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Die weite Reise der „Sixtina“

Die „Sixtinische Madonna“ oder „Sixtina“ hat der italienische Renaissance-Maler Raffaelo Santi, kurz Raffael, Anfang des 16. Jahrhunderts für den Hochaltar der Klosterkirche San Sisto in Piacenza geschaffen. Fast unbeachtet hing sie dort rund 250 Jahre lang, ehe sie nach Dresden kam, von Romantikern entdeckt wurde und zu einem der bedeutendsten Gemälde der Renaissance avancierte.

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Ein grüner Vorhang öffnet den Blick auf die Szenerie einer „Sacra Conversazione“ („heiligen Unterhaltung“) zwischen Maria mit dem Jesuskind, der heiligen Barbara, von der das Kloster eine Reliquie aufbewahrte, und Papst Sixtus II., dem Namensgeber der Klosterkirche und des Gemäldes. Die Figuren sind streng geometrisch in einem Dreieck angeordnet, Barbara durch den Turm hinter ihr, Sixtus durch die Tiara zu seinen Füßen identifizierbar.

Gemälde "Sixtinische Madonna" von Raffael

picturedesk.com/Interfoto/A. Koch

Modell für Maria soll die römische Bäckerstochter und Geliebte Raffaels, Fornarina, gestanden haben

Der Heilige deutet mit seiner rechten Hand auf ein Kruzifix, das in Piacenza dem Bild einst gegenüber hing. Auch die Blicke Marias und des Kindes sind frontal darauf gerichtet und spiegeln ernst die Bestimmung Christi wider. Die heilige Barbara schaut gütig auf zwei Engel hinab, die sich am unteren Bildrand auf einer Brüstung aufstützen. Der Raum hinter der Madonna wird durch eine Wolke aus einer Unzahl verschwommener Engelsköpfe ausgefüllt, die erst bei näherer Betrachtung als solche erkennbar sind.

Ein eigener Bildtypus?

Ungewöhnlich für eine „Sacra Conversazione“ ist, dass Maria aufrecht auf einer Wolke heranzuschweben scheint. Laut einer anderen Theorie zeigt das Bild deshalb eine Epiphanie. Eine dritte Theorie schließlich sieht in der „Sixtina“ die Inthronisation bzw. Himmelfahrt Marias dargestellt. Jene Lünette, die noch heute die in Piacenza verbliebene Kopie schmückt und aus zwei Engeln, die eine Krone über Maria halten, besteht, lasse darauf schließen.

Auf eine einheitliche Interpretation hat sich die Kunstgeschichte bisher nicht geeinigt. Eine weitere Theorie geht daher davon aus, dass Raffael mit der „Sixtina“ einen eigenen Bildtypus geschaffen hat.

Von Piacenza nach Dresden

1512 gab Papst Julius II., den Raffael dann im Heiligen Sixtus abbildete, das Altarbild in Auftrag und stiftete es dem Benediktinerkloster zum Dank für den Anschluss Piacenzas an den Kirchenstaat. Entgegen damaliger Gepflogenheiten malte es Raffael auf Leinwand, vermutlich um den Transport des 265 mal 196 Zentimeter großen Bildes von Rom nach Piacenza zu erleichtern.

Die „Sixtina“ sollte knapp 250 Jahre später aber eine viel weitere Reise antreten. Weil das Kloster in tiefen Schulden steckte, verkaufte es das Gemälde nach langwierigen Verhandlungen 1754 an Sachsens Kurfürsten und Polen-König August III. für 25.000 Scudi Romani und eine Kopie – die bis dahin höchste Summe für ein Gemälde in der Kunstgeschichte. Damals lagen die Höchstpreise bei 800 Scudi Romani.

Legende ist, dass August III. bei der Ankunft des Bildes in Dresden mit den Worten „Platz für den großen Raffael“ eigenhändig seinen Thronsessel beiseitegeschoben haben soll.

„Edle Einfalt und stille Größe“

Führte die „Sixtina“ in Piacenza über Jahrhunderte ein beinahe unbemerktes Dasein, wurde sie in Dresden weltberühmt. Zu verdanken war das unter anderen dem Archäologen Johann Joachim Winckelmann, dem die „Sixtina“ geradezu mustergültig die Schönheitsideale der Antike zu verkörpern schien: „Wie groß und edel ist ihr ganzer Contur!“ Und damit hatte er einen Nerv getroffen.

Bald schwärmten vor allem die Romantiker von der „edlen Einfalt und stillen Größe“ der Madonna. Für Johann Wolfgang von Goethe war sie „der Mütter Urbild, Königin der Frauen, ein Wunderpinsel hat sie ausgedrückt“, für Friedrich Hebbel „die höchste des Himmels“ und für Johann Gottfried Herder „das Bild der Göttin“.

Liebling der Kopisten

Heinrich von Kleist kam „täglich“ und stand „stundenlang“ vor dem Bild, Ludwig Tieck konnte sich hier „des Glaubens und der Andacht“ nicht erwehren, und Novalis schrieb: „So wirkte noch nie ein Bild auf mich! Was ich fühlte, nenne ich Andacht, wahre religiöse Andacht, Anbetung, weil ich kein Wort sonst weiß.“

Alle schienen wie berauscht von dieser Madonna zu sein. Der erste Kupferstich der „Sixtina“ wurde 1780 angefertigt, schließlich drängten sich im 19. Jahrhundert derart viele Kopisten vor ihr, dass sich viele Besucher beschwerten, weil ihnen Sicht - und Andacht - geraubt waren. Einem Kopisten fiel die Staffelei um und hinterließ drei Risse auf dem Original. Später folgten schließlich unzählige Fotografien und Drucke.

Intermezzo in der Sowjetunion

Angesichts des bevorstehenden Zweiten Weltkriegs wurde die Gemäldegalerie Alter Meister in Dresden, wo die „Sixtina“ zuletzt hing, 1938 geschlossen und der Bestand in Depots ausgelagert. Als 1945 sowjetische Truppen einmarschierten, wurde die Sammlung konfisziert und nach Moskau gebracht. 1955 gab die Sowjetunion die Gemälde der DDR zurück, 1956 wurde die Dresdner Galerie mit ihrem Hauptwerk, der „Sixtina“, wieder geöffnet.

Neuer Rahmen zum Jubiläum

Unter dem Titel „Die schönste Frau der Welt wird 500!“ zeigt die Gemäldegalerie Dresden in einer Sonderschau vom 26. Mai bis 26. August die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von Raffaels berühmtester Mariendarstellung. Zum Jubiläum wurde die „Sixtina“ zudem neu gerahmt und neu verglast.

Armin Sattler, ORF.at

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