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Naturschock statt Kulturschock

Ernst Mikschi, der Direktor der Ersten Zoologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums, ist sich sicher: Verschwände der Mensch heute von der Erdoberfläche, die Natur hätte ihr Territorium, inklusive der Städte, rasch für sich zurückerobert. Einen Eindruck, wie die Welt dann aussehen könnte, vermittelt die Ausstellung „Freeze“.

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Die Künstlergruppe Steinbrener/Dempf hat sich mit Mikschi und dem Präparatorenteam des Naturhistorischen Museums rund um Robert Illek zusammengetan und in zwei Jahren akribischer Kleinstarbeit verschiedene Szenarien zusammengestellt. Das Ergebnis sind drei Dioramen und zahlreiche großformatige Fotos - in denen ausgestopfte Tiere das zentrale Motiv darstellen. Dioramen sind dreidimensionale Schaukäusten: Der Besucher sieht wie durch ein Fenster in einen Raum, in dem eine Umgebung nachgebaut wurde.

Präparierter Elch zwischen Supermarktregalen

NHM/Kurt Kracher

Der Elch im Supermarkt

Früher ging es bei Dioramen darum, den unberührten Naturraum von Tieren darzustellen. Steinbrener/Dempf aber wollten darauf aufmerksam machen, dass es diese unberührten Räume nicht mehr gibt. Deshalb drehten sie den Spieß um: Tiere dringen in menschliches Territorium vor statt umgekehrt. So steht der Elch, ausgestopft und in Originalgröße, im Supermarkt, wo er ein Sugoglas zerdeppert hat - eine Szene, die einem YouTube-Video nachempfunden wurde.

Kollision zwischen Tier und Mensch

Hier ist es zur Kollision zwischen Tier und menschlichem Schaffen gekommen. Diorama zwei zeugt hingegen schlicht von Ignoranz: 150 Krabben krabbeln durch ein Wohnzimmer und scheren sich nicht darum, dass sie mit ihren Scheren die Plattensammlung zerkratzen. Das dritte Szenario widmet sich der Assimilation von Tieren. Hier wurde ein Foto aus Mumbai nachgestellt, wo Affen im Kabeldschungel über einem Slum zu Hause sind.

Regal mit präparierten Schlangen, anderen Tieren und Schuhen

Steinbrener/Dempf

200 Cobras, ein Mungo, eine Schildkröte - und Schuhe

Andere Zusammenstellungen mit Tieren wurden im Studio von den Künstlern abfotografiert, die Abzüge sind in der Ausstellung rund um die drei Dioramen angeordnet. Besonders eindrucksvoll ist das Bild eines Schwerlastregals, in dem 200 Schlangen verknäult lagern, darunter das Präparat eines Mungos im Kampf mit einer von ihnen, daneben der lackierte Panzer einer Großschildkröte, darunter Schuhe aus Häuten exotischer Tiere.

Das Besondere daran: All das war im Lauf der Jahre vom Zoll beschlagnahmt worden, die Cobras sogar sämtlich auf einen Schlag. Die Beamten geben so etwas im Naturhistorischen Museum ab. Überhaupt entstammen gut 90 Prozent der gezeigten Tiere dem Fundus des Hauses. Man darf sich jedoch keine Rumpelkammer mit ausgestopften Lebewesen im Keller vorstellen. Vielmehr wurde über Jahrzehnte hinweg systematisch gesammelt.

Warten auf den natürlichen Tod

Mittlerweile gibt es auch strenge Regeln, um dem Tierschutz gerecht zu werden. Dynamitfischen war früher, sagt Zoologe Mikschi. Auf einen Tiger muss man heute warten, bis er im Zoo an Altersschwäche stirbt. Nur der Elch wurde eigens für die Ausstellung angefordert, beziehungsweise seine Haut samt Fell und Kopf. Solche Präparate werden mittlerweile ohne Skelett angefertigt. Das Fell wird auf fertige PU-Schaum-Modelle, die der Größe angepasst werden, aufgezogen.

Den Künstlern merkt man an, wie sehr sie für diese Ausstellung brennen. An „Freeze“ hat neben Christoph Steinbrener und Rainer Dempf auch Martin Huber mitgearbeitet. Das Interesse der Gruppe am Verhältnis zwischen Tier und Mensch beziehungsweise Natur und Kultur ist nicht neu. Hohe Wellen schlug 2009 ihr Projekt „Trouble in Paradise“, bei dem sie im Zoo Schönbrunn Skulpturen in Tiergehegen unterbrachten - etwa ein Auto im Badeteich des Nilpferds.

Beleuchtete Bilder bei der Ausstellung "freeze! dioramen und stillleben" im Naturhistorischen Museum Wien

NHM/Kurt Kracher

Viel Kleinarbeit im Fotostudio - mit ausgestopften Tieren aus dem Museum

Postapokalyptischer Schauder

Ein handfestes Interesse hat auch das Museum, mit Künstlern wie Steinbrener/Dempf zusammenzuarbeiten. So lässt sich kommunizieren, dass das Haus weit mehr ist als ein Ausflugsziel für Jungfamilien. Es beherbergt allein eine Million präparierter Fische, von anderen Tieren ganz zu schweigen. Die Sammlungen stehen Experten und Studenten aus aller Welt offen. Und im Museum selbst sind 60 Wissenschaftler beschäftigt.

Hinweis:

„Freeze!“: Naturhistorisches Museum Wien, 6. Juni bis 23. September, Donnerstag bis Montag 9.00 bis 18.30 Uhr, Mittwoch 9.00 bis 21.00 Uhr.

Nächstes Jahr wird das Museum einen logischen Schritt weitergehen, sagt Mikschi. Dann soll es eine eigene, rein wissenschaftliche Ausstellung mit Ökologieschwerpunkt geben. Möglicher Titel: „Das Geschäft mit dem Tod“. Zunächst aber lässt sich noch mit „Freeze“ durch künstlerische Fiktion ein Schauder erzeugen.

Man fühlt sich in der Ausstellung, als ob man sich durch eine Science-Fiction-Kulisse von Filmen wie „Twelve Monkeys“, „The Road“ oder „Logan’s Run“ bewegt. Und auch, wenn die Künstler selbst ihr Szenario nicht als postapokalyptisch verstanden wissen wollen: Fast schon möchte man nostalgisch auf die Existenz der Menschheit zurückblicken, wenn man sieht, wie hier die Tiere das Ruder übernehmen.

Simon Hadler, ORF.at

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