Gesamter Zeitplan infrage gestellt
Beobachter sind sich einig: Wer auch immer die Präsidentschaftswahl in Ägypten für sich entscheiden kann - das Sagen im Land werden auch weiterhin die Militärs haben. Darauf verweist nicht nur die am Samstag angeordnete Auflösung des Parlaments. Wie nun bekanntwurde, will der regierende Militärrat auch weiter die Kontrolle über die Gesetzgebung und das Budget des Landes behalten.
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Das gehe aus einer Erklärung über einen Verfassungszusatz hervor, der am Sonntag laut Agenturen bekanntgegeben wurde. Demnach habe der Militärrat in Ägypten bereits die Rechte des Parlaments übernommen. Eine neue Verfassung soll es zudem erst nach einer Neuwahl der Volksvertretung geben. Das Verfassungsgericht hatte am Donnerstag entschieden, dass die Zusammensetzung des Parlaments unrechtmäßig ist. Der Oberste Militärrat verkündete darauf inmitten der laufenden Präsidentschaftswahl am Samstag offiziell die Auflösung des Parlaments.
Zutritt zu Parlament verboten
Wie die amtliche Nachrichtenagentur MENA am Samstag bekanntgab, hat der Chef des Militärrats, Hussein Tantawi, das von den Islamisten dominierte Parlament in einem Schreiben darüber informiert, dass die Abgeordneten ohne Genehmigung keinen Zutritt mehr zum Gebäude hätten.
Damit steht nun der gesamte Zeitplan zur Übergabe der Macht vom Militärrat, der seit dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak im Februar 2011 das Land regiert, an eine demokratisch gewählte Regierung wieder infrage. Dabei hätte die Präsidentenwahl ursprünglich den Übergang zu demokratischen Verhältnissen abschließen sollen, nachdem Massenproteste den Langzeitmachthaber Mubarak im Februar 2011 zum Rücktritt gezwungen hatten.
Per Aussendung habe der Chef des Militärrats, Hussein Tantawi, am Sonntag zwar versichert, die Macht per 1. Juli abgeben zu wollen, so der arabische TV-Sender al-Jazeera. Offen infrage gestellt wurde in diesem Zusammenhang, wie sich bis dahin die als Voraussetzung genannte Neuwahl des Parlaments ausgehen soll.
Heftiger Streit über Wahlausgang
Unterdessen entbrannte nach der Stichwahl am Sonntag ein heftiger Streit über den Ausgang des Urnengangs. Die Muslimbrüder riefen Montagfrüh ihren Kandidaten Mohammed Mursi zum Sieger aus, was aus dem Lager des Gegenkandidaten Ahmed Schafik vehement bestritten wurde. Das offizielle Ergebnis der Stichwahl vom Sonntag soll erst am Donnerstag von der Wahlkommission bekanntgegeben werden.
„Doktor Mohammed Mursi ist der erste vom Volk gewählte Präsident der Republik“, verkündete die Freiheits- und Gerechtigkeitspartei der Muslimbrüder über den Internet-Kurznachrichtendienst Twitter. Auch Mursis Wahlkampfsprecher erklärte, dass dieser gewonnen habe.
„Geiselnehmer der Wahl“
Gegenkandidat von Mursi war mit Schafik der letzte Regierungschef des gestürzten Machthabers Hosni Mubarak. Sein Wahlkampfmanager Machmud Barakeh wies die Erklärung der Muslimbrüder „komplett zurück“. Diese machten sich zu Geiselnehmern der Wahl. Außerdem zeigten die ihm vorliegenden Zahlen eine Führung von Schafik, betonte Barakeh vor Journalisten.
Nach Informationen der Wahlkommission, die den Urnengang am Sonntag um zwei Stunden verlängerte, verlief die Wahl weitgehend ordnungsgemäß und friedlich. Unabhängige Beobachter registrierten hingegen zahlreiche Verstöße gegen die Wahlordnung durch Mursis Wahlhelfer.
Muslimbrüder fordern Referendum
Die Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, der politische Arm der Muslimbrüder, warf dem Militär nach der Auflösung des Parlaments vor, die Macht für sich monopolisieren zu wollen. Die Auflösung des Parlaments zeige „den Willen des Militärrats, die gesamte Macht an sich zu ziehen“, so die Partei. Gleichzeitig wurde ein Referendum über die Auflösung des Parlaments gefordert: Der Wille des Volkes könne nur durch den Willen des Volkes rückgängig gemacht werden. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtes wurde von den Muslimbrüdern zudem als Staatsstreich bewertet.
Opposition sieht „Konterrevolution“
Auch ein Zusammenschluss linksgerichteter und liberaler Parteien bezichtigte die Armee der „Konterrevolution“. In einer am Freitag in Kairo veröffentlichten Erklärung hieß es, das „konterrevolutionäre Szenario“ ergebe sich aus einer Reihe von Vorfällen: So seien am 2. Juni zunächst mehrere Angeklagte im Prozess gegen Mubarak freigesprochen worden.
Danach habe das Justizministerium die Militärpolizei und den Militärgeheimdienst wieder zur Festnahme von Zivilisten ermächtigt - ein Recht, das diese mit der Aufhebung des Ausnahmezustands Ende Mai verloren hatten, hieß es in der Erklärung von sechs Parteien und Bewegungen.
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