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Zwischen Jubel und Bedauern

Das endgültige Ende des heftig umstrittenen Anti-Piraterie-Abkommens hat gegensätzliche Reaktionen hervorgerufen. Während sich ACTA-Kritiker über freien Weg für ein modernes Urheberrecht freuen, sehen Befürworter im heutigen Negativvotum eine verpasste Gelegenheit.

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Der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Hannes Swoboda, begrüßte das Ergebnis. „Zum ersten Mal hat das Parlament von den Möglichkeiten des Lissabon-Vertrages Gebrauch gemacht und ein internationales Handelsabkommen verworfen. Kommission und der Rat werden sich jetzt bewusst sein, dass sie das Parlament nicht übergehen können.“

SPÖ: „Intelligente Lösungen nötig“

SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried sagte: „Wir sind nicht gegen das Urheberrecht, vertreten aber die Ansicht, dass das angestrebte Ziel von ACTA nicht mit dem Eingriff in die bürgerlichen Freiheiten in Einklang gebracht werden konnte. Es ging hier nicht um eine rechtliche Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs, sondern um die politische Entscheidung der Vertretung von 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in Europa.“ Die SPÖ-Europaabgeordnete Evelyn Regner forderte von der EU-Kommission „Initiativen für intelligente, moderne Lösungen wie das Urheberrecht im Internet geschützt werden kann“.

Grüne: „Klares Signal an Regierungen“

„Dieses eindeutige Votum ist ein wichtiges demokratisches Signal gegen ein Abkommen, das durch intransparente Verhandlungen zustande gekommen ist. Die schwammigen Formulierungen des Vertragstextes hätten eine ständige Überwachung der Bürger durch den Staat sowie durch private Internetprovider ohne richterliche Kontrolle möglich gemacht“, reagierte die grüne Europaabgeordnete Eva Lichtenberger.

Marco Schreuder von den Grünen sieht das deutliche Nein als klaren Arbeitsauftrag an die Europäische Kommission: „So darf ein internationaler Vertrag nie wieder ausgehandelt werden. Ohne Veröffentlichungen, ohne Transparenz, ohne Konsumentenschützer, ohne Netz-NGOs, ohne Datenschützer, ohne Ärzte ohne Grenzen, nur mit einer Interessenvertretung - das darf nie wieder passieren.“

„Aber auch die Bundesregierungen Europas müssen dieses Signal verstehen“, sagte Schreuder. „Justizministerin Beatrix Karl etwa hat vor kurzem ein schärferes Urheberrecht angekündigt. Ich hoffe, sie versteht das heutige Signal aus Brüssel. Künftig müssen alle Beteiligten, Betroffenen, Initiativen und NGOs an einem Tisch sitzen.“

ÖVP: „Wirft Kampf gegen Piraterie um Jahre zurück“

Die ÖVP-Europaabgeordnete Elisabeth Köstinger bedauerte das Ergebnis. „Die heutige Ablehnung des ACTA-Abkommens wirft die EU im internationalen Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie um Jahre zurück“, sagte sie.

Der EuGH hätte noch Antworten auf viele offene Fragen liefern können. „Wichtig ist, jetzt etwas Konstruktives gegen Produktpiraterie und Markenfälschung sowie für den Schutz des geistigen Eigentums voranzubringen. Europas Stärke in der Welt ist unser Know-how, deshalb müssen wir es international schützen können.“ Produktpiraterie würde der europäischen Wirtschaft Schaden in Milliardenhöhe zufügen und eine Vielzahl an Arbeitsplätzen bedrohen.

Der Schutz geistigen Eigentums und damit dessen Produktion und Vermarktung ist wichtig, und dazu braucht man auch internationale Standards, bedauerte auch ÖVP-Kultursprecherin Silvia Fuhrmann: „Freiheit ist in diesem Sektor wichtig, darf aber nicht mit dem Schutz der Anonymität von gewerbsmäßigen Rechtsbrechern verwechselt werden. Die Verletzung von fremden Eigentumsrechten darf nicht unbehelligt erfolgen können“, so Fuhrmann weiter.

Unterhaltungsindustrie: „Vertane Chance“

Auch die europäische Unterhaltungsindustrie sieht eine vertane Chance. „Das erwartete Ergebnis und dennoch eine leichtfertig vergebene Chance, den europäischen Kreativbranchen im globalen Wettbewerb zu helfen. Das ist schade für europäische Jobs und Unternehmen - vom Autobau, über Mode bis zu Medien- und Unterhaltungsprodukten“, kommentierte Franz Medwenitsch, Geschäftsführer des Verbands der österreichischen Musikwirtschaft, das Ergebnis.

„Egal ob sich die heutige Abstimmung mehr gegen die intransparenten ACTA-Verhandlungen richtete oder eher die internen Spannungen zwischen Parlament und Kommission widerspiegelte, eine Abstimmung gegen das Schutzrecht am geistigen Eigentum war es sicher nicht“, so Medwenitsch weiter.

Ehrenhauser lobt „Erfolg der Zivilgesellschaft“

„Die Mehrheit gegen ACTA ist zu 90 Prozent der Erfolg der Zivilgesellschaft. Erst die europaweiten Proteste im Februar erzeugten den Meinungsumschwung im EU-Parlament“, sagte der fraktionslose EU-Abgeordnete Martin Ehrenhauser.

„Dieses Abkommen hat nur dem Anschein nach etwas mit dem Schutz des Urheberrechts und der Bekämpfung von Marken- und Produktpiraterie zu tun. Tatsächlich geht es um die Überwachung des Internets, die bis hin zur Kriminalisierung von Nutzern führen kann“, kritisierte der freiheitliche Delegationsleiter Andreas Mölzer.

AK: „Weg frei für modernes Urheberrecht“

Begrüßt wurde die Entscheidung des EU-Parlaments auch von der Wiener Arbeiterkammer: Das Aus für ACTA mache den Weg frei für ein modernes Urheberrecht, das den „Bedürfnissen und Interessen der User gerecht“ wird, hieß es in einer Aussendung. „Mit ACTA wäre ein Teil des alten Urheberrechts weiter einzementiert worden.“