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„Enorme mythische Kraft“

Er ist der Urvater aller Vampire: Vor allem die Verfilmungen mit Bela Lugosi, Klaus Kinski und Gary Oldman haben den blutsaugenden Grafen ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Zum 100. Todestag von Dracula-Schöpfer Abraham „Bram“ Stoker hat der in Augsburg lebende Autor Andreas Nohl den Weltklassiker neu übersetzt.

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„Selbst Fans, die alle Filme kennen, wird das Buch überraschen“, sagte Nohl im Gespräch mit der deutschen Nachrichtenagentur dpa. Der neue „Dracula“ im Göttinger Steidl-Verlag ist eine Neuinszenierung des 1897 erschienenen Montageromans, der aus Tagebucheinträgen, Briefen und Zeitungsartikeln besteht. Behutsam hat der Übersetzer stilistische Unwuchten herausgearbeitet und den Figuren eigene Stimmen verliehen. Beispielsweise berlinert ein schottischer Seemann nun nicht mehr, sondern spricht Plattdeutsch.

„Der ‚Dracula‘ gehört sicherlich zu dem Schwierigsten, was ich je übersetzt habe“, sagte Nohl. Als Herausgeber sichtete er sämtliche Literatur über den adligen Untoten, studierte die Originalausgabe, wichtige britische Ausgaben sowie sämtliche Übersetzungen ins Deutsche. Vielleicht weil Stoker neben seinem Job als Theatermanager vor allem nachts schrieb, fanden sich selbst im Original eine Menge Fehler, etwa falsche Datierungen und unlogische Handlungsabläufe - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Cover der Neuübersetzung von Bram Stokers "Dracula"

Steidl Verlag

Buchhinweis

Bram Stoker: Dracula. Neu übersetzt von Andreas Nohl. Steidl, 540 Seiten, 28,80 Euro.

Wie ein „Ritterroman“

Nohl hat vor zwei Jahren für eine Neuübersetzung von Mark Twains „Tom Sawyer & Huckleberry Finn“ viele positive Kritiken geerntet. Das Geheimnis von „Draculas“ Erfolg liegt für ihn in der „enormen mythischen Kraft“ des Werks. „Die Moderne ist ja angetreten, die Mythen abzuschaffen. Ich sehe bei Stoker den Subtext, eine Art Märchendenken wieder in die Welt einzuführen.“

Die Jagd auf den Angst und Schrecken verbreitenden Grafen trägt auch komische Züge. Die Vampirjäger um den Londoner Rechtsanwalt Jonathan Harker hantieren mit Knoblauch und geweihten Oblaten. Mit Hilfe von Bluttransfusionen versuchen sie, das Leben des ersten britischen Opfers - Lucy - zu retten. „Es ist ein Ritterroman zu Zeiten des Hochkapitalismus. Die Figuren sind alle moderne Ritter, die Frauen raushauen und die Welt retten wollen. Das ist ein Hauptzug, warum das Buch noch diesen Erfolg hat“, sagte der Übersetzer.

„Alles andere als erotisch“

Stoker spielt mit der Anziehungskraft des Bösen. Nohl sieht das so: „Dracula ist im Grunde alles andere als erotisch. Er hat diesen entsetzlichen Mundgeruch, die Haare wachsen ihm auf den Innenhänden, er hat rote Augen, ist immer aschfahl. Ich weiß nicht, welche Frau sich auf den einlassen wollte. Aber er kann sich die Frauen unterwürfig machen durch Zauberei.“

Neben dem neuen deutschen „Dracula“ im Steidl-Verlag ist zum 100. Todestag Stokers auch bei Reclam eine Neuübersetzung von Ulrich Bossier erschienen.

Christina Sticht, dpa

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