Künstler sind keine „Lohnarbeiter“
Victor Willis ist bekannt streitlustig: Der frühere „Polizist“ der Discogruppe Village People hat in der Vergangenheit auch seine ehemaligen Band-Kollegen mit Klagen eingedeckt. In seinem jüngsten Prozess hatte er es auf scheinbar aussichtsloser Position mit der Musikindustrie aufgenommen. Doch zur Überraschung aller trug Willis den Sieg davon - und versetzt damit die Branche in helle Aufregung.
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Willis hatte aufgrund der US-Urheberrechtsnovelle des Jahres 1976 geklagt. Damals wurden nach heftigem Lobbying der Musikindustrie die Schutzfristen für Tantiemenpflichten verlängert. Als Trostpflaster für die Künstler wurde damals die kaum beachtete Nebenbestimmung eingefügt, dass sich Urheber von Werken unter bestimmten Auflagen nach 35 Jahren aus ihren Verträgen lösen könnten. Willis wartete - und brachte zum frühestmöglichen Zeitpunkt die Klage gegen die Verlagsfirmen Scorpio und Can’t Stop ein.
David gegen Goliath
Willis wollte die Rechte an Hits wie „Y.M.C.A.“, „Macho Man“ und „In The Navy“ zurück. Insgesamt ging es um 33 Songs, die er damals für die Gruppe mitverfasst hatte, und die er nun wieder haben wollte. Wie unzählige andere Künstler am Beginn ihrer Karrieren hatte Willis in den 70ern einen Vertrag unterschrieben, der ihm nur einen geringen Anteil der Tantiemen an seinen eigenen Songs ließ und damit vor allem - jedes Mal, wenn der Song gespielt oder gekauft wird - bei Verlegern und Plattenfirmen die Kassen klingeln lässt.

Corbis/Lynn Goldsmith
Der „Polizist“ der schrillen Kultband lehrt die Musikbranche das Fürchten
Es war ein „David gegen Goliath“-Szenario: Die Anwälte der Gegenseite deckten Willis mit einem Sperrfeuer aus spitzfindigen Argumenten ein, warum die Klage nicht zulässig sein solle. Genau das erwies sich jedoch als gewaltiger Bumerang: Richter Barry Ted Moskowitz entschied in jeder einzelner dieser Detailfragen zugunsten von Willis. Damit wurden - zumindest für die USA - mit einem Schlag die über Jahrzehnte lang beliebtesten Tricks, mit denen die Unterhaltungsindustrie Künstler übers Ohr gehauen hat, vom Tisch gewischt.
Richter schmettert Spitzfindigkeiten der Industrie ab
Die Vertreter der Industrie hatten etwa argumentiert, die Village People seien eine Castingband gewesen und Willis hätte allein keinen einzigen Song verkauft, sei also nur musikalischer „Lohnarbeiter“ gewesen. Irrelevant, urteilte der Richter: Die Songs hätten sich eben gut verkauft und Willis habe sie eben geschrieben. Außerdem brachten die Anwälte vor, die Songs seien erst durch den Beitrag der Industrie zu Hits geworden. Irrelevant, befand der Richter: Willis sei der Autor, die Entlohnung der Industrie basiere auf anderen Faktoren.
Schließlich brachten die Verlegeranwälte ins Spiel, dass alle Beteiligten damals die gleichen Verträge unterschrieben hätten und also auch gemeinsam wieder aus den Verträgen aussteigen müssten. Das Kalkül dahinter war klar: Niemals würde Willis oder sonst jemand alle Beteiligten an einer Plattenproduktion, bis hin zum Tontechniker, für eine aussichtslos scheinende Klage hinter sich versammeln können. Irrelevant, urteilte der Richter jedoch auch da: Willis sei Urheber und müsse damit die Möglichkeit haben, mit seinen Rechten nach eigenem Gutdünken umzugehen.
Urteilsbegründung mit „Killer-Argument“
Der wahre K.-o.-Schlag gegen die bisherige Übermachtposition der Industrie versteckt sich jedoch in der zehnseitigen Begründung des Urteils. Darin heißt es, Sinn des US-Urheberrechts sei es gerade auch, Künstler vor „wenig einträglichen“ Tantiemenvereinbarungen zu schützen. Eigens wird dabei auf die oft „ungleiche Verhandlungsposition“ des Künstlers gegenüber Unterhaltungskonzernen hingewiesen, die auch an der „Unmöglichkeit“ liege, „den Wert eines Werks zu bestimmen, bevor es verwertet wird“.
Willis bekam damit als erster Künstler der USA das Recht, gemäß der Urheberrechtsnovelle des Jahres 1976 aus seinem alten Vertrag auszusteigen. Künftig bekommt er ein Drittel aller Tantiemen seiner Village-People-Hits. Bisher waren es nur ein bisschen mehr als zwölf Prozent. Und es könnte noch weitergehen: Willis will noch einmal klagen, weil er argumentiert, dass sich sein damaliger Verleger als Mitautor eingetragen hatte, ohne je an den Songs mitgeschrieben zu haben - eine ebenso seit Jahrzehnten übliche Praxis.
Dylan und Springsteen scharren in den Startlöchern
Richter Moskowitz zeigte sich zuversichtlich, dass Willis auch diese Klage gewinnen könne. Es wäre eine weitere Revolution: In einem Prozess müsste dann geklärt werden, wie wichtig der Anteil einzelner Beteiligter für den Wert eines Werks wäre. Bisher müssen sich im Normalfall alle als Urheber angegebenen Personen die Tantiemen zu gleichen Teilen aufteilen - etwa auch bei Hits mit blödsinnigen Texten, die ihren Erfolg ausschließlich der zugkräftigen Melodie verdanken. Nicht umsonst ist der Texter bei gerade solchen Liedern „zufällig“ auch sehr oft der Verleger.
Laut internationalen Medienberichten wollen weitaus bekanntere Künstler nun jedenfalls auf Willis’ Pfaden wandeln: Bob Dylan, Bruce Springsteen, Billy Joel, Tom Waits, Tom Petty und andere mehr sollen ebenfalls Klagen gegen ihre früheren Verleger und Rechtehalter vorbereiten. Viele Künstler haben die Chance jedoch nicht: Zu den Lobbying-Erfolgen der US-Musikindustrie im Jahr 1976 gehörte auch, dass de facto alle Künstler mit Erfolgen vor den 70er Jahren - man denke an Rock ’n’ Roll und Soul - auf ewig in Knebelverträgen gefangen sind.
Lukas Zimmer, ORF.at
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