Über 50 Jahre alt, männlich, weiß
Was Spanien im Winter für Pensionisten aus dem nördlichen Europa, ist Florida für amerikanische Senioren. „Diese Tendenz der Ruhesitzwanderung gibt es bereits seit den späten 50er Jahren“, sagt Migrationsexperte Karl Husa von der Universität Wien im ORF.at-Interview. Mittlerweile haben sich die Destinationen für den Ruhestand erheblich ausgeweitet und damit auch die Probleme.
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Schnellere und günstigere Reisemöglichkeiten, steigende Kaufkraft und die rasche Alterung der Bevölkerung beschleunigen die Auswanderung europäischer und amerikanischer Pensionisten auch in Länder außerhalb Europas und der USA. „Diese Altersmobilität ist dramatisch im Zunehmen“, betonte Husa. Oft entwickelt sich die Wahl des neuen Lebensortes aus früheren touristischen Aufenthalten. Bezüglich der Zahl der Pensionisten, die in ihrem Ruhestand im Ausland noch einmal völlig neu beginnen, können sich die Experten nur auf Schätzungen verlassen.
In Thailand leben derzeit rund 120.000 westliche Ausländer permanent. Schätzungen zufolge ist ein Fünftel von ihnen Pensionisten, rund 20.000 bis 30.000. Husa geht aber davon aus, dass diese Zahl etwa fünfmal so hoch ist. Ein großer Teil lebe jahrelang mit Touristenvisa im Land, da die offiziellen Visa-Prozeduren aufwendig seien. Sicher ist, dass sich der Trend, seinen ständigen Lebensmittelpunkt in ein Schwellenland zu verlagern, in den vergangenen 15 Jahren verstärkte, insbesondere nach Asien von Kambodscha bis Thailand.

Universität Wien/Karl Husa
Der thailändische Strandort Cha-am ist bei Europäern und Amerikanern beliebt
„Brücken zur alten Heimat abgebrochen“
„Dadurch können Pensionisten leichter einen hohen Lebensstandard aufrechterhalten“, erklärt der Wissenschaftler. Gemeinsam mit dem Geografen Christian Vielhaber untersucht er die Konsequenzen dieser „Ruhesitzwanderung“ am Beispiel zweier Orte in Thailand.
Vier Fünftel der in der Studie befragten Ausländer sind über 50 und vor allem aus Europa. Den größten Anteil haben 60- bis 70-Jährige Männer. Über die Hälfte ist mit einer Thai verheiratet oder lebt mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt. Alleinstehende Frauen zieht es kaum nach Thailand, sie kommen wenn gemeinsam mit ihrem Partner und verbringen meist die Wintermonate dort. Das ist aber eher die Ausnahme.
Denn neu bei der Altersmobilität in der vergangenen Dekade ist, dass es nicht mehr vorrangig um eine zeitweise Verlagerung, sondern um die Wahl eines völlig neuen Lebensmittelpunkts. Vielhaber: „Die Brücken zur alten Heimat werden in den meisten Fällen abgebrochen.“ Der Wechsel wird als Chance gesehen, um - meist gemeinsam mit einer neuen Partnerin - nicht in Isolation leben zu müssen. „Die Situation wird von vielen Europäern als Möglichkeit gesehen, einen Neubeginn zu kaufen“, so Husa.
Finanzierbare Pflege im Alter
Nicht nur der höhere Lebensstandard, auch die Aussicht auf finanzierbare Pflege im Alter und das Eingebundensein in eine neue Familie ließen viele auswandern, so die beiden Wissenschaftler. „Der Mehrwert ist ein selbstbestimmtes Altern“, analysiert Husa. Da gehe es nicht um reinen Sextourismus, allerdings auch um die Möglichkeit des leicht herstellbaren Kontakts zu einheimischen Frauen. In einigen Dörfern etwa in Thailand, Laos und Kambodscha sei es sogar in Mode gekommen, dass Frauen über das Internet ältere europäische Männer kennenlernen. Husa: „Gelingt ihnen das nicht, steigt der Druck der Familie enorm.“
Offen dafür sind vor allem Frauen aus ärmeren Schichten im ländlichen Bereich, die meist auf Reisfeldern arbeiten. Sie lernen recht schnell Basiskenntnisse in Englisch. „Aber wenn die Partnerschaft länger dauert, kommt es zu massiven Sprachproblemen“, weiß Husa.
