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Eine Stadt erfindet sich neu

Seit 1999 verwandelt sich die dänische Stadt Aarhus in den ersten Mai-Tagen in eine Metropole der Popmusik. Von den Kopenhagenern oft als Provinz belächelt, ist die Hafenstadt in der Größe von Graz ein Zentrum neuer, junger Musik aus ganz Skandinavien. Die Stadt selbst pflegt dieses Image: Statt auf Traditionen setzt man auf die 49.000 Studenten, die das Bild der Stadt prägen - und schafft in der Tradition von Arne Jacobsen und Eric Möller neue Kulturbauten, die das Image nach außen bestimmen sollen.

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Wenn die finnische Stadt Lahti, wie der US-Kritiker Alex Ross vor ein paar Jahren mit Blick auf die Statistik enthüllte, das heimliche Mekka der klassischen Musik ist (im Verhältnis von Einwohnerzahl zu Besuchern von Oper und E-Musik-Konzerten), dann ist das Aarhus im Bereich der Independent-Musik. Wenige andere Orte vergleichbarer Größe bieten jungen Bands derart vielfältige Auftritts- und Produktionsmöglichkeiten wie Aarhus.

Blick auf den Hafen von Aarhus

Ole Hein Pedersen/Aarhus Media Center

Hafenstadt mit Dauer-Regenbogen dank Olafur Eliasson

Junges Image durch die Kunst

Die Stadt in der Mitte Jütlands setzt, gerade in Konkurrenz zur Metropole Kopenhagen samt Umland, dezidiert auf Jugendkultur in ihrem gesamten Stadtbild - auch in der Vermittlung ihres Images nach außen. 2017 will man mit einem neuen Hafenviertel und einer Reihe an Kulturbauten, die in den letzten Jahrzehnten, nicht zuletzt auch in Kooperation mit privaten Konzernen, geschaffen wurden, europäische Kulturhauptstadt werden.

Gerade weil man nicht auf eine üppig ausgestattete Altstadt mit Kulturdenkmälern setzen kann, hat man sich an zwei Faktoren erinnert: die moderne dänische Design- und Architekturtradition - immerhin haben Arne Jacobsen und Eric Möller in den 1940er Jahren mit dem Rathaus von Aarhus eine Landmark der klassischen Moderne gesetzt, die heute noch Besucher ob des bis ins kleinste Detail reichenden Funktionalismus zu beeindrucken vermag. Und Aarhus besann sich auch des Umstands, dass die Stadt mit ihren 250.000 Einwohnern vom Leben von 49.000 Studenten geprägt ist. Und diese artikulieren einen starken Bedarf an urbanem, jungem Lebensgefühl.

Blick in das Innere des Rathauses von Eric Möller und Arne Jabobsen

ORF:at

Klassiker der Moderne: Das Innere des Rathauses von Aarhus, gestaltet von Eric Möller und Arne Jacobsen

Die Silhouette der Stadt prägt neben den Hafenkränen und der Alten Domkirche der Rathausturm, den Jacobsen und Möller mit Eigensinn gegen Auftrag und Willen des städtischen Bürgertums mit verkleideten Betonstreben errichteten, so als hätte jemand vergessen, das Baugerüst abzubauen. Doch unweit des Rathauses prunkt ein weiteres Bauwerk: das Kunstmusuem ARoS, in seinem Kern ein funktionaler Museumsbau des lokalen Architektenteams Schmidt, Hammer & Lassen aus dem Jahr 2003, der dänische Backsteintradition mit Anklängen an die Spirale des New Yorker Guggenheim Museum verbindet.

Gekrönt wird der funktionale Bau von der 360-Grad-Regenbogen-Passage des dänisch-isländischen Multitalents Olafur Eliasson, der der Stadt so etwas wie eine bunte Krone aufsetzt und allen Besuchern einen luftigen Rundgang und farblich entrückte Aussichten auf Stadt, Land und Meer eröffnet.

