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Bewusste Vertuschungen?

Mangelhafte Unterkünfte, unhygienische Sanitäranlagen, zu wenig Essen und komplette Abschottung von der Außenwelt: Das sind die Bedingungen, unter denen zahllose Syrer in Flüchtlingscamps in der Türkei leben. Seit Beginn des Aufstands gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad vor 13 Monaten sind Zehntausende Syrer vor der Gewalt aus dem Land geflohen - die meisten von ihnen in die Türkei.

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Die Auffanglager nahe der syrischen Grenze sind völlig überfüllt. Betroffene berichten gegenüber der „Asia Times“, dass der Umgang der türksichen Regierung mit den Flüchtlingen alles andere als vorbildlich sei. Journalisten und selbst Menschenrechtsorganisationen haben so gut wie keinen Zugang zu den Lagern. Hilfsarbeiter und Aktivisten müssten sich illegal in die Camps schleichen, um Zugang zu den Flüchtlingen zu bekommen, heißt es in dem Medienbericht.

Ärzten wurde demnach eine Schweigepflicht über ihre Tätigkeit und die Zustände in den Camps auferlegt. Die türkische Regierung habe offenbar etwas zu verbergen, sagte ein prominenter türkischer Menschenrechtsanwalt gegenüber der „Asia Times“.

Ein aus aus Containern bestehendes Flüchtlingscamp in der türkischen Provinz Kilis

Reuters/Umit Bektas

Flüchtlinge in der Provinz Kilis werden in riesigen Containerdörfern untergebracht

Ein Bericht über Camps in der Provinz Hatay kritisierte bereits im Vorjahr mangelnde Essensversorgung - sauberes Trinkwasser gebe es nur zeitweise, und pro Camp gebe es lediglich zwei Sanitärräume. Wer erst einmal in einem Camp registriert und untergebracht wird, hat kaum eine Möglichkeit, dieses für längere Ausflüge wieder zu verlassen. So haben die Flüchtlinge praktisch keinen Zugang zu UNO-Flüchtlingshelfern.

Rebellen für Schweigen bestochen?

Ausnahmen gibt es hingegen für Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ im Flüchtlingslager Reyhanli. Diese dürfen nicht nur das Camp beliebig betreten und verlassen, sie bekommen dem Medienbericht zufolge aufwendige, nicht essenzielle Operationen von der Regierung bezahlt. Deserteure sprachen von Bestechungszahlungen - die Rebellen sollten nicht weitererzählen, wie die Türkei syrische Flüchtlinge behandle.

Der internationale Sondergesandte für Syrien, Kofi Annan, hatte am Dienstag ein Lager in der Provinz Hatay besucht. Ein Flüchtling berichtete gegenüber der „Asia Times“, dass Annan jedoch nicht einmal durch das Camp durchgegangen sei oder mit Insassen gesprochen habe - er habe lediglich das Besucherzentrum betreten und mit von der Campleitung ausgewählten Personen gesprochen. In einer anschließenden Pressekonferenz bezog sich Annan lediglich auf die Kämpfe an der Grenze. „Niemand spricht mit uns, keiner kümmert sich um uns“, berichtete der Flüchtling.

Keine Flüchtlinge, nur „Gäste“

Problematisch für die Flüchtlinge ist auch, dass ihr Status in der Türkei nicht anerkannt wird. Die türkische Regierung klassifiziert alle Menschen, die aus nicht europäischen Ländern in die Türkei fliehen, lediglich als „Gäste“, nicht als Flüchtlinge. Damit wird ihnen zwar ein gewisses Maß an Sicherheit garantiert, ihr Status kann jedoch jederzeit zurückgenommen werden. „Gäste“ können weder um Asyl ansuchen noch dürfen sie permanent in dem Land bleiben.

Ein aus aus Containern bestehendes Flüchtlingscamp in der türkischen Provinz Kilis

Reuters/Umit Bektas

Die Türkei hat aufgrund des Flüchtlingsansturms internationale Hilfe akzeptiert. Das UNHCR stellte 1.600 Zelte und fast 14.000 Decken bereit.

Ein im August 2011 veröffentlichter Bericht des Euro-Mediterraneaen Human Rights Network kritisiert, dass es nicht nur ein humanitäres Gebot sei, den Flüchtlingen vollen Schutz zukommen zu lassen, sondern die türkische Regierung nach internationalem Flüchtlings- und Menschenrecht dazu verpflichtet sei.

Kein Schutz vor Angriffen

Seit syrische Truppen vergangene Woche an der Grenze zur Türkei Flüchtlinge beschossen und dabei auch das grenznahe türkische Flüchtlingslager Kilis getroffen hatten, hat sich die Situation zusätzlich verschärft - der Zugang für Außenstehende wurde weiter erschwert. Der Grund dafür liegt laut Beamten und Ärzten, die in Spitälern nahe den Flüchtlingslagern arbeiteten, darin, dass die Regierung Informationen zurückhalten will, weil sie um ihr Image fürchtet.

Flüchtlinge, die in das Kreuzfeuer der syrischen Armee geraten waren, hatten berichtet, dass sie vonseiten der türkischen Soldaten, die eigentlich für ihren Schutz verantwortlich waren, keine Hilfe erhielten. Die Soldaten hätten lediglich sich selbst in Sicherheit gebracht. Zwei Syrer starben bei dem Angriff, mehrere Menschen wurden verletzt, darunter auch türkische Staatsbürger. Das Verhalten der türkischen Soldaten rief Proteste unter den Flüchtlingen hervor - wenn sie von der Türkei keinen Schutz erhielten, hätten sie ebenso gut in Syrien bleiben können, sagten Flüchtlinge.

Eine Million auf der Flucht

Die UNO schätzt, dass durch die Kämpfe in Syrien mindestens eine Million Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht sind. Mehr als 60.000 sind zudem über die Landesgrenzen in Nachbarländer geflohen - die meisten von ihnen in die Türkei.

Das UNHCR hatte schon Anfang April kritisiert, dass die Auffanglager in den Nachbarländern Syriens überfüllt sind. In Jordanien, dem Libanon und dem Irak seien Flüchtlinge privat oder in Notunterkünften untergebracht worden, sagte der Sprecher des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Stefan Telöken. Diese würden aber bei weitem nicht die Größe von Flüchtlingslagern erreichen, betonte er. „Das Netzwerk der humanitären Hilfe in diesen Staaten muss dringend erweitert werden.“

EU will Sanktionen verschärfen

Die EU will ihre Sanktionen gegen Syrien erneut verschärfen. Der Export von Luxusgütern soll verboten werden, wie ein EU-Diplomat der Nachrichtenagentur AFP am Montag in Luxemburg sagte. Zudem wird das Ausfuhrverbot für Produkte, die zur Repression von Oppositionellen genutzt werden können, demnach weiter eingeschränkt. Die genaue Liste der künftig verbotenen Luxusgüter muss den Angaben zufolge noch erstellt werden.

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