Das Spiel mit der Identität bleibt spannend
Die Zeit der Adoleszenz ist oft wild und mitunter auch wirr: Das spiegelt sich in der Ausstellung „Megacool 4.0“ im Wiener Künstlerhaus wider. Die Jugend, zu sehen durch das Prisma der Kunst, steht im Mittelpunkt des Kuratoreninteresses.
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Noch nie habe es so viele jugendadäquate Möglichkeiten gegeben, sich kreativ auszudrücken, so Birgit Richard - Leiterin des Jugendarchivs Frankfurt am Main, die sich für die Zusammenstellung der Werke im Wiener Künstlerhaus verantwortlich zeichnet. Ob YouTube, Flickr, Facebook oder das Entwerfen eigener Avatare in Computerspielen - die Teenager von heute lebten in einer Welt der Bilder, und die Bildinhalte bestimmten sie oft genug selbst.
Diese Bilder - von Profilfotos in Sozialen Netzwerken bis zu kriegerischen Mangas - sind keine einfachen Abbilder, keine möglichst realistischen Porträts. Viel eher kommen sie Requisiten auf der Bühne des Identitätstheaters gleich. Wie weit die Verfremdung geht, hängt von der kulturellen Verortung der Jugendlichen ab. Vom Mainstream-„Normopathen“, wie Durchschnittsjugendliche im Katalogtext bezeichnet werden, bis zu Burschen und Mädchen, die im realen Leben Computerspielverkleidungen tragen, reicht die Bandbreite.

Künstlerhaus k/haus
Videostill aus Cao Fei: „Cosplayers“ (2004). Reales Leben in fantastischen Bildwelten
Leben in der Fantasiewelt
Die Kunst interessiert sich, wenig überraschend, mehr für jene, die in Subkulturen leben. Cao Fei etwa hat „Cosplayer“ gefilmt. Sie schneidern und basteln möglichst originalgetreu Kostüme aus Mangas, Filmen und Computerspielen - und stellen gemeinsam Szenen nach.
In Caos Video bewegen sie sich in realen Umgebungen, die so wirken, als wären sie Teil einer Fantasywelt: nebelige Wiesen, verlassene Häuser, im Hintergrund Großstadtskylines und dann - Schnitt - zu Hause in der eigenen kleinen Wohnung, die sich die Prinzessinnen und Warlords meistens noch mit ihren Eltern teilen.