Blick auf das Museum Moderner Kunst in Aarhus und dem Regenbogenaufsatz von Olafur Eliasson

Aahrhus Media Center/Ole Hein Pedersen

Tägliche Regenbogenparade - auch in der Nacht

Godsbanen: Güterbahnhof als Kulturareal

Rund um dieses Bauwerk hat die Stadt nun begonnen, ihre neue Kulturindustrie anzusiedeln - nicht in Form von spektakulärer Architektur, sondern in Verwandlung existierender Funktionsbauwerke. Großes Projekt: die Umgestaltung von Godsbanen, dem alten Güterterminal, der mit Hallen aus den 1920er Jahren historischen Altbestand aufzuweisen hat, zu einer begehbaren Dachlandschaft, unter deren schrägen Flächen sich zahllose Hallen für freie Kulturproduktionen befinden.

Schräges Dach des Godsbanen-Kulturcenters

Godsbanen.dk

Schräge Produktionen unter schrägen Dächern: Kulturbahnhof Godsbanen

Erst im Frühjahr wurde Godsbanen eröffnet und sofort mit zwei Festivals, einem für zeitgenössische Independent-Musik (Spot Festival) und einem für Experimentalmusik der Gegenwart (Spor Festival) aus dem E-Genre bespielt. Zugleich ist es nicht nur eine Spielstätte für unterschiedliche Theaterprojekte, sondern auch Heimat von Vernetzungsplattformen wie dem „Institut for (X)“, das sich als Kultur- und zugleich Wirtschaftsplattform für junge Designer, Musiker, Künstler, Unternehmer und Handwerker versteht - für diese Plattform bietet der dekonstruktivistische Bau von Godsbanen zahlreiche Werkstätten und Produktionsräume.

Keine Berührungsängste

Grundsätzlich soll es wenige Grenzen zwischen den einzelnen Kunstgenres geben. Als man Anfang Mai das Spot Festival zwischen dem Musikhus und Godsbanen ausrichtete, ließ man auch die mittlerweile weit über Dänemark etablierten Raveonettes im größten Konzertsaal der Stadt auftreten und erlaubte der Band, den Klangkörper des Konzertsaals mit Post-Punk zum Schwingen zu bringen.

Konzert der Ravonettes im Rahmen des Spotfestivals

ORF.at

Raveonettes im Tempel der Hochkultur, Spot 2012

Überhaupt hat die Stadt im Lauf der Zeit geschickt eine Reihe an Institutionen angesiedelt, die das Jugendkulturimage der Stadt tragen. So sitzen der dänische Musikverband ROSA und der Musikexport Denmark (MXD) in Aarhus, die beide mit dem Spot Festival und der Exportkulturveranstaltung Spot on Denmark (die seit drei Jahren auch jedes Jahr im Februar in Wien gastiert) entscheidend zur Verbreitung dänischen Musikschaffens beitragen.

Veranstaltungen wie Spot finanzieren sich wieder von den Überschüssen des legendären Roskilde-Festivals, das als gemeinnützige Veranstaltung zwar keine Mehrwertsteuern zahlt und mit einem Heer von Freiwilligen arbeitet, aber Überschüsse an andere gemeinnützige Veranstaltungen abführen muss. Und so ist Roskilde mit seinen jährlich 100.000 Besuchern Mitfinanzier einer Veranstaltung, die jedes Jahr 3.000 Besucher, 500 Branchenvertreter und Dutzende Bands aus Skandinavien und Europa anzieht.

Österreich war heuer mit einem Gastspiel von Garish vertreten - und importiert die dänische Musikexportidee heuer zum ersten Mal für die Konzertreihe „Vienny my Love“ in Warschau und Paris, bei der man Musik mit einer österreichischen Herkunftsbezeichnung im Ausland platzieren möchte.

