Prozess soll Norwegens Trauma heilen
Sie zeigt dem Massenmörder klar, wer die Zügel in der Hand hält. Die norwegische Richterin Wenche Elizabeth Arntzen ist nicht groß, doch ihre Autorität spürt im Osloer Gerichtssaal jeder. Die grauhaarige 52-Jährige leitet den wohl größten norwegischen Prozess seit dem Zweiten Weltkrieg.
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Zusammen mit vier Richterkollegen soll sie Norwegens Wunden heilen helfen und den Massenmörder Anders Behring Breivik für seine unglaublichen Taten bestrafen. Arntzen thront fast über dem Gerichtssaal. Sie wirkt ruhig, verzieht selten eine Miene. Nur als Breivik seine verachtenden Motive für den Mord an 77 Menschen offenlegte, wirkte sie angewidert - als der Attentäter die Richterin wegen angeblicher Befangenheit nicht anerkennt, eher amüsiert.
Tränen bei Gedenken an Opfer
Die 52-Jährige ergreift nur selten das Wort, überlässt die Bühne meist den Staatsanwälten, beobachtet aufmerksam. Wenn sie aber nachhakt oder Breivik in seinen grausamen Tiraden unterbricht, tut sie das, ohne je die Stimme zu heben. Es sind vielmehr ihre Augen, die sich hinter der randlosen Brille zu Schlitzen verziehen. Mit ernster Miene bremst sie den Massenmörder aus, gibt ihm aber dennoch Zeit, sich zu erklären.
Als Anfang Mai die Anwälte Gedenkworte an die Opfer verlasen, von denen das jüngste ein 15 Jahre altes Mädchen war, weinte auch die Richterin. Arntzen habe sich mehrfach Tränen abgetrocknet.
„Gehen Aufgabe mit Demut an“
Der Terrorprozess dürfte die bisher schwierigste Herausforderung ihrer Karriere sein. „Wir gehen diese Aufgabe mit Demut an, nicht mit der Auffassung, dass es einfach und schon entschieden ist“, wird sie vom Fernsehsender NRK zitiert. Die 52-Jährige steht nicht als Erste der Familie vor einer solchen Aufgabe: Ihr Großvater war nach dem Zweiten Weltkrieg Ankläger im Prozess gegen den Nationalsozialisten Vidkun Quisling, der als Landesverräter hingerichtet wurde. Ihr Vater ist Strafverteidiger, auch der Ehemann ist Jurist.
Arntzen selbst studierte Philosophie, nach ihrem juristischen Abschluss 1986 arbeitete sie erst im Justizministerium, später dann als Anwältin. Bis vor kurzem war sie Mitglied in einem Komitee, das die Geheim- und Sicherheitsdienste des Landes kontrolliert - und das nach Breiviks Terroranschlägen einige Kritik einstecken musste. Sie ist eine Freundin der ehemaligen Justizministerin Hanne Harlem, deren Sohn und Schwester zu Breiviks Terrorzielen gehörten. Dennoch gebe es kein Anzeichen, dass sie befangen sei, entschied das Gericht.
„Verstärktes Gericht“
Neben Arntzen sitzen beim Mammutprozess vor dem Osloer Gericht vier weitere Richter - ein sogenannter Fachrichter und drei Laienrichter. Es ist ein „verstärktes Gericht“, normal wären ein hauptamtlicher und zwei Laienrichter.
Auch Arntzens Mitrichter Arne Lyng stammt aus einer Juristenfamilie: Sein Großvater bestritt als Staatsanwalt das Verfahren gegen den zum Tod verurteilten Nazi-Spion Henry Rinnan. Der dunkelhaarige ernste Lyng hält sich bisher zurück, hat erst einmal für eine Nachfrage das Wort ergriffen. Er wirkt konzentriert und professionell, notiert viel.
Vier Psychiater für den Prozess
Arntzen, Lyng und ihre drei Mitrichter müssen in wenigen Wochen entscheiden, ob der Massenmörder Breivik geisteskrank ist, ob er für 21 Jahre ins Gefängnis oder in die geschlossene Psychiatrie muss. Dabei stützen sie sich neben ihren eigenen Beobachtungen vor allem auf die vier Männer und Frauen, die direkt vor ihnen sitzen. Vor der Richterbank nämlich haben vier Psychiater den Attentäter Breivik immer im Blick.
Die Gutachter verfolgen den Prozess Tag für Tag. Während die Anklage mit der grausamen Opferliste verlesen wurde, schauten sie dem 33-Jährigen permanent ins Gesicht. Sie sind sich nicht einig - zwei von ihnen halten Breivik bisher für paranoid-schizophren, zwei zwar für einen Narzissten, sonst aber für zurechnungsfähig. Welchen Eindruck Richterin Arntzen bisher vom Angeklagten bekommen hat, ist nicht bekannt. Ihr konzentriertes Gesicht verrät nichts.
Theresa Münch, dpa
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