Jeder Zweite lebt in einer Stadt
Schon jetzt lebt jeder zweite Mensch weltweit in einer Stadt. Einem aktuellen UNO-Bericht zur Urbanisierung zufolge werden es 2050 bereits 67 Prozent der Weltbevölkerung sein. Der Trend zur Verstädterung und damit Ausdehnung der Metropolen insbesondere in Asien und Afrika hält an. Damit verstärken sich auch die Umwelt- und Verkehrsprobleme.
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Aber ohne weitere Verstädterung wird es nicht funktionieren, ist der Bevölkerungswissenschaftler der Universität Wien, Karl Husa, im ORF.at-Interview überzeugt: „Der Urbanisierungsprozess muss voranschreiten.“ Die Weltbevölkerung werde noch bis Ende dieses Jahrhunderts auf rund 9,4 Milliarden Menschen wachsen und dann stagnieren. Husa: „Diese rund 2,5 Mrd. Menschen müssen noch irgendwo angesiedelt werden. Wenn das nicht in urbanen Zentren erfolgt, gehen große Flächen verloren.“
Zudem werde es schwierig, den Lebensstandard zu erhöhen und den Menschen Zugang zu Infrastruktur wie Gesundheit- und Bildungseinrichtungen zu geben, wenn sie zersiedelt im ländlichen Raum leben. „In den Städten gibt es zahlreiche Nachteile, aber man hat zumindest einen leistbaren und finanzierbaren Zugang zu Infrastruktur“, betont Husa.
Zuzug in Entlastungsmetropolen
Unendlich scheint das Wachstum von Megacitys allerdings nicht zu sein. In den vier größten Städten Lateinamerikas - Mexico City, Rio, Sao Paolo und Buenos Aires - sind dem Wachstum Grenzen gesetzt. Sie sind besonders stark bis in die 90er Jahre gewachsen und haben nun zwischen zwölf und 20 Millionen Einwohner. „Mittlerweile stagniert der Zuwachs in diesen Städten. Es gibt keine Nettozuwanderung mehr“, sagte der Stadtexperte und Geograph der Universität Kiel, Rainer Wehrhahn, gegenüber ORF.at.

Corbis/Carlos Cazalis
In Mexico City stagniert das Bevölkerungswachstum
Die Migration bewege sich nun in kleinere Großstädte sowie die „Emerging Megacitys“. Als Ursachen ortet der Experte, dass die Größe der Megacitys, mit mindestens zehn Millionen Einwohnern, bereits eine Dimension erreichte, die eine Aufrechterhaltung der Verkehrsinfrastruktur schwierig machte. Wehrhahn: „Die Städte entwickeln sich ökonomisch weiter. Es entsteht eine neue Mittelschicht, die Pkws nehmen zu, und dadurch wird auch die Mobilität immer schwieriger zu bewerkstelligen.“
Der Zuzug in diese Entlastungsmetropolen sei meist nicht von der Raumplanung sondern vielmehr von der Wirtschaft gesteuert. In wirtschaftlich starken Ländern wie in Brasilien entwickelte sich in einer Distanz von einigen 100 Kilometern rund um Sao Paulo eine globale Stadtregion, erklärt Wehrhahn.
Aufholprozess in Afrika und Asien
In afrikanischen und südasiatischen Ländern ist der Aufholprozess noch größer. Mexico City und Sao Paulo werden von Delhi und Mumbai in Indien und Schanghai in China spätestens 2025 überholt. Auch für Lagos wird ein Zuwachs von derzeit rund elf Millionen auf knapp 19 Millionen Einwohnern in den nächsten 13 Jahren erwartet. In Asien wird die Stadtbevölkerung bis 2050 um 1,4 Milliarden und in Afrika um 0,9 Milliarden Menschen zunehmen, so der UNO-Bericht. Allein in Nigeria werden in den nächsten vier Jahrzehnten demnach 200 Millionen mehr Menschen in Städten leben als heute.
In China sind in den vergangenen 20 Jahren ebenfalls zahlreiche neue Megacitys entstanden, obwohl es dort eine stärkere Steuerung und Begrenzung von Migration gibt. „In Ländern wie Indien, Bangladesch und Thailand ist das Wachstum weniger als in Lateinamerika mit wirtschaftlichem Wachstum verbunden“, so Wehrhahn. Während in Lateinamerika die Situation in zahlreichen Slums in den vergangenen Jahren durch Programme für die bauliche Sanierung etwa die Infrastruktur für Licht, Wasserversorgung und Müllbeseitigung verbessert werden konnte, ist die Wohn- und Hygienesituation in diesen Ländern weitgehend prekär.
