Trash und Schmalz, Gott erhalt’s
Das erste Halbfinale des Eurovision Song Contest 2012 ist gelaufen. Zehn Finalisten für Samstag stehen nun fest - die österreichischen Trackshittaz zählen nicht dazu. Rumänien, Moldawien, Island, Ungarn, Dänemark, Albanien, Zypern, Griechenland, Russland und Irland sind weitergekommen. Der Abend bot wie jedes Jahr auch heuer wieder Pathos, Partystimmung und Skurriles.
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Neben Österreich müssen auch Belgien, Finnland, Israel, Lettland, Montenegro, San Marino und die Schweiz die Heimreise antreten. Man kann über die Trackshittaz denken, was man will - aber sie brachten ihre Performance am Dienstagabend professionell auf den Punkt und wirkten gut gelaunt. Die Tänzerinnen gaben ihrerseits an Striptease-Stangen ihr Bestes und taten, wie im Refrain geheißen. Viel war über die Trackshittaz diskutiert worden, über die Grenzen Österreichs hinaus. Geht das heute noch? Background-Sängerinnen mit dem Hintern wackeln lassen und dazu „Woki mit deim Popo“ zu singen?

Reuters/David Mdzinarishvili
Die Trackshittaz - ganz in ihrem Element
Sänger Lukas Plöchl hatte unlängst in einem „Club 2“ betont, dass der Song nicht sexistisch, sondern eher ein selbstironisch-anti-sexistisches Lied ist, das darüber hinaus einfach nur Partystimmung vermitteln soll. Ihre Nummer war jedenfalls der einzige Rap-Song im Halbfinale. Die Skulptur aus Trackshittaz plus Background-Sängerinnen am Ende sah nicht schlecht aus. Für ein Weiterkommen reichte es nicht.
Die Regeln
Für das Ergebnis zeichneten zu 50 Prozent die Anrufer und SMS-Schreiber des Abends verantwortlich, zu 50 Prozent das Votum einer Fachjury. Dieses wurde bereits am Montag gefällt, als die Teilnehmer die gesamte Show vor leidlich gefüllter Halle bereits einmal durchlaufen mussten. Am Dienstagabend herrschte hingegen Partystimmung auf vollen Rängen. Eine Punktewertung wird erst im Finale bekanntgegeben.
Ein Bühnenrambo für Montenegro
Für Montenegro trat Sänger, Komponist und Autor Rambo Amadeus (mit bürgerlichem Namen Antonije Pusic) an, der als Kultfigur am Balkan gilt und sich selbst ironisch als „World Mega Tzar“ bezeichnet. Er wirkte am Dienstagabend ein bisschen erschreckt, stapfte ungelenk über die Bühne und ähnelte optisch Joesi Prokopetz. Im Song „Euro Neuro“ erklärt Rambo rappend, dass er Snobismus und Nationalismus nicht mag, dafür aber Fahrradfahren, Nudismus und Liberalismus.
An einer Stelle heißt es, er strebe keine gute Wertung an, weil er ohnehin in seiner eigenen Liga spiele. Das Fazit des Songs ist etwas unklar, man könnte es so formulieren: Die EU schafft sinnvolle Regulierungen und verhindert Nationalismus, sollte aber keine Union sein, in der es sich am Ende nur die Reichen richten können. Was bleibt, ist der breakdancende Zwerg im Hintergrund. Ausgeschieden.

