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Motiv bleibt unklar

Papst Benedikt XVI. hat sich angesichts der Festnahme seines Kammerdieners Paolo Gabriele „betrübt und schockiert“ gezeigt. Obwohl noch völlig unklar ist, welches Motiv Gabriele gehabt haben könnte, vertrauliche Informationen aus dem Vatikan weiterzugeben, wird bereits nach möglichen Komplizen gesucht.

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Im Zuge der Ermittlungen wird nach anderen in den Skandal verwickelten Personen gesucht, die Gabriele zur Unterschlagung der Dokumente gebracht haben könnten. „Ich wundere mich, ob diese ganze Affäre wirklich nur dem Diener des Papstes zugeschrieben werden kann, oder ob jemand anderer im Hintergrund die Fäden zieht“, zeigte sich der US-Vatikan-Experte John Allen im Interview mit „La Stampa“ skeptisch.

Er glaubt nicht daran, dass der Skandal mit der Verhaftung Gabrieles endet. Allen vermutet einen „internen Kampf unterschiedlicher Machtströmungen im Vatikan“. Die Situation sei komplexer, „mit eher beunruhigenden Interessen dahinter“.

Kardinal unter Verdacht

Nach Angaben der Mailänder Tageszeitung „Corriere della Sera“ wird ein italienischer Kardinal verdächtigt, der Auftraggeber im Enthüllungsskandal zu sein, der den Vatikan erschüttert. Weitere Festnahmen in der Affäre werden im Vatikan nicht ausgeschlossen.

Manipulation vermutet

Vertraute des Papstes sind überzeugt, dass Geld nicht das Motiv für den 46-Jährigen gewesen ist. Sie vermuten, dass er manipuliert worden ist: „Paolo liebt den Papst, er würde ihn nie verraten. Ich kenne ihn seit Jahren, und alle schätzen ihn“, sagte ein Priester, der anonym bleiben wollte, gegenüber „La Stampa“.

Kammerdiener Paolo Gabriele sitzt vor dem Papst

Reuters/Alessandro Bianchi

Paolo Gabriele zählt zum engen Kreis der „Päpstlichen Familie“

Ähnlich argumentierte auch Vatikan-Experte Allen. Es sei schwierig, die ganze Affäre nur mit einem einzigen Laien zu erklären - außer „er wurde von jemanden rekrutiert oder als Sündenbock benutzt“. Laut der Zeitung „La Repubblica“ ist unter den möglichen weiteren Verdächtigen auch eine Frau. Sie sei verheiratet und habe auch noch eine Arbeit außerhalb des Vatikans, schrieb das Blatt. Die Frau habe schon unter Papst Johannes Paul II. im Vatikan gearbeitet und seinen Nachfolger Benedikt XVI. zuletzt im März auf seiner Reise nach Mexiko und Kuba begleitet.

In italienischen Medien wurde spekuliert, dass die publik gemachten Dokumente preisgegeben wurden, um den langjährigen Privatsekretär des Papstes, Georg Gänswein, zu schaden. Dieser habe seine Position wesentlich gestärkt, er sei de facto zum einzigen Berater des Papstes avanciert, was viel Neid und Ressentiments ausgelöst haben könnte.

Beschwerde wegen Günstlingswirtschaft

Vertrauliche Dokumente aus dem Vatikan waren schon länger nach außen gedrungen und wurden in Fernsehsendungen und Zeitungen veröffentlicht. Darunter waren auch zwei Beschwerdebriefe des früheren vatikanischen Vizegouverneurs, Erzbischof Carlo Maria Vigano. Dieser hatte sich über Missstände und Günstlingswirtschaft bei der Auftragsvergabe durch die Behörden des Vatikanstaats beklagt.

In anderen publik gewordenen Unterlagen ging es um den Fall der 1983 entführten Vatikan-Bürgerin Emanuela Orlandi und um Kritik an der Führung der Vatikanbank IOR. Deren Präsident, Ettore Gotti Tedeschi, wurde vergangenen Donnerstag entlassen. Er habe trotz wiederholter Mahnungen „bestimmte Aufgaben von vordringlicher Wichtigkeit nicht ausgeführt“, hieß es vonseiten des Vatikans als Begründung.

In der Vergangenheit wurde die Bank immer wieder wegen undurchsichtigen Finanzgebarens - etwa in Zusammenhang mit Geldwäsche - kritisiert. Der Aufsichtsrat der Bank warf Tedeschi vor, selbst Dokumente nach außen gegeben zu haben. Dieser bestritt aber jegliche Verwicklungen in den „Vatileaks“-Skandal.

„Päpstliche Familie“ befragt

Drei pensionierte Kardinäle, die mit den Untersuchungen über das vom Papst selbst bezeichnete „Vatileaks“ beauftragt waren, verdächtigten jemanden aus dem engsten Kreis des Papstes. Viele Briefe, die an die Öffentlichkeit gelangt waren, waren niemals aus der Wohnung des Papstes gekommen.

Im Zuge der Untersuchungen wurde daher auch die „Päpstliche Familie“ befragt - die engsten Mitarbeiter von Benedikt XVI., darunter eben einige Ordensschwestern, Kammerdiener Gabriele und der Privatsekretär Georg Gänswein.

Gabriele widerspricht sich

Der dreifache Familienvater Gabriele hatte sich bei seiner Befragung mehrmals widersprochen. Bei einer darauffolgenden Hausdurchsuchung waren mehrere vertrauliche Dokumente beschlagnahmt worden. Mittwochabend wurde Gabriele verhaftet. Laut vatikanischem Recht könnte ihm das bis zu 30 Jahre Haft bringen, berichtete die Tageszeitung „La Repubblica“ (Samstag-Ausgabe). Er wird mittlerweile als formell Beschuldigter geführt, es wurde Anklage gegen ihn erhoben.

In der Zeitung wurden Ermittler zitiert, dass in Gabrieles Wohnung eine „beeindruckende Menge“ vertraulicher Dokumente des Papstes und Kopiergeräte gefunden worden seien. Gabriele äußerte sich bisher nicht auf Fragen von Ermittlern. Seine Ehefrau Manuela Citti zeigte sich überzeugt, dass sich die Vorwürfe gegen ihren Mann aufklären würden: „Ich kenne die Loyalität meines Mannes und die Treue, mit der er seine Aufgabe erfüllt.“

Insider informierten Journalisten

In die Vorwürfe fließt auch der Name des italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi ein, der angebliche Geheimdokumente aus dem Vatikan in seinem Buch „Sua Santita“ („Seine Heiligkeit“) veröffentlichte. Nuzzi hatte schon im Jänner den „Vatileaks“-Skandal ausgelöst, als er begann, erste interne Dokumente aus dem Vatikan zu veröffentlichen. Laut Nuzzi erhielt er seine Informationen aus verschiedenen vatikanischen Quellen. Er habe nie etwas dafür gezahlt, sagte er und weigerte sich, ein Kommentar abzugeben, ob Gabriele zu seinen Informanten zählte.

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