Wer profitierte von Gesprächen?
Es war von Anfang an ein Gordischer Knoten: Die konservative Nea Dimokratia (ND) und die Sozialisten (PASOK) hatten als Verteidiger des Sparkurses nach der Wahl in Griechenland keine Mehrheit. Und die anderen fünf Parteien machten alsbald klar, dass sich keine Einigung auf eine tragfähige Regierung ausgehen würde. Das Gespenst von Neuwahlen nach den Neuwahlen bestimmte schon bei den Verhandlungem die Strategie der Parteien - und machte damit eine Lösung erst recht unmöglich.
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Alle Parteien mussten sich die Frage stellen, wie ihr Verhalten bei den Verhandlungen ihre Chancen beim nächsten Urnengang beeinflussen würden. Und damit war jede inhaltliche Bewegung verboten, bei den etablierten Parteien mit ihrer Verpflichtung zum Sparen genauso wie bei den Protestparteien, die eben wegen ihrer harten Haltung gewählt wurden. So wurden die Gespräche zu einer Art Speed-Dating nur für Showzwecke.
ND und PASOK im Dilemma
Vor einem Dilemma stehen vor allem die ehemaligen Regierungsparteien ND und PASOK. Sie wurden von den Wählern abgestraft, halten gemeinsam gerade einmal bei 32 Prozent der Stimmen und haben nur deshalb noch mehr Gewicht, weil die ND nach geltendem Wahlrecht als stärkste Kraft 50 Zusatzmandate geschenkt bekam. Die beiden Parteien sind die einzigen, die hinter dem mit der EU ausgehandelten Sparkurs stehen - wohl auch weil sie es müssen: Sie sind ihren europäischen Partnern im Wort, einen Schwenk können sie sich auch von ihrer Glaubwürdigkeit nur schwer leisten.
Vieles spricht dafür, dass sie in dieser Position ein wenig wider Willen gefangen sind: Laut Umfragen sind rund 80 Prozent der Griechen gegen das rigide Sparprogramm, will man Stimmen dazugewinnen, müsste es hier inhaltliche Bewegung geben. So versuchten ND und PASOK in den vergangenen Tagen eine gefährliche Gratwanderung. Sie wollten staatstragend wirken, indem sie zeigten, dass sie so richtig ernsthaft versuchen würden, Regierungsverantwortung zu übernehmen und damit erneut sich demonstrativ hinter das Paket stellen. Das schien mit Blick auf eine mögliche Wahlwiederholung aber keine strategisch gute Lösung zu sein. ND-Chef Antonis Samaras gab sein Mandat zur Koalitionssuche binnen Stunden wieder zurück.
Pochen auf „Vernunft“
Sowohl für ND als auch für PASOK herrscht eigentlich nur das Prinzip Hoffnung - und an das klammern sich auch die Politiker der Euro-Zone. Sie alle müssen darauf setzen, dass bei den Griechen die „europäische Vernunft“ einkehrt. Die Devise lautet: Bei der ersten Neuwahl durfte sich die Bevölkerung bei den Protestparteien austoben, beim zweiten Wahlgang sollten sie dann aber bedenken, wohin das führen würde, wenn sie tatsächlich bei ihrer Meinung bleiben: Ausfall der Hilfszahlungen, Ausschluss aus der Euro-Zone und fast automatisch folgender Staatsbankrott. Genährt wird die Hoffnung auf einen Sinneswandel jedenfalls durch Umfragewerte, wonach ebenfalls 80 Prozent der Griechen den Euro behalten wollen.
Vergessen wird allerdings häufig, dass die Wähler die Sozialdemokraten und Konservativen nicht nur wegen des Sparkurses abgestraft haben. Die beiden Parteien hatten über Jahrzehnte die Macht - und sie waren es auch, die das Land in die jetzige Krise geführt haben.
Der logische Überraschungssieger
Bleibt schließlich der Überraschungssieger der Wahl, Alexis Tsipras und seine radikale Linke. Dabei ist sein Erfolg eigentlich keine so große Überraschung: Er ist gegen den Sparkurs, aber für einen Verbleib in der Euro-Zone und dabei in beiden großen Fragen auf der Seite der Mehrheit in der Bevölkerung. Während er in Europa als Politrabauke gesehen wird, konnte er sich bei den Griechen den Ruf eines linken Intellektuellen erarbeiten, der noch dazu im Wahlkampf Kilometer um Kilometer abgespult hat, während sich andere Politiker vor den Wählern verstecken mussten.