AP/Sergey Ponomarev
Greta Salome und Jonsi - mit viel Pathos für Island
„Tanz, tanz, tanz!“
Drama und Pathos bestimmten den isländischen Beitrag. Das Mann-Frau-Duo Greta Salome und Jonsi (der 2004 bereits sein Heimatland beim ESC vertrat) erzählte in „Never Forget“ eine Herz-Schmerz-Geschichte von Abschied und Liebe, aber vielleicht ist alles doch nicht ganz so schlimm, weil man sich trotz der Trauer schon jetzt auf die schönen Erinnerungen freuen darf und so weiter und so fort, begleitet von Geigen, Gitarren und viel Synthie-Trara. Die Band trat in Schwarz gekleidet auf - nur die blonden Haare von Greta Salome und Jonsi hoben sich im Dunkel hervor. Im Finale.
Griechenland setzt mit „Aphrodisiac“ auf Hip-Hop-Dance und ein energetisches Uh-Uh-Oh-Oh-Oh und auf einen Text, der gute Stimmung machen soll: „Tanz, tanz, tanz wie ein manisch Depressiver in seiner manischen Phase (‚Maniac‘)“. Dabei verzichten Sängerin Eleftheria Eleftheriou und ihr Team trotz internationaler Hitparaden-Tauglichkeit nicht auf die landestypischen Bouzoukiklänge. Das knappe Kleidchen tut sein Übriges, die Background-Sänger vom Typ „muskulöser Kfz-Mechaniker“ ebenfalls. Im Finale.
Alles wird immer schrecklicher
Lettland versuchte es mit Song-Contest-Nostalgie. Die 24-jährige Anmary besang in leichter Melodie ihren Kindertraum vom großen Sieg auf europäischer Bühne. In „Beautiful Song“ weist sie etwa auf Johnny Logan hin, der in ihrem Geburtsjahr 1988 gewonnen hatte. So brav wie der Song ist, so brav war auch Anmarys Outfit (blaues, klassisch geschnittenes Kleid) und ihr Auftreten. Nicole („Ein bisschen Frieden“) war ein Punk dagegen. Möglicherweise handelt es sich dabei um die sparsamste Song-Contest-Choreographie aller Zeiten. Ausgeschieden.
Albanien wartete mit einer etwas pessimistischen Botschaft auf. Sängerin Rona Nishliu sang in ihrem Lied „Suus“ sinngemäß, dass die Vergangenheit nichts zählt, die Gegenwart schlecht ist, und die Zukunft noch viel schlimmer wird (ein Schluchzen am Schluss inklusive). Das unterstreicht sie mit einer klassischen Ballade, einer so traurigen wie kraftvollen Intonierung und ihrem extravaganten Outfit. Bemerkenswert vor allem die Frisur: Zehn-Kilo-Hochsteck mit einer Schlangenskulptur, die sich über der Brust schlängelt. Im Finale.
Wilde Mischung aus Rumänien
Dudelsack, Roboter mit Trommeln, eine halbnackte Sängerin, freundliches R-’n’-B-Gesumsel, ein wenig brasilianisch klingt die Musik, gesungen wird in einer Mischung aus Spanisch und Englisch: Eine wilde Mischung aus Eurotrash und Exotik bot der rumänische Beitrag der sechsköpfigen Gruppe „Mandinga“. Der Text scheint zu bedeuten, dass die Sängerin jeden Tag mit ihrem Liebsten schlafen möchte. Im Finale.

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„Sinplus“ - Schweizer mit Mutmachbotschaft
Die Schweiz gab sich mit „Sinplus“ familiär und voll Power. Die beiden Brüder Ivan und Gabriel Brotggoni sind in einer musikalischen Familie aufgewachsen. Sie gaben mit ihrem Song „Unbreakable“ eine starke Botschaft zum Besten, die den Leuten zu Herzen gehen soll: Man darf sich nicht unterkriegen lassen. Wir sind stark und unzerstörbar. Uptempo-Gitarrenrock, der sich anhört, als ob er zu schnell abgespielt würde. Man soll, heißt es weiter, seinen wildesten Träumen folgen. Für die gut gegelten Brotggonis sind sie wohl mit der Song-Contest-Teilnahme wahr geworden. Ausgeschieden.
Im weißen Erstkommunionskleid
Für Belgien trat Iris mit dem Song „Would You?“ auf. Ein Klavier. Ein 17-jähriges Mädchen in einem weißen Erstkommunionskleid, das über den Knien abgeschnitten wurde. Eine simple Melodie. Ein noch simplerer Text. Mit ihrem Hüftschwung samt Links-rechts-Schritt hätte sie in den 80er Jahren auf dem Parkett einer jeden Disco einer jeden Bezirkshauptstadt für Furore gesorgt. Ob der Text überhaupt irgendeinen Sinn ergibt, war hier nicht relevant, es schien um Poesie zu gehen und um eine Frau, die sich nicht geliebt fühlt. Ausgeschieden.
Die finnische Sängerin Pernilla gehört der schwedischen Minderheit ihres Landes an - und sang deshalb ihren Beitrag „När Jag Blundar“ auf Schwedisch. Übersetzt heißt das „Wenn ich meine Augen schließe“. Das Kleid: ein Traum in Türkis; ein lieber Blick, ein breites Lächeln - so wie man es vom Song Contest von jeher gewohnt ist. Auch das Lied selbst fügt sich in die Geschichte des Wettbewerbs nahtlos ein. Pernilla sang über ihre Mutter, die eine couragierte Frau ist und ein Leben voll Farben führt. Ausgeschieden.

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Izabo: Gute Laune aus Israel
Ralph Siegels Nicht-Facebook-Song
Gut gelaunten Pop im Stile eines Patrick Wolf bot Israel. Die Gruppe Izabo huldigte mit „Time“ humorvoll den 70er Jahren. Das coole blaue Sakko des Sängers, seine Koteletten und die Schneckerlstehfrisur rundeten die Gesamterscheinung ab. Textlich ist der Song eine Ode an die Zeit, die die Führungsrolle im Leben spielt und unser Dasein bestimmt. Die Band hatte sichtlich Spaß auf der Bühne und nahm sich selbst nicht ernst - eine Ausnahmeerscheinung beim Song Contest. Ausgeschieden.
Der Eurovision-Veteran Ralph Siegel zeichnet für den Beitrag des Zwergstaats San Marino verantwortlich. Vorgetragen wurde er von der Sängerin Valentina Monetta, die ihr Lied „Facebook, uh, oh, oh“ umbenennen musste in „The Social Network Song (Oh Oh - Uh - Oh Oh)“. Der blauer Lederlook der Sängerin und die lustigen Kostüme der Band prägten den Vortrag des schwungvollen Popsongs. Siegel schrieb übrigens auch Nicoles Gewinnersong „Ein bisschen Frieden“. Ausgeschieden.

