Themenüberblick

Ex-Chef sieht sich als Sündenbock

Der Streit über Manipulationen beim für viele Kreditgeschäfte entscheidenden Libor-Zinssatz in der Londoner City weitet sich immer mehr aus: Die Barclays-Bank wirft den staatlichen Stellen und der Bank of England vor, von den Libor-Manipulationen zumindest seit Jahren gewusst zu haben.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Die Bank lancierte unmittelbar vor dem Auftritt ihres am Dienstag wegen des Skandals zurückgetretenen Bankchefs Bob Diamond Unterlagen, wonach die Zentralbank von künstlich nach unten regulierten Zinssätzen gewusst habe, ja diese möglicherweise indirekt sogar ausgelöst habe.

Ex-Barclays-Chef Paul Tucker

APA/EPA/Horacio Villalobos

Paul Tucker musste bei Barclays das Handtuch werfen.

So soll der stellvertretende Chef der Bank of England (BoE), Paul Tucker, am 28. Oktober 2008 per Telefon eine Empfehlung des damals Labour-geführten Finanzministeriums an Diamond - damals Chef des Investmentbankings - weitergegeben haben. Barclays legte Unterlagen vor. Demnach soll Tucker zu Diamond gesagt haben: „Es muss nicht immer der Fall sein, dass wir so hoch erscheinen, wie wir das bisher waren ...“ Vom Tag des Gesprächs an fiel der Libor-Satz rapide.

„Klare Fehler“

Der zurückgetretene Barclays-Chef selbst räumte vor dem Finanzausschuss des Parlaments Versäumnisse ein. Es seien „klare Fehler“ gemacht worden und es habe „verwerfliches Verhalten“ gegeben. Die Verantwortlichen seien auch zur Rechenschaft gezogen worden, sagte Diamond.

„Das ist aber nicht repräsentativ für das Unternehmen, das ich so sehr liebe.“ Auch er selbst sei darüber nicht im Bilde gewesen. Barclays habe den Behörden als erstes Institut umfangreich bei den Ermittlungen geholfen und ein Fehlverhalten eingeräumt - das schlage nun zurück. „Der Fokus richtet sich in dieser Woche auf Barclays, weil wir die Ersten waren“, betonte Diamond, dessen Bank wegen des Skandals rund eine halbe Milliarde Dollar an Strafe zahlen muss.

Keine Anweisung

Entgegen der allgemeinen Erwartung wiederholte Diamond die Kritik an der britischen Notenbank jedoch nicht. Er gehe nicht davon aus, dass die Aussagen des stellvertretenden Zentralbankchefs Paul Tucker als Aufforderung zur Manipulation des Libor-Satzes zu verstehen gewesen seien. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass es eine Anweisung war.“ Seine persönliche Angst sei gewesen, dass die Regierung Barclays keine eigene Rettung aus der Finanzkrise zutraute und deshalb eine Verstaatlichung der Großbank ins Auge fasste.

Wahre Kosten verschleiert

Weltweit laufen in der Sache Ermittlungen gegen mehr als ein Dutzend Großbanken, darunter auch die Deutsche Bank und UBS. Ihnen wird vorgeworfen, von 2005 bis 2009 den Zinssatz Libor und andere Marktzinsen mit falschen Angaben manipuliert zu haben, um ihre wahren Refinanzierungskosten zu verschleiern und Handelsgewinne einzustreichen.

Der Libor wird einmal täglich in London ermittelt und zeigt an, zu welchen Konditionen sich Banken untereinander Geld leihen. Er basiert auf den individuellen Angaben der Großbanken und dient als Referenzsatz für Kredite an Unternehmen, Privatpersonen und weitere Finanztransaktionen in einem Volumen von 360 Billionen Dollar.