Und auch als ihm als zweitstärkster Kraft der Auftrag zur Regierungsbildung übertragen wurde, agierte Tsipras unorthodox, aber nicht ganz ungeschickt. Schon mit Blick auf mögliche Neuwahlen sprach er auch mit Parteien, die es am Sonntag - noch - nicht ins Parlament geschafft hatten. Und auch mit den starken Gewerkschaften führte er Gespräche, noch ehe er mit den potenziellen Regierungspartner verhandelte. Dort wiederum konnte er freilich keine Zugeständnisse machen, seine Protestwähler hätte er damit verschreckt.
Anderer Blick nach Europa
Dass Tsipras vollmundig in einem Brief an Brüssel die Sparversprechen aufkündigen wollte, fanden zwar die Politiker in ganz Europa weniger komisch, es sollte aber wohl vor allem ein Signal an die Griechen sein. Dass er das Paket nicht zwingend einfach abschaffen, sondern neu verhandeln will, blieb eher im Hintergrund.
Auch ein Gespräch mit dem neuen französischen Präsidenten Francois Hollande wollte er führen. All das mag aus europäischer Sicht als populistischer Aktionismus gesehen werden. Wie es in seiner Heimat ankommt, steht auf einem anderen Blatt. „Unsere Vorschläge hatten eine große Mehrheit in der Bevölkerung, aber eine kleine im Parlament“, sagte er nach den gescheiterten Verhandlungen. Auch das ist schon als Verweis auf eine zweite Neuwahl zu verstehen.
Alles neu nach der nächsten Wahl?
Denn Experten sehen schon jetzt, dass SYRIZA bei einer möglichen Neuwahl - als Termin kursiert der 17. Juni - nur gewinnen kann. In Athen und um die Hauptstadt herum waren die Radikalen Linken schon am Sonntag die stärkste Kraft. Laut einer am Donnerstag vom Meinungsforschungsinstitut Marc veröffentlichten Umfrage würde das Bündnis der Radikalen Linken bei einer Neuwahl 23,8 Prozent der Stimmen erreichen und damit klar stärkste Partei werden. Sollten es SYRIZA tatsächlich gelingen, im ganzen Land stimmenstärkste Kraft zu werden, sieht die Lage völlig anders aus.
Mit dem Bonus von 50 zusätzlichen Mandaten (den erhält laut griechischem Wahlgesetz die stimmenstärkste Partei, Anm.) wird kein Weg um sie herumführen. Dann muss sich auch die PASOK überlegen, ob sie nicht doch ihren Kurs wechselt - ideologisch stehen sich die beiden Parteien laut Einschätzungen von Politologen nicht so fern, wie es derzeit den Anschein hat. Und mit der Demokratischen Linken (DIMAR) im Boot könnte das dann auch eine Mehrheit ergeben. Für die EU wäre das freilich ein Horrorszenario.
Wie schneiden andere Kleinparteien ab?
Unsicherheitsfaktor bleiben die anderen Parteien. Nachdem diese sich in den Koalitionsverhandlungen nur am Rande einbringen konnten, ist schwer zu sagen, ob sie sich bei einer Neuwahl eher verbessern oder eher verschlechtern würden.
Neben DIMAR gelten auch die Unabhängigen Griechen als potenzielle Koalitionspartner. Sie sind aber politisch recht unberechenbar. Als ND-Abspaltung gehören sie eher ins rechte Lager, bei ihrer Einstellung zum Sparkurs liegen sie aber eher auf SYRIZA-Linie. Die Kommunisten pochen dogmatisch auf EU- und Euro-Ausstieg und wurden in den Koalitionsverhandlungen damit links liegen gelassen. Am anderen Ende des Spektrums bleibt abzuwarten, wie sich die faschistische Goldenen Morgenröte schlagen wird, möglicherweise war ihr Erstarken abschreckend genug, dass sie wieder Stimmen verlieren wird.
Christian Körber, ORF.at
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