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Ivi Adamou trug für Zypern „La La Love“ vor
Autotune vom Büchertisch
„La La Love“ von Ivi Adamou ist der Beitrag aus Zypern. Schönheiten räkeln sich über einen Büchertisch. Die Performance: volle rote Lippen, lange, dunkle Locken, per Autotune getrimmte Stimme, Synthie-Klänge, wie sie sich bereits Anfang der 90er Jahre in Großraumdiscos bewährt hatten. Die Liebe macht’s möglich: Gemeinsam jettet man um die Welt und ist glücklich. Das zumindest ist in etwa der Inhalt der Lyrics. Im Bühnenbild offenbart sich hingegen eine Liebe zum Ornament. Im Finale.
Für Dänemark tritt Soluna Samay mit dem gitarrenlastigen Song „Should’ve Known Better“ an, einer Power-Mädels-Hymne, die gut zu den Cowboystiefeln passt, die Samay im offiziellen Eurovisions-Video trägt, aber auch zum Sgt.-Pepper’s-Sakko auf der Bühne. Die junge Sängerin ist die Tochter eines Deutschen und einer Deutschschweizerin und wuchs in Guatemala auf. Gecasted wurde sie von Hitproduzenten Remee und Chief 1. Die Lyrics: Irgendjemand vermisst irgendjemanden, wie die Sahara angeblich den Regen vermisst. Im Finale.

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Buranovskiye Babushki: Die Damen sind zwischen 56 und 76 Jahre alt
Die russischen Song-Contest-Omas
Die um Längen eigenständigste Leistung lieferten die russischen Song-Contest-Omas Buranovskiye Babushki ab. Die jüngste der Damen ist 56, die älteste 76 Jahre alt. Auf der Bühne wurde live Brot gebacken. Der Song „Party for Everybody“ wurde in der Tracht und Sprache der Udmurten präsentiert, nur der druckvolle Refrain ist in Englisch gehalten. Im Text freuen sich die Sängerinnen wie alle Großmütter, weil die Kinder samt Enkeln zu Besuch kommen: Bumm, Bumm, Party! Im Finale.
Ungarn entsandte vier Männer, die wie klassische Machos aussehen, aber mit „The Sound of our Hearts“ einen Song vortrugen, der ihre gefühlvolle Seite zeigt. Denn die rockige Ballade „Sound of Our Hearts“ offenbart, dass Compact Disco Harmonie lieben und den Hass, den es allerorten gibt, gar nicht mögen. Die druckvolle Nummer macht Lust auf Frieden, Muskeltraining und Solarium. Das ist der Sound ihrer Herzen. Der Sänger trug einen Mantel in schwarzer Müllsackoptik. Im Finale.

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Jedward - Iren mit neuen Frisuren
Jedward nach dem Sturm von Baku
Der moldawische Sänger der Band Pasha Parfeny sah aus wie der junge Ed Norton. Seine Band lieferte eine gut gelaunte Gypsy-Brass-Pop-Nummer ab. In „Lautar“ geht es um ein verwöhntes Prinzesschen, das es mittels Trompeten aus dem Verwöhnhimmel zu vertreiben und alsdann zu erobern gilt. Pasha Parfeny machten zumindest Stimmung im Saal, auch wenn ihr Song nicht ewig in Erinnerung bleiben wird. Die Background-Sängerinnen hopsten lustig in Marionettenmanier herum. Im Finale.
Die Vertreter Irlands sind alte Bekannte: Jedward, die beiden modisch kreativen Zwillinge. Allerdings dürften sie mit ihren markanten Stehfrisuren in den Sturm gekommen sein, der vor der Halle in Baku wütete. Sie tragen jetzt wilde Seitenscheitel. Im Vorjahr erreichten sie in Düsseldorf Platz acht - waren davor aber als Topfavoriten gehandelt worden. Der Song „Waterline“ ist weit konventioneller geraten als die Vorjahresnummer „Lipstick“ - eine Popnummer, wie sie auch vor dreißig Jahren bereits in der Hitparade hätte laufen können. Ein Auftritt und ein Lied, das niemandem wehtat, aber auch nur wenige Begeisterungsstürme hervorrief. Im Finale.
Simon Hadler, ORF.at
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