„Dann bist du Out of Time“
Die Rolling Stones haben für den 1987 verstorbenen Autor Jörg Fauser eine wichtige Rolle gespielt. Auch sie gehörten zu keiner „Jugendbewegung“ - auch sie waren wütend, auch sie schwörten auf Drogenmissbrauch. Fauser erwähnt die Band in seinen Texten immer wieder. Keiner beschreibt das Stones-Feeling wie er.
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In seinem autobiografisch gehaltenen Text erzählt Fauser von einer Party im Keller eines Studentenheims irgendwann in den 70er Jahren. Die Stones liefen in Dauerschleife.
"Jeden Samstagabend war Schwof im Studentenheim am Beethovenplatz. Das Heim war nach dem Wiederaufbau-OB Kolb benannt, und der alte Sozi drehte sich wahrscheinlich permanent im Grab um, wenn ihm die Würmer flüsterten, welche Parolen jetzt an der Fassade und in den Gängen prankten. Eine Gruppe von Heim-Kapos organisierte diese Samstagabende im Keller, die Platten, das Bier, die Limo, den Schnaps, ansonsten war von Organisation nichts zu spüren. Es war ein Hexenkessel.
Gegen Mitternacht musste man sich den Weg nach unten regelrecht freiboxen, so dicht gedrängt stand die zukünftige geistige Elite der Republik mit allem, was den Ruch des Aufruhrs suchte oder auch direkt auf dem Weg in die Gosse war. Die Damen der linken Schickeria kamen her, um sich ihren Asozialen für die Nacht zu suchen, und ihre Männer, die tagsüber in der Robe oder im Nadelstreifen das System bekriegten, indem sie nicht genug davon kriegen konnten, bezogen Samstagnacht im Kolbheim ihren Adrenalinstoß, wenn sie mit schneidender Stimme Maos Diktum von der Macht, die aus den Gewehrläufen kommt, untermauerten und dabei mit begehrlichen Blicken Palästinenser, Vietnamesinnen oder entlaufene Fürsorgezöglinge umgarnten. Action für jeden Alles ganz offen. Neunmal hintereinander ‚(I Can’t Get No) Satisfaction‘, bis der Verputz rieselte, zwei Asbach/Cola runtergestürzt, und da war auch schon unweigerlich Speedy mit seinen blonden Locken, seinen erstaunten Augen, eine halbe Flasche Bier schon auf die Hose gekippt, und der unvermeidlichen Feststellung: ‚Andreas weiß, wo er mich findet.‘ (Anmerkung: Speedy hatte einmal Andreas Baader getroffen - und der hatte ihm versprochen, sich zu melden, falls die R.A.F. ihn einmal brauchen sollte. Natürlich meldete er sich nie.)

Diogenes
Buchhinweis
Hardcover:
Jörg Fauser: Rohstoff. Alexander Verlag Berlin, 327 Seiten, 20,50 Euro.
E-Book:
Jörg Fauser: Rohstoff. Alexander Verlag Berlin, 8,49 Euro.
Taschenbuch:
Jörg Fauser: Rohstoff. Diogenes, 327 Seiten, 10,20 Euro.
Im spärlichen Licht zuckten die Tänzer wie Spastiker. Sie bildeten einen Kreis, und um den Kreis herum baute sich immer dichter die Mauer der Nichttänzer auf, der Gaffer, der Dumpfen, der Säufer, der Ängstlichen, der Muskelberge, der Ironischen, der Mauerblümchen, der Aggressoren, der Verweigerer, der Asketen, der WiBhser. Etwas später floss dann das erste blut, rein freundschaftlich gesehen, das musst du verstehn, der hat mich angemacht, die schwule Sau, dieser Sozialfaschist, kippt mein Bier um und beschwert sich noch, sabbert meine Alte an, was heißt hier Frau? Du glaubst wohl, du bist was Besseres. Warte nur, bis wir die Uzis haben, die Kalaschnikows, wir machen euch alle nieder.
Action für jeden. Alles ganz offen. Neunmal hintereinander ‚Jumpin‘ Jack Flash’, wenn du dann noch weißt, wer du bist, dann bist du Out of Time, denn niemand in dieser Zeit weiß, wer er ist. Und manchmal morgens um sieben immer noch über den bewaffneten Kampf diskutiert, über die Strategie der Guerilla in den Metropolen, über die Propaganda der Tat, über Fidel Castro, über die Väter, über die Schwestern, über alles, was fehlte, und wenn der letzte Schluck getrunken und der letzte Joint geraucht und die letzte Flasche an einer Mauer zerschellt und die letzte Phrase ausgespien war, der Rückweg unter einem gleichgültigen Himmel, bei flüssigem Verkehr, unter Bäumen, deren Äste sich den Regen reinzogen."
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