Ökologische Risiken mit Ausdehnung
Mit der Hoffnung auf Arbeitsplätze, bessere Bildungschancen und höhere Verdienstmöglichkeiten strömen Menschen dennoch in die Städte, die sich nicht nur auf die Vororte ausbreiten, sondern auch die weiter entfernt liegenden, zuvor landwirtschaftlich genützten Gebiete, die periurbanen Regionen, einnehmen.
Diese Ausdehnung ist verbunden mit enormen ökologischen Problemen und dem steigenden Risiko von Naturkatastrophen. Der UNO-Bericht zeigt, dass allein im vergangenen Jahr 890 Millionen Menschen in Städten mit mehr als einer Million Einwohnern leben, die besonders dem Risiko von zumindest einer Naturkatastrophe ausgesetzt sind. Vor allem Städte in Lateinamerika und Asien sind davon betroffen.

APA/EPA/Luong Thai Linh
Ho Chi Minh City ist immer wieder von Überschwemmungen betroffen
Überschwemmungen nehmen zu
Ein Beispiel dafür ist Ho Chi Minh City in Vietnam, das zu einer der wichtigsten Hafenstädte Asiens wurde. 2020 soll die Millionenstadt die Zehn-Millionen-Einwohner-Grenze überschreiten. Bevölkerungszuwachs und Zuwanderung verursachen immer mehr Nachfrage nach Land.
Die am Saigon-Fluss und 60 Kilometer vom Südchinesischen Meer gelegene Stadt dehnt sich zusehends in niedriger gelegenes Land und in frühere Feuchtgebiete aus, wie Harry Storch, Nigel Downes und Le Thanh Hoa in ihrer Untersuchung über die Stadt feststellten. Der Bericht wird bei der internationalen Stadtplanungskonferenz REAL CORP kommende Woche in Schwechat präsentiert. Die Erweiterung des Stadtgebietes geht zu Lasten von Grüngebiet. Zudem seien aufgrund des intensiven Regens immer mehr Gebiete in der Stadt von Überflutung betroffen.
Engpässe rund um Lagos
Auch in der rasant wachsenden nigerianischen Stadt Lagos machen sich in den Vororten und periurbanen Gebieten ökologische Probleme bemerkbar. Taibat Lawanson, Omoayena Yadua und Idris Salako zeigen in ihrem REAL-CORP-Tagungsbeitrag die Entwicklung von Siedlungen nördlich von Lagos. In diesen periurbanen Zentren treffen sich städtische und ländliche Aktivitäten. Es gebe starke urbane Einflüsse, leichten Zugang zu Märkten und ein Angebot an Arbeit, so die Wissenschaftler. Zugleich gebe es aber auch hier Engpässe an Land. Denn mit dem Zuwachs der Bevölkerung aus Lagos, die in den am Rand gelegenen Gebieten auf billigere Wohnmöglichkeiten hofften, stiegen auch der Landwert und die Mieten.
Einhergehend mit dem unkoordinierten Wachstum von Lagos entlang dieses periurbanen Korridors wurden auch die Umweltprobleme größer, wie die Studie zeigt. Die Ausdehnung wirkte sich demnach auf das Abwassersystem, die Wasserqualität und das enorm gestiegene Verkehrsaufkommen aus.
Probleme „klassischer Kreislauf“
Für Husa sind die Wohnraumprobleme, die schwierige Wasserver- und -entsorgung und die Verkehrsüberlastung der „klassische Kreislauf“ von Problemen in Megacitys. Eine Alternative sieht er aber dennoch nicht. Auch der von oben verordnete Zuzugsstopp in die Stadt, wie das etwa in Bangkok in Thailand versucht wurde, zeigte wenig Wirkung, so der Stadtexperte. Die Möglichkeiten, die sich am Land bieten, reichten nicht aus. Husa: „Und die ländliche Industrialisierung kann man vergessen. Das hat auch im Waldviertel nicht funktioniert.“
Simone Leonhartsberger, ORF.at
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