Themenüberblick

Denkmäler unerfüllter Hoffnungen

Als „wunderschön“ und „noch nie da gewesen“ hatte Olympiapräsident Jacques Rogge die neu errichteten chinesischen Sportstätten vor den Spielen im Jahr 2008 gepriesen. Heute würde er das wohl nicht mehr wiederholen - die Prachtbauten von damals dämmern heute als weitgehend nutzlose Kolosse vor sich hin, wenn sie nicht überhaupt schon zu Ruinen verkommen sind.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Heute sind die meisten Besucher der damaligen Vorzeigeprojekte wie dem „Vogelnest“-Stadion patriotische Touristen aus der chinesischen Provinz. Dabei geht es jedoch um architektonische Leichenbeschau, denn gerade die heutige Nutzung der 90.000 Menschen fassenden chinesischen Nationalarena wirkt im besten Fall ratlos - wenn sie nicht überhaupt ins unfreiwillig Komische abgleitet, wie bei einer temporären Umgestaltung zum „Winterwunder-Spielpark“.

Verwaiste Ränge und halb leere Erlebnisbäder

Hin und wieder investiert zwar China einen Haufen Geld, um internationale Sportveranstaltungen einzukaufen und das Vogelnest so kurzfristig zu reanimieren - das sind dann aber meist Veranstaltungen vom Rang der Motorsport-Gaudi „Race of Champions“. Eigentlich hätte das Stadion die Heimat des Pekinger Fußballklubs Guo’an werden sollen, die Fans laufen der Mannschaft aber wegen schlechter Resultate und Korruptionsvorwürfen davon, und Guo’an will sich die Schmach von Matches vor übermächtig leeren Rängen nicht antun.

Passantin vor Nationalstadion in Peking

Reuters/David Grey

Passantin vor dem „Vogelnest“, dem chinesischen Nationalstadion

Der „Wasserwürfel“ wurde inzwischen zu einem Erlebnisbad umgebaut. Diese Nachnutzung hat jedoch einigermaßen gezwungenen Charakter. Ein paar angebaute Wasserrutschen können die riesigen Dimensionen des Sportbeckens, in dem sich nun ein paar plantschende Menschen verlieren, auch nicht rechtfertigen. Letztes Jahr schrieb der Wasserpark selbst laut offiziellen Angaben und trotz großzügiger öffentlicher Unterstützung rote Zahlen in der Höhe von elf Millionen Yuan (1,3 Mio. Euro).

Wildwasserstrecke ohne Wasser

Der Wasserwürfel ist damit aber immerhin noch mit mehr Leben erfüllt als die anderen Austragungsorte von Wassersportarten im Jahr 2008. Die weitgehende Unpopularität von Wassersport - der Anteil von Nichtschwimmern an der chinesischen Bevölkerung ist unverändert hoch - hat aus dem riesigen Ruder- und Kanupark Shunyi eine verwaiste Gegend gemacht, in der ein paar vertäute Ruderboote vergeblich auf Benutzer warten. Die künstlich angelegte Wildwasserstrecke daneben liegt längst auf dem Trockenen.

Laut Susan Brownell, US-Expertin für Sportmanagement in China, wurde vor den Spielen auch kaum ein Gedanke an die Nachnutzung verschwendet. „Sie haben diese riesigen Spielstätten bekommen“, so Brownell gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, „und sie hatten keinerlei Managementerfahrung.“ Auch habe Chinas politische Führung verhindert, dass man sich Know-how aus dem Ausland besorgen habe können. Erst nach den Spielen habe man im Veranstaltungswesen „von null an begonnen“.

„Große Angst“ vor Massenveranstaltungen

Zum Teil liegt auch Kalkül darin, die Sportstätten verlottern zu lassen. Chinas politische Elite ist vor dem Generationswechsel in der Führung des Landes höchst nervös. Was sie nun nicht brauchen kann, sind Massenveranstaltungen, die den Keim für Protestbewegungen liefern könnten. Eine sportliche Großveranstaltung sei immer auch eine „eine öffentliche Versammlung“, so Brownell. „In der jetzigen politischen Atmosphäre“ gebe es jedoch „eine große Angst vor großen öffentlichen Versammlungen“.

Hund auf verlassenenm Baseballfeld

Reuters/David Grey

Das Baseballfeld des Jahres 2008 heute

Überhaupt haben sich die Hoffnungen, dass die Spiele zur Öffnung des Landes führen würden, nicht erfüllt - im Gegenteil: Der Sicherheitsapparat wurde davor massiv aufgerüstet und hat seither sogar an Macht und Umfang gewonnen. Die bedenkliche Ausweitung von Polizeibefugnissen auf dem letzten chinesischen Volkskongress ist dafür nur ein Beleg. Jacques Rogge würde sein Lob über die olympischen Spielstätten von 2008 heute wohl ebenso wenig wiederholen wie sein Versprechen von damals, dass die Spiele „einen guten Einfluss auf die soziale Entwicklung in China“ haben würden.

Links