„Kulturexport ohne nationalistische Keule“

„Dänemark hat vorgezeigt, wie man Musikexport unpeinlich und ohne große nationalistische Keule forcieren kann“, meint Hannes Tschürtz von Ink Music, der mit seinem Label heuer wieder in Aarhus war, um den Austausch zwischen skandinavischer und österreichischer Musik zu forcieren.

Für Tschürtz haben Städte wie Aarhus ihren Standortnachteil gegenüber großen Metropolen in einen Vorteil verwandelt: „Metropolen sind kulturell mittlerweile oft schon nahe an der Grenze zur Übersättigung, die Reizschwelle ist enorm hoch, das Programm und die Konkurrenz an allen Ecken und Enden dicht. Kleineren Städten wie Aarhus bleibt daher oft nichts anderes übrig, als mutig im Kreieren von Kunst- und Kulturprojekten oder auch Infrastruktur zu sein, weil sie nur so im Spiel der Aufmerksamkeiten überhaupt mithalten können.“

Tatjana Domany vom Music Export Austria

Henrik Friis/MXD

Tatjana Domany: „Sehr vom dänischen Modell inspiriert“

Anregungen für Österreich

Die in Aarhus entwickelte Musikexportidee hat mittlerweile auch in Österreich Früchte getragen. Daran erinnert Tatjana Domany vom Exportbüro im Österreichischen Musikfonds, das 2011 installiert wurde. „Wir wurden sehr von dem dänischen Modell inspiriert“, so Domany gegenüber ORF.at.

Die Grundidee, in verschiedenen Ländern landesspezifisch programmierte Abende mit jungen Liveacts und konzentriertem Austausch zwischen Branchenvertretern zu veranstalten, werde von der dänischen Seite immer „sehr sympathisch und effizient umgesetzt“.

Aus der dänischen Inspiration und unterstützt von den jeweiligen österreichischen Kulturforen sowie AußenwirtschaftsCentern habe man aktuell zwei Events entwickelt, die konzipiert seien. Da ist zunächst „Vienna my Love“, bei dem am 24. Mai Elektro Guzzi, Luise Pop und M185 in Warschau auftreten. Am 14. Juni zieht man mit „Vienna my Love“ dann in Paris ein, wo man sich mit den Acts b.fleischmann, Ginga und Clara Luzia präsentiert.

Konzert im Innenhof des V58-Clubs

ORF.at

Off Spot: Am Rande des Spot Festivals bespielen Bands wie Cody (gut versteckt hinter den Wimpeln) die Innenhöfe der Stadt - hier im V58

Die Lehre von Aarhus, so erinnert wieder Tschürtz, sei, dass sich Mut zum Außergewöhnlichen auszahle, ja notwendig sei: „So angenehm es ist, dermaßen viele Dinge in Wien zu haben, so kulturell und gesellschaftlich wichtig ist es, das Kunsthaus in Graz, die Tiroler Festspiele in Erl oder das Jazzfest in Saalfelden zu haben. All diese Gebäude und Events wären in Wien wohl nur halb so originell und spektakulär und sind ‚draußen‘ doppelt so wertvoll.“

Spot zum Nachhören

Der Webradiosender Byte FM bringt am Freitag, 17.00-19.00 Uhr, einen Rückblick auf Spot Festival 2012 in seiner Sendung Popschutz.

Viele Locations und Clubs

Auffällig an Aarhus ist, dass neben den großen Kultureinrichtungen viele kleine Clubs die Verbreitung des neuen dänischen Pop-Wunders ermöglichen. Die Stadt selbst investierte in den letzten Jahren in Gemeinschaft mit privaten Sponsoren in zahlreiche Locations, die für lokale und internationale Bands als Auftrittsraum dienen.