ORF.at/Simon Hadler
Birgit Richard, Kuratorin von „Megacool 4.0“ und Leiterin des Jugendarchivs Frankfurt am Main
Die legitime Realitätsflucht
Bei Computerspielen wirken ähnliche Mechanismen. Richard, die bereits seit vielen Jahren über Jugendkulturen forscht und an ihrem Institut mehrere Studien geleitet hat, ist genervt von der prinzipiellen Verteufelung der Computerspiele. Sie würden Menschen, die sonst kaum kommunizieren können, die Möglichkeit geben, aus sich herauszugehen. Richard zeigt dabei auf die eindringlichen Fotos von Robbie Cooper, auf denen reale Personen ihren Avataren gegenübergestellt werden.
Der fettleibige Bub, der behinderte Teenager, der schmächtige Mann - in der virtuellen Welt ihrer Spielecommunitys sind sie schillernde Heldenfiguren, bunt und stark. Eine Flucht vor der Realität kann auch das Ankommen in einer alternativen Realität sein, in der man sich wohler fühlt, an der angeschlagene Psychen gesunden können.
Keven, nicht allein in Moabit
Das wiederum wissen auch die Kids selbst und inszenieren sich umso lieber als Outcasts. Keven ist so ein Beispiel. Ein grimmiger Blick direkt in die Kamera von Jan Poppenhagen, die Bomberjacke auseinandergezogen, auf dem Hoody steht in Runenschrift „Moabit“. Signalisiert wird der Stolz auf die Zugehörigkeit zu einer Gang im Berliner Problembezirk.
Franziska Fiolka und Rebecca Sampson wiederum zeigen Fotos junger Menschen, die ihre Probleme nicht aktiv und aggressiv nach außen tragen, sondern mit sich selbst auf autodestruktive Weise hadern. Ein mageres Mädchen sitzt nach vorne gebeugt auf dem Boden, man sieht sie von hinten, das hervortretende Rückgrat lässt auf Magersucht schließen (Sampson). Eine andere sieht in die Kamera, die Arme sind von Schnittnarben übersät, die sie sich wohl selbst zugefügt hat (Fiolka). Selten sieht man so viel intensiven Schmerz in einem einzelnen Bild dargestellt.
Ausstellungshinweis
„Megacool 4.0“, 15. Juni bis 7. Oktober, Künstlerhaus Wien, täglich 10.00 bis 18.00 Uhr, donnerstags bis 21.00 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
Das Spiel mit den Geschlechterrollen
Emos hingegen tragen ihre Verletzlichkeit nach außen, auch Gothics signalisieren durch ihre Kleidung, ihre Musik und ihr Auftreten, dass sie sich den dunklen Seiten des Lebens verschrieben haben. Gemeinsam ist den jüngeren Emos und den älteren Gothics - und auch den Cosplayern und Computerspielern - darüber hinaus das Aufbrechen von Geschlechtercodes. Burschen mit Schminke und Schmuck sind keine Seltenheit, Erwin Olafs feminin inszenierte Burschen mit Fußbällen sind bemerkenswerte Beispiele dafür.
Im Katalog wird in verschiedenen Texten, die Studien wiedergeben und zwischen Soziologie und Cultural Studies pendeln, ein Abriss verschiedener Jugendkulturen seit den 60er Jahren versucht - mit Schlaglichtern auf neuere Phänomene, vom bereits erwähnten Social Web und seinem Einfluss auf jugendliche Lebenswelten bis zu Witchhouse, wo die Identität des Einzelnen so weit verfremdet wird, dass Bandnamen mit Sonderzeichen versehen werden, um sie über Google schwieriger auffindbar zu machen.
Gemeinsamkeit im Suff
Im Katalog ist es auch, wo durchschnittliche Jugendliche, eben „Normopathen“, die leisere Mehrheit, Erwähnung finden. Nicht nur in Clubs der aufgefächerten Szenen finden sich Jugendliche - weit mehr von ihnen treffen sich bei der Freiwilligen Feuerwehr, beim Roten Kreuz und beim Sport. Gewand kaufen die meisten immer noch gerne bei großen Ketten wie H&M, und auf Chartkünstler wie Rihanna können sich viele einigen.

Künstlerhaus k/haus
Diana Deu: „50 jägermeister in 15 minuten“ (2009). Wo sich „Normopathie“ mit Subkultur trifft: beim Saufen.
Gemeinsam ist vielen Jugendkulturen ihre Freude am Exzess und an der Party. Die Künstlerin Diana Deu illustriert das in einer Zeichnung: zwei Mädchen, hochprozentig belustigt an einem Tisch sitzend, darüber der Spruch „50 Jägermeister in 15 Minuten“. Wenn sie das wirklich geschafft haben, dann Prost. Die Alkoholvergiftung ist ihnen gewiss.
Ein Ausblick auf den Rückblick
Während im Katalog also katalogisiert wird, herrscht im Ausstellungsraum die Ästhetisierung von Jugendkultur vor. Es gibt dort keinen Anspruch auf Vollständigkeit - gezeigt wird, was die Künstler an jungen Menschen interessiert. Eine weitere inhaltliche Klammer ist nicht auszumachen, was den Eindruck eines ästhetisch aufgeladenen Panoptikums jugendkultureller Besonderheiten entstehen lässt.
Spannend ist an dieser Zusammenstellung zeitgenössischer Kunst, die sich mit zeitgenössischen Jugendphänomenen beschäftigt, jedoch die historische Perspektive. Man bekommt einen Vorgeschmack darauf, wie unsere Zeit in Erinnerung bleiben wird. Denn die Bildwelt, die mit einer Epoche verbunden wird, prägen nicht zuletzt Künstler. Matthias Meyers Gemälde eines Rave etwa könnte - wer weiß das schon - eines Tages die Kultur der Zeit um die Jahrtausendwende repräsentieren: Party, bis der Historiker kommt.
Simon Hadler, ORF.at
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