Notenbank bisher ratlos
Indien hat in den letzten Jahren ein Wachstumstempo vorgelegt, von dem Europa und die USA bestenfalls träumen können. Trotzdem verlor die Landeswährung Rupie binnen eines Jahres gegenüber dem Dollar fast 20 Prozent an Wert, deutlich mehr als der Euro. Die Ursachen unterscheiden sich zwar teils deutlich - aber wie Europa steckt die drittgrößte Volkswirtschaft Asiens in einer Vertrauenskrise.
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Eine Ursache dafür ist, dass die indische Wirtschaft plötzlich „nur“ noch um fünf bis sechs Prozent wächst. Aus Sicht der Industriestaaten ist das Tempo zwar immer noch enorm. Vor der Finanzkrise hatte das Plus dreimal in Folge über neun Prozent jährlich betragen. Der derzeitige Wert entspricht einem Neunjahrestief.
Allerdings ist das nicht der einzige Grund, weshalb einige internationale Investoren dem boomenden Schwellenland den Rücken kehren. Ursache für die „Kapitalflucht“, wie es zuletzt im „Wall Street Journal“ hieß, sind Zweifel an der finanzpolitischen Stabilität des Landes. Die jährliche Neuverschuldung lag zuletzt bei fast sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Ratingagenturen drohen
Zuletzt drohten die Ratingagenturen Standard & Poor’s (S&P) und Fitch Indien mit der Herabstufung seiner Bonitätsnote, die derzeit bei „BBB-“ liegt. Mit einem Downgrade würden Investments in indischen Staatsanleihen als „spekulative Anlage“ klassifiziert. Das Land sei von seinem Kurs der wirtschaftlichen Liberalisierung abgekommen und kämpfe nicht entschlossen gegen das steigende Haushaltsdefizit, lautete die Begründung.
Ein weiteres Problem, mit dem das 1,2-Mrd.-Einwohner-Land kämpft, ist die hohe Teuerungsrate. Die Inflation dürfte laut IWF-Prognose in diesem Jahr um die acht Prozent liegen, erst 2016 soll sich der Wert um vier Prozent einpendeln. Damit hat die indische Zentralbank, die Reserve Bank of India (RBI), derzeit nur begrenzt Spielraum, über das Zinsniveau Konjunkturimpulse zu setzen.
Hohe Inflation lässt nur begrenzt Spielraum
Trotzdem senkte sie die beiden relevanten Zinssätze im April um einen halben Prozentpunkt auf acht bzw. sieben Prozent, um einen weiteren Konjunktureinbruch zu verhindern, wie RBI-Chef D. Subbaro die Entscheidung begründete. Um den rasanten Anstieg der Verbraucherpreise zu bremsen, hatte die RBI seit März 2010 die beiden wichtigsten Zinssätze zuvor mehrmals erhöht.
Die erhofften positiven Effekte sind bisher aber nicht wirklich eingetreten. Das zeige auch, wie hilflos Notenbanken, speziell in Schwellenländern, in der Währungspolitik oft seien, „wenn sich internationale Marktkräfte gegen sie stellen“, hieß es dazu im „Wall Street Journal“. Investoren hätten zuletzt viel Geld vom indischen Kapitalmarkt abgezogen, was der Landeswährung weiter zusetze.
Auch die Regierungspolitik habe nicht wirklich geholfen - im Gegenteil: Ideen etwa für eine Besteuerung ausländischer Investoren hätten diese noch weiter „verschreckt“. Außerdem sei es bisher in der Energiepolitik nicht gelungen, Indien aus seiner Abhängigkeit von teuren Erdölimporten, die das Budgetdefizit weiter in die Höhe trieben, zu befreien. Laut IWF importierte das Land 2011 Erdöl im Gegenwert von fast 140 Mrd. Dollar (rund 112 Mrd. Euro), 2015 dürfte die 200-Mrd.-Dollar-Grenze erreicht sein.
Lockangebote mäßig erfolgreich
Erst kürzlich hatte die indische Regierung die gesetzlichen Vorschriften für ausländische Investments in Rupien erleichtert, gleichzeitig wurden indische Unternehmen zwangsverpflichtet, Auslandsgewinne in die Landeswährung zu konvertieren - was ebenfalls nur bedingt Erfolg gebracht habe. Die Zentralbank sieht sich machtlos. „Wenn die Rupie wegen fundamentaler Schwächen oder der globalen Situation fällt (...), können wir sie nicht aufhalten“, zitierte das „Wall Street Journal“ K. C. Chakrabarty, stellvertretender Gouverneur der RBI.
Allerdings sind es nicht nur die derzeit tristen globalen Rahmenbedingungen, die dem Land - eines der vier aufstrebenden BRIC-Staaten (Brasilien, Indien, Russland, China) - Schwierigkeiten machen. „Am Ende des Tages muss die Regierung zu einer Politik finden, die Vertrauen in die Wirtschaft schafft“, so Rajeev Bhaman, Fondsmanager des über sechs Milliarden Euro schweren Global Fund bei Oppenheimer in New York, gegenüber der Zeitung. Stattdessen habe das Eingeständnis der Machtlosigkeit der Notenbank der Rupie noch weiter zugesetzt. "Ich hätte nicht erwartet, dass die Zentralbank in einer derartigen Situation die Währung faktisch noch schwächt oder hinunterredet, wie sie es getan haben, so Sachin Shukla, Chefökonom beim Finanzdienstleister Enam Securities Pvt. in Mumbai.
Geld fließt ab
Ein Angebot an ausländische Investoren, Staats- oder Unternehmensanleihen zu kaufen, sei zuletzt auf „eher laues Interesse“ gestoßen, berichtete das „Wall Street Journal“. Indien bleibt auf einem beträchtlichen Teil - bei den Unternehmensanleihen fast 40 Prozent - der Bonds sitzen. Ausländische Investoren dürfen neuerdings deutlich mehr Geld in indische Anleihen investieren als früher, parallel dazu versuchte die Regierung, Auslandsinder mit Sonderzinssätzen dazu zu bewegen, ihr Geld zu Hause anzulegen.
Nichts habe geholfen, die Notenbank anschließend die Regierung beschuldigt, an der Misere schuld zu sein, etwa mit ihren Steuerideen für ausländische Investoren. „Erschrocken haben ausländische Fonds Geld aus der Wirtschaft abgezogen.“ Laut „Wall Street Journal“ wurden zwischen April und Juni 350 Millionen Dollar (über 280 Mio. Euro) aus dem Land abgezogen. Im selben Zeitraum seien im Vorjahr umgerechnet über 920 Millionen Euro in die andere Richtung geflossen.
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