Ärger mit ACTA
Das Handelsabkommen ACTA, an dem auch die USA und die EU beteiligt sind, schafft einen gefährlichen undemokratischen Präzedenzfall, so die US-Jusprofessorin Pamela Samuelson in Wien. Die zunehmende Kriminalisierung von Urheberrechtsverstößen durch Internetuser werde hohe gesellschaftliche Kosten verursachen.
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Das umstrittene ACTA-Abkommen, mit dem US-Medienkonzerne auch kleine Urheberrechtsverstöße im Internet kriminalisieren wollen, ist „zutiefst undemokratisch“, so die US-Rechtsexpertin Samuelson im Gespräch mit ORF.at. „Um zu verhindern, dass Details über die Gespräche nach außen dringen, hat der US-Handelsbeauftragte dafür gesorgt, dass die Verhandlungspartner ein Stillschweigeabkommen unterzeichnen“, so Samuelson. „In den USA waren die Verhandlungen aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht für Volksvertreter zugänglich.“
Die Juristin, die eine Professur für Recht im Informationsmanagement an der kalifornischen Universität Berkeley hält, ist grundsätzlich für einen starken Schutz der Urheber. „Es ist aber wichtig, im Rechtssystem für ausgeglichene Verhältnisse zu sorgen“, so Samuelson, „Fälle wie der der Krankenschwester Jammie Thomas-Rasset, die zu einer Zahlung von Schadenersatz in Millionenhöhe verurteilt wurde, weil sie 24 Songs unlizenziert über ein Filesharing-Netzwerk heruntergeladen hat, führen dazu, dass die Leute das Recht nicht mehr respektieren. Ich will erreichen, dass die Leute das Recht wieder achten.“

ORF.at/Günter Hack
Besorgt um die Balance in Copyright und EU-Urheberrecht: Pamela Samuelson
„Ein schlechtes Abkommen“
Das Handelsabkommen Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) bereitet Samuelson Kopfschmerzen: „Es ist ein wirklich schlechtes Abkommen, sowohl was seinen Inhalt betrifft als auch wegen der intransparenten Art, auf die es zustande gekommen ist.“ Vertreter der Zivilgesellschaft hätten - anders als bei den Copyright-Verhandlungen der UNO-Organisation WIPO - keine Möglichkeit gehabt, die legitimen Positionen der Bürger zu vertreten.
Die in ACTA vorgesehene Kriminalisierung der User und die Störerhaftung für Provider sieht Samuelson ebenso kritisch wie die Möglichkeit, dass das Abkommen auch nach seiner Unterzeichnung ohne weitere Verhandlungen radikal verschärft werden kann. „Mit ACTA wird der ACTA-Ausschuss etabliert“, so Samuelson, „wenn der einmal festgelegt hat, wie der optimale Urheberrechtsschutz aussieht, dann werden aus den freiwilligen Vorkehrungen im Vertrag sehr schnell verpflichtende.“ Hollywood mache Druck, damit möglichst viele Länder hohe Schadenersatzzahlungen für Urheberrechtsverletzungen einführten, sagt Samuelson, „Sie glauben, dass das abschreckend wirkt. Ich bin da skeptisch.“
Politik der Sanktionen
Wenn sich ein Land den Wünschen der Industrie nicht fügt, bringt der vom US-Präsidenten direkt ernannte Handelsbeauftragte in Abstimmung mit den Konzernen seine schärfste Waffe in Stellung. Er kann Länder im „Special 301“-Bericht als Staaten ohne angemessenen Schutz des geistigen Eigentums von US-Unternehmen erwähnen. Findet sich ein Land auf dieser Liste wieder, drohen Handelssanktionen. Auf diese Art wurde beispielsweise Spanien unter Druck gesetzt, das im Jänner ein Gesetz verabschiedete, welches Internetsperren bei wiederholter Urheberrechtsverletzung vorsieht. Im aktuellen „Special 301“-Bericht von Ende April ist Spanien nicht mehr verzeichnet.
Samuelson bezeichnet es als „beschämend“, dass der US-Handelsbeauftragte ohne demokratische Kontrolle andere Länder dazu zwingt, Gesetze zu erlassen, die in den Vereinigten Staaten selbst nicht existieren oder gar verfassungswidrig wären. „Der Handelsbeauftragte steht unter dem Einfluss von Hollywood und der Pharmaindustrie. Wenn er auf ein Schutzniveau pochen würde, das auf dem Niveau der US-Gesetze wäre, dann fände ich es akzeptabel, aber es scheint mir nicht legitim zu sein, schärfere Maßnahmen zu verlangen.“
„Kulturflatrate“ und Festplattenabgabe
Eine Urheberrechtsabgabe auf Festplatten, wie sie in Österreich eingeführt werden soll, hält Samuelson in den USA nicht für durchsetzbar: „Das sieht aus wie eine Steuer - und die mögen wir nicht besonders. In den USA gelten die Leerdatenträgerabgaben als ungerecht, weil sie auch von Leuten bezahlt werden müssten, die keine Schwarzkopien auf ihren Festplatten speichern.“ Einer „Kulturflatrate“, also der Zahlung einer Abgabe auf den Internetanschluss, mit der Privatkopien von Endverbrauchern in kleinem Umfang abgegolten werden sollen, räumt sie mehr Chancen ein. „Es wundert mich, dass die Industrie diese potenzielle sichere Einkommensquelle für die Urheber noch nicht angezapft hat“, sagt sie.
Das Abkommen zwischen großen US-Internetprovidern und der Unterhaltungsindustrie, bei dem der Netzanbieter mutmaßlichen Copyright-Verletzern unter seinen Kunden Warnmeldungen schicken soll, sieht Samuelson kritisch: „Prinzipiell ist es gut, wenn die Justiz nicht mit diesen Fällen behelligt wird. Aber bei den Verhandlungen zwischen Providern und Medienindustrie saßen keine Nutzervertreter mit am Tisch.“ Zudem gebe es auch Stimmen, die wettbewerbsrechtliche Bedenken ins Spiel gebracht hätten.
Problemfall Google
In einer Reihe von Aufsätzen hat sich Samuelson mit dem Google Book Settlement auseinandergesetzt. Der US-Autorenverband Authors Guild hatte Google geklagt, weil der Konzern bei der Erfassung von Bibliotheksbüchern für sein System Google Books auch geschützte Werke eingescannt hatte, ohne die Rechteinhaber zu fragen. Nachdem der letzte Einigungsversuch 2011 vor Gericht gescheitert war, wird nun ein Urteil im Sommer dieses Jahres erwartet.
„Der Richter kann Google recht geben und das Scannen und die Anzeige bestimmter Ausschnitte aus geschützten Werken in seinem System als legitime Verwendung (Fair Use, d. Red.) betrachten. Tut er das nicht, wird es schwierig. Google hat rund 20 Millionen Bücher gescannt, die meisten davon sind geschützt. Der Richter könnte anordnen, dass die nicht legitim erstellten Scans vernichtet werden, das wäre eine große Zerstörung von Werten. Er könnte aber auch entscheiden, dass Google eine Strafzahlung leisten muss“, so Samuelson.
Reform auch in Österreich
Die zunehmende Relevanz des Internets als Vertriebsplattform für Medieninhalte aller Art und der damit verbundene Konzentrations- und Produktivitätsschub setzt alle Akteure - Industrie, Politik und Konsumenten - gleichermaßen unter Druck. Auch in Österreich steht eine Reform des Urheberrechts an, das ÖVP-geführte Justizministerium möchte noch in dieser Legislaturperiode einen Entwurf vorlegen.
Günter Hack, ORF.at
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