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„Er befindet sich in der Botschaft“

Der chinesische Dissident Hu Jia hat Angaben bestätigt, wonach der chinesische Menschenrechtsaktivist Chen Guangcheng in die US-Botschaft in Peking geflohen sei. Zudem werden immer mehr Details seiner abenteuerlichen Flucht in die Botschaft bekannt.

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„Er befindet sich in der Botschaft“, sagte Hu am Montag telefonisch der Nachrichtenagentur AFP. Hu bestätigte damit eine Mitteilung der US-Nichtregierungsorganisation ChinaAid von Samstag. Hu hatte seinen blinden Freund Chen, einen autodidaktischen „Rechtsanwalt“, getroffen, nachdem dieser am 22. April aus seinem Hausarrest in Ostchina geflohen war.

Am Samstag wurde Hu festgenommen, nachdem er im Internet ein Video veröffentlicht hatte, das ihn zusammen mit Chen zeigt. Nach 24-stündiger Haft wurde Hu am Sonntagnachmittag wieder freigelassen. Die Staatssicherheit habe sich sehr für den Fall Chen interessiert, sagte er der AFP. Sie habe wissen wollen, wann Chen den US-Botschafter Gary Locke getroffen habe. „Es scheint also sehr sicher zu sein, dass er den US-Botschafter getroffen hat.“

Chen Guangcheng und Hu Jia

AP/Hu Jia

Chen bei einem Treffen mit dem Dissidenten Hu Jia vor wenigen Tagen

Obama: „Ausgewogene Politik“

Chens Flucht war am Freitag bekanntgeworden. Der 40-Jährige meldete sich in einem an den chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao gerichteten Video zu Wort und bat um Sicherheit für seine Familie. Chinesischen Sicherheitskräften warf er vor, ihn und seine Angehörigen misshandelt zu haben.

Die US-Regierung bestätigte die Angaben über die Flucht in die Botschaft bisher nicht. Der Anti-Terror-Berater von US-Präsident Barack Obama, John Brennan, sagte lediglich in einem Interview mit dem Sender Fox News, die US-Regierung arbeite „sehr eng“ mit den mit der Angelegenheit befassten Menschen zusammen. Er verwies zugleich auf Obamas „ausgewogene Politik“, wonach sich die USA für die Einhaltung der Menschenrechte weltweit einsetzten, gleichzeitig aber ihre Zusammenarbeit „mit Schlüsselstaaten“ fortsetzen wollten.

Chen konnte Mauer überwinden

Die „New York Times“ berichtete, dass Chens Wille zur Flucht trotz seines schlechten Zustands aufgrund von Misshandlungen ungebrochen gewesen sei. Bereits vor Wochen habe er versucht, einen Tunnel zu graben, sei dabei aber entdeckt worden. Sonntag vor einer Woche schließlich sei die Flucht mit der Hilfe eines Netzwerks von Freunden und Verbündeten gelungen. Diesmal habe Chen die Mauer, mit der sein Grundstück eingefasst worden sei, überwinden können.

Fluchthelfer und Verwandte festgenommen?

Eine Frau, die offenbar in den Plan eingeweiht war, habe ihn dann mit einem Auto die knapp 500 Kilometer nach Peking gebracht, wo er sich ohne Umweg in die US-Botschaft begeben haben dürfte. Drei Fluchthelfer verschwanden daraufhin, darunter auch die Chauffeurin des Fluchtautos. Die Ehefrau eines der Helfer berichtete, ihr Mann sei von der Polizei mitgenommen worden.

Reuters zitierte die Aktivistin He Peirong, die offenbar mit Chen gesprochen hatte: „Er ist sehr schwach, und er macht sich wirklich Sorgen um seine Familie. Er fürchtet, dass sich die Wachen nach seiner Flucht rächen werden.“ Laut Bob Fu, dem Chef der in Texas ansässigen Organisation ChinaAid, befinden sich Frau, Mutter und Tochter Chens weiterhin unter strengem Hausarrest. Es gibt bereits Berichte, dass neben den Fluchthelfern auch Chens Bruder und Neffe von der Polizei festgenommen wurden, schrieb die britische BBC. Demzufolge soll auch He bereits in ihrem Haus verhaftet worden sein.

Zuerst Haft, dann Hausarrest

Chen engagierte sich in Menschenrechtsfragen und erregte den Ärger des Regimes vor allem wegen seiner Kritik an Chinas Einkindpolitik. Der Aktivist hatte zahlreiche erzwungene späte Abtreibungen und Sterilisierungen von Frauen enthüllt. Seine Vorwürfe gegen Beamte dürften der Grund für seine Haft gewesen sein. Nach Ablauf seiner Haftstrafe war Chen im September 2010 gemeinsam mit seiner Frau in seinem Haus unter ständig bewachten Arrest gestellt worden. Nach seiner Flucht sollen Chens Frau, Tochter und Mutter Berichten zufolge weiterhin in dem Haus bewacht werden.

EU-Appell an China

Die Europäische Union (EU) forderte China am Montag auf, den Fall des blinden Dissidenten Chen Guangcheng mit größter Zurückhaltung zu behandeln. Chen ist aus dem Hausarrest entkommen und soll nach einer Flucht über Hunderte von Kilometern Schutz in der US-Botschaft gesucht haben. Offiziell wird das weder von den USA noch von den chinesischen Behörden bestätigt. Seine Unterstützer erklärten jedoch, Chen stehe unter dem Schutz der US-Vertretung in Peking.

Die EU forderte die chinesische Regierung auf, auch jegliche Drangsalierung der Familie Chens sowie seiner Unterstützer zu unterlassen. „Menschenrechtler sollten in voller Übereinstimmung mit den chinesischen Gesetzen und der Verfassung behandelt werden“, heißt es in einer Erklärung der EU-Vertretung in China.

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