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Hitler, eine Singlemutter aus Schweden

Bis vor einigen Tagen war das Twitter-Konto „@sweden“ eine Sache von ein paar eingeschworenen Fans. Das Web-2.0-Experiment, den offiziellen Account des Landes auf der Internetplattform im Wochenrhythmus wechselnd „ganz normalen“ Schwedinnen und Schweden zu überlassen, schien ein glänzendes PR-Manöver. Doch dann kam Sonja „Hitler“ Abrahamsson.

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Die 27-jährige zweifache Singlemutter hat sich den Zusatznamen selbst auf ihrem Privatblog „Hejsonja“ verliehen. Doch auf Schwedens offizieller Twitter-Seite legte sie noch nach: „Vor dem Zweiten Weltkrieg war Hitler einer der schönsten Namen in der ganzen weiten Welt. Ich weiß. Das ist so schockierend wie Vergewaltiger von Delfinen.“ Dann fragte sie sich noch öffentlich, was „denn die ganze Aufregung über die Juden soll“. Ein Schwall von Reaktionen war die Folge, und Schweden war innerhalb eines Tages vom Internetdarling zum global-virtuellen Buhmann geworden.

Geschmacklos im Minutentakt

Antisemitismus kann Abrahamsson vermutlich nicht unterstellt werden. In den folgenden Tweets erklärte sie, sie wisse wirklich nicht, was Judentum ausmache, da sie in Lappland aufgewachsen sei: Dort gebe es keine Juden. Zudem fragte sie ihre „Follower“ auf Twitter, ob die Nazis etwas gegen Juden gehabt hätten, weil „das so eine Blutgeschichte für sie war“? - weil Nazis selbst ja „Juden nicht von Nichtjuden unterscheiden“ hätten können und sie deswegen „Sterne auf die Ärmel nähen“ hätten lassen.

Die mehr als fragwürdigen Äußerungen folgten wohl dem Drang der offiziellen „Schweden-Kuratorin der Woche“ nach möglichst provokanten Äußerungen. Zuvor hatte sie sich etwa schon detailliert über ihre eigenen Geschlechtsorgane geäußert sowie darüber, dass ihr beim Konsum von Hühnerpastete „das süße Kotzen“ hochkomme und postete außerdem Fotomontagen von Queen-Sänger Freddie Mercury an ihrem eigenen Küchentisch ins Netz, unter dem Titel: „Hungriger Schwuler mit Aids“.

„Bitte ein bisschen Würde“

Die Verantwortlichen für die „@sweden“-Aktion beim schwedischen Fremdenverkehrsverband sehen keinen Handlungsbedarf: Man werde den Twitter-Account nicht löschen, „nur weil ein paar Leute sich provoziert“ fühlten. Dass Abrahams Äußerungen rassistisch seien, wies Projektverantwortliche Maria Ziv zurück. Die Begründung dafür war allerdings einigermaßen selbstbezogen: Wenn die Äußerungen rassistisch gewesen wären, „hätten wir sie gelöscht“, so die Marketingmanagerin.

Zumindest aber hat sich Sonja ”Hitler” Abrahamsson nicht an die Vorgaben gehalten, wie sie der PR-Betreuer Patrick Kampmann zuletzt gegenüber der „New York Times“ formulierte: Er sage den „Kuratoren“, sie sollten „das bitte mit ein bisschen Würde machen - denkt daran, dass das ein offizieller Kanal ist und dass das viele Leute lesen, also macht Euch nicht zu Idioten.“ Das ist laut Kampmann allerdings nur eine „zarte Anregung“ - eine Anregung, an die sich nur die wenigsten gehalten haben, wie hinzuzufügen wäre.

Telefonsex, Palatschinken und böse Disney-Cartoons

Vor Sonja gab etwa die ehemalige Telefonsex-Arbeiterin Elin Jonsson Tipps für effiziente Taktiken im Hinblick auf fernmündliche Erregung, tweetete live ihre Regelschmerzen, zählte die Kosenamen für ihre eigenen und die Genitalien ihrer Ex-Freunde auf und ließ sich sonst noch darüber aus, dass sie „gegen Koffein immun“ sei. Resultat: „scheißmüde“. Vor ihr waren auf dem Twitter-Account etwa auch eine lesbische Lkw-Fahrerin, eine Pfarrerin und eine muslimische Anwältin, die über Moslems witzelte.

Auch die Botschaften der harmloseren Twitterati muten teils etwas schrullig an. Der 24-jährige Tomas Hellborg protokollierte etwa minuziös zu sich genommene Mahlzeiten, detaillierte Rezepte zur Zubereitung von so „exotischen“ Gerichten wie Palatschinken inklusive. Davor war die feministische Singlemutter Natashja Blomberg dran, die sich vor allem Hassorgien über Disney-Cartoons widmete - weil etwa „Die Schöne und das Biest“ ihrer Ansicht nach „häuslichen Missbrauch, Entführung und die verrückte Idee, ‚dass ihn meine Liebe verändert‘, verherrlicht“.

Schweden und ihre Hobbys

Schon der erste „offizielle Schwede“, der 22-jährige Jack Werner, lieferte im letzten Dezember eine Einstimmung auf das, was kommen würde. Als Hobbys tweetete er „viel Kaffee trinken, mein Gesicht mit meinem Laptop beleuchten, mit Freunden abhängen. Oh, und dann noch Masturbation.“ In der Twitter-Gemeinde kam er damit zu einigem „Ruhm“ als „der masturbierende Schwede“. Zumindest ein wirklich schwedisches Hobby konnte einer seiner Nachfolger präsentieren: die Elchjagd. Doch auch das war kein wirklicher PR-Erfolg.

Die Fotos von dahingemetzelten Elchen wirkten für die meisten Nichtschweden eher verstörend und wurden inzwischen vom offiziellen „@sweden“-Fotoblog ebenso entfernt wie allzu freizügige Selbstporträts von Abrahamsson. Die war mit dem selbst ausgelösten Sturm der Entrüstung offenbar nicht wirklich glücklich - und postete nach dem PR-Debakel vor allem Unverfängliches wie ihre Vorlieben im Hinblick auf TV-Serien; das allerdings für 6.000 „Follower“ mehr als noch vor ihren mehr als fragwürdigen Äußerungen.

Echte schwedische Werte?

Als PR-Stunt funktionierte „Hitler-Sonja“ damit auf eine zynische Art. Ob der schwedische Fremdenverkehrsverband und das schwedische Kulturinstitut damit glücklich sind, dass Zehntausende rund um die Welt nur auf die nächste irrgeistige Blamage bei „@sweden“ gieren, sei dahingestellt. Der anfängliche Wunsch lautete jedenfalls, man wolle „mit der progressiven Art“, die Kontrolle über das Twitter-Konto „normalen Schweden zu übergeben“, „beweisen, für welche Werte Schweden steht“.

Lukas Zimmer, ORF.at

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