Barclays räumte Fehlverhalten ein

Barclays hat als erstes Geldhaus ein Fehlverhalten einiger Händler eingeräumt. Die Bank wurde von Behörden in den USA und Großbritannien zu einer Strafe von fast einer halben Milliarde Dollar verdonnert. Neben Diamond mussten auch Verwaltungsratschef Marcus Agius und der fürs Tagesgeschäft zuständige Vorstand Jerry del Missier ihren Hut nehmen. In einem jetzt veröffentlichten neunseitigen internen Bericht äußert die Bank ihr „tiefes Bedauern“ über die Vorfälle. Das hätte niemals passieren dürfen, heißt es in dem Dokument, das einen Tag vor Diamonds Anhörung veröffentlicht worden ist.

„Schlecht geworden“

Das Institut habe zur Aufarbeitung des Skandals in einer internen Untersuchung mehr als drei Jahre lang 22 Millionen Dokumente durchforstet und mehr als 75 Interviews geführt. Insgesamt habe das gut 100 Millionen Pfund (125 Millionen Euro) gekostet. Vor dem Parlament sagte Diamond, ihm sei „schlecht geworden“, als er in dem Bericht von dem Fehlverhalten gelesen habe. Das Verhalten dieser 14 Händler stehe im Widerspruch zu den internen Regeln von Barclays.

Druck von der Regierung

Sprengstoff haben in dem Bericht aber vor allem die Passagen, in denen es um die regelmäßigen Kontakte mit Notenbankvertretern geht. In einer Chronik zeigt Barclays auf, wann Manager mit Zentralbankern gesprochen haben. Besonders pikant ist dabei eine Notiz von Diamond, der damals noch an der Spitze der Investmentbanking-Sparte stand: Darin verweist der US-Amerikaner auf ein Gespräch mit dem Vizegouverneur der Bank von England, Paul Tucker, in dem dieser berichtet habe, dass ihn Regierungsvertreter angerufen hätten, um zu fragen, warum Barclays so hohe Zinsen bei der Libor-Festsetzung angebe.

„Herr Tucker meinte, die Anrufe seien von hochrangigen Personen gekommen. Zudem meinte er, dass wir zwar bestimmt keinen Rat brauchten, es aber sicher nicht immer nötig sei, dass wir so hohe Zinsen wie zuvor angeben“, schrieb Diamond dem Dokument zufolge in einem Brief an den damaligen Bankchef John Varley. Daraus habe die Bank abgeleitet, dass es durchaus genehm sei, niedrigere Zinsen zu übermitteln.

Ex-Minister dementiert

Die Bank von England äußerte sich nicht dazu. Der damals zuständige Finanzminister Alistair Darling wies die Darstellung aber zurück: „Ich fände es absolut verwunderlich, wenn die Notenbank eine solche Empfehlung abgegeben hätte, und ich kann mir auch keine Umstände vorstellen, in denen jemand speziell in meinem Verantwortungsbereich - dem Finanzministerium - so etwas getan hätte“, sagte er dem TV-Sender Channel Four. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, hätten diese wohl einen in seinen Auswirkungen kaum vorstellbaren Vertrauensverlust in die britische Zentralbank zur Folge.

Das britische Wirtschaftsmagazin „Economist“ sieht in den nun bekanntgewordenen Memos aber vor allem den Versuch von Barclays, den Skandal in eine für sie deutlich weniger imageschädigende Richtung zu „spinnen“: Denn die Zinsraten zu manipulieren, um Sorgen vor einem Zusammenbruch der systemrelevanten Barclays-Bank zu begegnen, würde wohl mit „viel mehr Nachsicht“ betrachtet werden, als die Tatsache, dass die Bank versuchte, damit ihre Position zu verbessern.

Cameron gegen hohe Abfindung

Der britische Premierminister David Cameron sprach sich unterdessen gegen hohe Abfindungen für die drei Barclays-Topmanager aus. „Ich denke, es wäre absolut falsch, Leuten, die unter diesen Umständen gegangen sind, große Abfindungen zu zahlen“, sagte Cameron am Mittwoch. Die Zahlung großer Summen wäre der britischen Öffentlichkeit nicht zu vermitteln und auch nicht richtig.

Links: