge Gegend. Wieso karg, hieß es, hier wächst alles, was der Mensch braucht, und sogar Wein. Sarahs Gesicht leuchtete in der Sonne wie Bronze. Ihrem Teint tat das Landleben sicher gut. Wir kamen durch das Dorf, sehr groß war es nicht, und dann ging es die letzte Strecke auf einem Weg durch die Äcker bis zu einem Hang, an dem zwei Häuser lagen, Häuschen eher, Steinhütten. Das war nun doch sehr rustikal, und jeder bekam sofort etwas zu tun, ich musste Holz hacken. Nach dem Holzhacken gab es Tee, das Wasser war ja ganz berühmt in dieser Gegend, und selbstgebackenes Brot. Jedenfalls war es nicht ganz so hart wie das früher von Sarah gebackene. Der Arzt war nicht da, der Arzt war im Spital in Zwettl, es wurde aber reichlich von ihm erzählt. Er war ein großer #reisender, kam in der ganzen Welt rum, ja, damit konnte man Sarah imponieren, Expeditionen im Äußeren und Inneren, da hatte ich nicht viel zu bieten.
„Du bist dick geworden“, sagte Sarah.
„Na ja, das Bier.“
„Du solltest auch mal auf dem Land leben, mit den ganz einfachen Dingen umgehen, Erde in den Händen spüren, das Wachsen, das Vergehen...“
„Ach, Sarah, das Wachsen und Vergehen habe ich auch in der Stadt, weißt du. Hast du vielleicht ein Bier da?“
Es gab kein Bier, es gab Tee, und dann gab es ja das Wasser. Und es gab den Weiten Blick über die Wälder. Und später, allein in einem schmalen harten Bett, ab es die Kälte. Ich fragte mich, was sie jetzt im Keller machten, Fuzzi, Fritz, der Lange. Eins hatten sie sicher: Bier.
Ich blieb ein paar Tage. Im Dorf gab es eine Kneipe, die Post, wo ein starkes Flaschenbier verkauft wurde, ein guter Schnaps und Schnitzel mit Bratkartoffeln. Dazu gab es die Dörfler, den Friedhofsgärtner, den Totengräber, den Förster, den Deppen, und es gab auch die Leute aus Wien, die hier ihre Häuser hatten, ihre Jagd, ihre Kulturbranche.
Ich soff sie alle in Grund und Boden, dann wankte ich durch die Nacht davon. Wo war jetzt dieses verdammte Haus? Wo war Sarah? Warum war ich nicht in ihrem Bett, wie sich das gehörte, seit Adam Eva erkannt hatte? Völlige Finsternis. Verdächtige Geräusche aus dem Wald. Diese Sterne waren zu nichts nütze, so weit weg, wie sie waren. Da hatten sie nun all das Wiener Geld, diese Dörfler, aber für eine Laterne reichte es nicht, da war der Geiz davor. Alpenknödel, hatte Joseph Roth sie genannt, Knödelhirne. Da vorne war ein winziges Licht. Ich taumelte darauf zu. Es sprang weg. Rehe. Vielleicht auch Wildschweine, und die fallen bekanntlich über einsame Waldgänger her. Was suchte ich in diesem gottverfluchten Winkel der Erde? Und auch noch so allein? Ich brauchte dringend einen Freund. Ein Baum konnte auch ein Freund sein. Ich umarmte eine Fichte. Sie kratzte mich, aber sie roch gut. Ich rieb mich an der Fichte, ich erzählte ihr ein paar Schwänke aus meinem Leben, ich hielt sie fest. Die Fichte tröstete mich. Sterben tun wir alle, sagte sie, aber wir kommen auch wieder, als Mensch, als Fichte, als Wurm, als Regenbogen. Gut, sagte ich, wenn das soist, und Sarah? Soll ich sie denn einfach hierlassen, oder auch herkommen, Holz hacken, Brot backen? Du darfst das nicht so engt sehen, sagte die Fichte, die Erde ist überall, aber nur Bäume kennen den Wald."