Mit dem Atlas und der Voxhall stellte die Stadt binnen kurzer Zeit gleich zwei Konzerthallen in unmittelbarer Nachbarschaft auf die Beine, eine für 700 Zuhörer und eine für 300. Auffallend ist, dass oft die Hälfte der Errichtungskosten von privater Seite gestellt wurde - der Betrieb aber über die Stadt aus öffentlicher Hand erfolgt. Für Dänemark, so erinnert man im Rathaus von Aarhus, sei das ein normaler Vorgang und verweist dabei auch auf die neue Kopenhagener Oper, die zu einem großen Teil von einer Großspedition finanziert wurde.

Die Stadt versöhnt sich mit dem Hafen

2017 möchte Aarhus europäische Kulturhauptstadt sein. Aus diesem Grund wurde die Initiative „Rethink Aarhus“ auf die Beine gestellt. Der Effekt dieses Engagements soll sich in der Neugestaltung des Hafens widerspiegeln. Hier lässt Kopenhagen grüßen, hat die Hauptstadt doch vorgemacht, wie man aus einer ehemaligen Landungsbrücke rund um Islands Brygge eine breite Wohn- und Freizeitlandschaft machen kann. Doch neben den Wohnprojekten (die in Kopenhagen zu Luxusdomizilen und zur Lieblingskulisse für Nordland-Krimis geworden sind), setzt man in Aarhus mit dem geplanten Urban Mediaspace vor allem auf die Erschließung eines öffentlichen Raums.

Projekt des neuen Mediaspaces im Hafen von Aarhus

Aarhus Urban Mediaspace

Mit dem neuen Urban Mediaspace realisiert Aarhus sein bisher größtes Kulturprojekt - verbunden wird die Altstadt mit dem Hafen

Um 1,9 Mrd. dänische Kronen (ca. 255 Mio. Euro) errichtet man eine neue Bibliothek, durch die auch alle Formen des Bürgerservice ins digitale Zeitalter überführt werden sollen. Zudem stärkt die Stadt mit dem Bau auch ihr Image als Kaderschmiede der Journalisten von morgen, beherbergt doch Aarhus und nicht Kopenhagen die Schule für Journalismusausbildung.

Bild von Bürgermeister Jacob Bundsgaard bei der Eröffnung des Spot-Festivals

Spotfestival

Bürgermeister Bundsgaard: „Popkultur ist zentrales Image der Stadt“

Der Hafen, der bis jetzt wie ein Fremdkörper hinter der Altstadt lag, wird durch das große Neubauprojekt nun Teil des urbanen Raums und erstmals auch für eine öffentliche Nutzung interessant. 2015 soll die neue Hafenlandschaft der Öffentlichkeit übergeben werden.

„Immer ‚Cutting Edge‘“

Urbanität und die Verbindung von Design und Architektur seien für das Selbstverständnis einer Stadt wie Aarhus zentral, erläutert Bürgermeister Jacob Bundsgaard gegenüber ORF.at. Aarhus habe die höchste Konzentration an Design- und Architekturbüros in ganz Skandinavien. Und diese Kultur solle sich im Selbstverständnis der Stadtspiegeln. Konkurrenz mit der Hauptstadt sieht Bundsgaaard wenn auf einem „freundlichen“ Level: „Wir haben eine gute Tradition von Kooperation und freundlicher Konkurrenz. Was gut für Aarhus und gut für Kopenhagen ist, das ist gut für Dänemark als Ganzes.“

Entscheidend für Aarhus bleibe aber das junge Gesicht, das man der Welt zeige: „Popkultur und der Anspruch, immer ‚Cutting Edge‘ zu sein, ist entscheidend für das Image von Aarhus. Das Spot Festival ist in diesem Zusammenhang ein Schlüssel für unser Selbstverständnis so wie die 49.000 Studenten, die das Stadtbild prägen.“ Wenn Bundsgaard, Jahrgang 1976, wie jüngst vor internationalen Medienvertretern die Popkultur preist, dann durften die geneigten Zuhörer einer Sache sicher sein: Hier kennt jemand das Genre nicht nur vom Hörensagen.

Gerald Heidegger, ORF.at

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