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Auto in Luft gesprengt

Vor 20 Jahren hat die Mafia in Sizilien den Richter Giovanni Falcone ermordet. Der Anschlag von Brindisi wirft nun erneut ein Schlaglicht auf das Unwesen der Organisierten Kriminalität. Die Schule, vor der sie explodierte, ist nach Falcones Frau benannt.

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Seinen größten Fall trieb er in den 1980er Jahren voran, einen Prozess gegen rund 400 Mafia-Mitglieder - für das Verfahren wurde eigens ein Bunker aus Stahlbeton errichtet. Von den Drohungen der Mafia ließ sich Falcone nicht aus der Ruhe bringen. Unbeirrt kämpfte der sizilianische Untersuchungsrichter gegen die Organisierte Kriminalität - bis eine Bombe am Abend des 23. Mai 1992 sein Auto in die Luft jagte. Falcone war mit seiner Frau Morvillo und Leibwächtern auf dem Weg zu seinem Ferienhaus.

Wenige Wochen später schlugen die „Paten“ nochmals spektakulär zu. Am 19. Juli ermordeten sie in Palermo Falcones Kollegen Paolo Borsellino. Sie sprengten ihn mit einer Autobombe in die Luft, als er seine Mutter besuchte. Auch dabei starben mehrere Leibwächter. Just zum Jahrestag meldet sich ein Kronzeuge zu Wort: Der Mafioso Gaspare Spatuzza, der das Auto für die Bombe auf Borsellino besorgte, sagte nach Medienberichten, er sei auch beauftragt gewesen, den Sprengstoff für Falcone zu beschaffen. „Niemand hat mir je ausdrücklich gesagt, wozu der Sprengstoff dienen sollte“, beteuert er.

500 Kilogramm Sprengstoff

Mindestens 500 Kilogramm Sprengstoff brachten die Killer bei dem Ort Capaci bei Palermo in einem Abwasserrohr an der Autobahn an und zündeten ihn, als Falcones Wagen drüberfuhr. Das Auto flog hundert Meter, die Körper des 53-Jährigen, seiner Frau und dreier Leibwächter wurden völlig zerfetzt. Nicht ganz klar ist bis heute, wie es dazu kommen konnte. Falcone stand unter strengem Schutz. Spekuliert wurde, dass seine Reiseroute verraten wurde - und dass er den Nahtstellen zwischen Mafia, Wirtschaft und Politik zu nahe gekommen war.

Tatort des Anschlags auf Mafia-Jäger Giovanni Falcone

AP

Das Auto Falcones war nach dem Anschlag hundert Meter weit geflogen

Falcone und Borsellino gelten heute als Nationalhelden. Der Flughafen von Palermo, Straßen und Plätze sind nach ihnen benannt. Zum 20. Jahrestag des Falcone-Attentats werden Staatspräsident Giorgio Napolitano, Regierungschef Mario Monti und der Anti-Mafia-Staatsanwalt Pietro Grasso nach Palermo reisen und an die Ermordeten erinnern - und an das, was sie erreicht haben.

Attentat als „Terrorbotschaft“

Beide brachten zahlreiche Mafiosi hinter Gitter, verfügten über immenses Wissen und führten mutig den Kampf - klar, dass die Bosse das nicht dulden konnten. Für Grasso hatten die Attentate aber eine neue Dimension. „Das Attentat von Capaci war von seiner Art her nicht üblich für die Cosa Nostra. Es war eine Terrorbotschaft“, sagte Grasso dem „Corriere della Sera“.

Falcone und Borsellino stammten aus einem einfachen Viertel in Palermo, und wahrscheinlich war es auch ihre Herkunft, die sie als Mafia-Jäger so erfolgreich machte. Sie wussten, wie die „Krake“ funktionierte. Falcone gelang es, Mafiosi zum Reden zu bringen und damit das oberste Gesetz der „Ehrenwerten Gesellschaft“ zu brechen. „Vergessen Sie nicht, dass Ihre Rechnung mit der Cosa Nostra nie beglichen werden kann“, warnte ein Kronzeuge. Falcone verstand: „Ich weiß, dass meine Schuld nur mit dem Tod abgegolten werden kann.“

Protestwelle ausgelöst

Die Attentate lösten eine Protestwelle aus, Frauen hängten weiße Bettlaken aus den Fenstern mit Parolen wie „Schluss mit der Mafia“. Der Staat sagte der Mafia den Kampf an. Soldaten wurden auf Sizilien stationiert. Dutzende Mafiosi gingen ins Netz, reihenweise endeten Prozesse mit „lebenslänglich“. Selbst der „Boss der Bosse“, Toto Riina, landete hinter Gittern, er soll die Morde an Falcone und Borsellino befohlen habe. Der Mörder Falcones, Giovanni Brusca, der Hunderte Menschen getötet und einige Opfer in Salzsäure aufgelöst haben soll, wurde 1996 gefasst. Er wurde später Kronzeuge.

Für die Mafia-Jäger von heute ist Falcone Vorbild und Ansporn. Der Gedanke an Falcone gebe ihm Kraft, sagte Grasso dem „Corriere della Sera“. Bis heute besitze er ein Feuerzeug, das ihm Falcone kurz vor seinem Tod gegeben habe, weil er das Rauchen aufgehört hatte. Er sei für ihn wie eine Reliquie. „Ich habe es immer in der Tasche, und es hilft mir, schwierige Momente zu bestehen, ich erinnere mich dann an all die Angriffe, die Falcone überstanden hat.“

90er Jahre bringen Strategieänderung

Mit der Verhaftung von Toto Riina in den 1990er Jahren änderte die Mafia ihre Strategie, weg vom brutalen Mord und von Schießereien auf offener Straße. Heute geht sie leiser vor, ist schwerer zu fassen. Baugeschäft, Müll, Subventionsbetrug, Falschgeld, Drogenhandel - in vielen Bereichen mischt sie mit. Wer sich ernsthaft mit ihr anlegt, riskiert aber weiterhin sein Leben.

Der Mafia-Autor Roberto Saviano lebt seit der Veröffentlichung seines Buches „Gomorrha“ versteckt, immer begleitet von Bodyguards. Dennoch gibt er nicht klein bei. Bei einer Lesereise warnte er im März in München: „Die Mafia ist kein Problem Italiens, sondern der ganzen Welt.“

Sabine Dobel, dpa

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