Ausländer federn sozialen Wandel ab
Die Länder sind interessiert am Devisenimport und an der Kaufkraft der Zuwanderer, nicht zuletzt aufgrund der ebenfalls sich rapide verändernden Bevölkerungsstruktur. In Thailand etwa unterscheidet sich die Fertilitätsrate von knapp 1,7 nur noch geringfügig von der in Österreich mit durchschnittlich 1,4 Kindern pro Frau.

Universität Wien/Karl Husa
Auch die Infrastruktur passt sich den Wünschen der Ausländer an
„Das hat Konsequenzen für die Durchschnittsfamilie“, betont Husa. Denn es fehle die Unterstützung des Staates, zugleich gebe es aber auch die vielbeschworene Familie und die asiatischen Werte im bisherigen Sinne nicht mehr. Oft leben in den Dörfern nur noch Großeltern und Enkelkinder, die Kinder arbeiten in größeren Städten oder im Ausland.
Kein Geld, keine Zuneigung
Die zugezogenen Europäer und Amerikaner helfen, diesen sozialen Wandel abzufedern. Sie bringen eine zusätzliche Einkommensquelle. „Zum Clash kommt es, wenn die monetären Mittel erschöpft sind. Wenn vonseiten des ausländischen Mannes der Geldfluss stoppt, ist die Zuneigung meist vorbei“, ergänzt Vielhaber.
Ohne Geld nehmen daher mit zunehmendem Alter und Pflegebedürftigkeit auch die Schwierigkeiten zu. Der thailändische Staat kümmere sich nicht um Kranke, sondern weise sie aus, so Husa. Problematisch sei es auch, wenn betroffene Ausländer sterben. Diese müssen verpflichtend obduziert werden. Es ist aber unklar, wer für die Obduktion und die Transportkosten aufkommt, wenn sich Angehörige aus dem früheren Heimatland weigern zu zahlen.
Umwerben und Ablehnung
Entsprechend reagieren die betroffenen Staaten unterschiedlich auf das gestiegene Interesse von westlichen Pensionisten. Während Malaysia aktiv um Ausländer etwa im Rahmen des „Malaysia My Second Home Program“ wirbt, gehen die Regierungen in Kambodscha und Vietnam strikter mit neuen Einwanderern um. Malaysia bietet freundliche Spielregeln - auch steuerlich. Husa: „Es ist allerdings ein muslimisches Land. Der Zugang zu Frauen ist wesentlich schwieriger. Das Interesse, nach Malaysia auszuwandern, ist geringer.“
Die kambodschanische Regierung hingegen erließ ein Gesetz, dass Ausländer über 50 Jahre keine Einheimische heiraten durften, unter 50-Jährige mussten mindestens 2.500 Dollar verdienen. Dieses Gesetz wurde mittlerweile aufgrund der Proteste der Bevölkerung wieder abgeschafft. Schließlich ging dadurch ein wichtiger Einkommenszweig verloren.
Strenge Visa-Bestimmungen
Denn Kambodscha wetteifert eigentlich mit Thailand, dem wichtigsten Zielland für Altersmigranten insbesondere aus Europa und Japan, um Pensionisten. Thailand hebt sich aufgrund seines professionellen Gesundheitssystems von seinen Nachbarstaaten ab. In einigen Gebieten in der Nähe von Touristenzentren entwickelte sich eine gut organisierte „Ruhestandsindustrie“.
Doch Thailand reagiert zwiegespalten auf die ausländische Einkommensquelle. Denn die Aufenthaltsbestimmungen sind strikt, die Behördenwege extrem aufwendig. Zwar gibt es eigene Pensionistenvisa. Diese müssen aber jährlich erneuert werden, als Bankdeposit müssen mindestens 20.000 Euro vorgewiesen werden.
Abgeschieden in der Wohnsiedlung
Einige wenige sind in die Familie der neuen Frau integriert. Die meisten leben aber mit der neuen Frau, häufig auch einem Kind, in bewachten Wohnsiedlungen, abseits liegend, aber in Küstennähe. Diese luxuriösen Wohnsiedlungen, betrieben von internationalen Konsortien, sind zwar mit jeglicher Infrastruktur ausgestattet vom Animateur bis zu Gesundheitseinrichtungen.
Doch entstehen dadurch leicht soziale Probleme. „Die Pensionisten genügen sich selbst“, so Vielhaber. Die wenigsten lernen die lokale Sprache. Ihr Fokus liegt auf internationalen Einkaufszentren, lokale Märkte geraten ins Hintertreffen. Zu Einheimischen besteht nur wenig Kontakt. Das fördere die Entstehung von zwei Welten, so Vielhaber.
Simone Leonhartsberger, ORF.at
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