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„Ihr kriegt uns hier nicht raus!“

Das Wien Museum legt darauf Wert, nicht nur „Herrschaftsgeschichte“ zu schreiben - und erbringt mit seiner neuen Ausstellung über Hausbesetzungen in der Bundeshauptstadt den Beweis. Wien mag nicht Hamburg, Berlin oder Kopenhagen sein. Aber auch hier wurden Freiräume erkämpft.

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Arena, Burggarten, Amerlinghaus, Gassergasse, Rotstilzchen, Aegidi/Spalo, EKH: Zahllose Mythen ranken sich heute um die besetzten Zonen der Stadt. Viele wollen bei den Besetzungen dabei gewesen sein, haben es aber aber in Wahrheit zu kaum mehr als dem Besuch von ein, zwei Konzerten in einem der „Squats“ geschafft. Dabei gibt es auch heute noch eine lebendige Szene, die Räume einnimmt, um sie alternativ zu nutzen.

Am Anfang der Bewegung, die Österreich mit der üblichen Verspätung von ein paar Jahren erreichte, stand die Gentrifizierung des Wiener Spittelbergs: Die alten Bewohner des „Problemviertels“ sollten weichen, historische Bausubstanz geschliffen und durch neue Architektur ersetzt werden. Widerstand formierte sich - das Geburtshaus des Malers und Dichters Friedrich Amerling wurde 1975 besetzt und zum selbst verwalteten Kultur- und Kommunikationszentrum erklärt.

Das besetzte Amerlinghaus am Spittelberg (1975)

Karl Heinz Koller/Sammlung Wien Museum

Das Amerlinghaus - Keimzelle für eine experimentierfreudige Szene

Die „Arena-Festwochen“ im Sommer 1976

Gemeinsam mit einer Handvoll junger Menschen, die in Simmering für ein paar Tage ein Haus besetzt hatten, war damit der Grundstock einer Szene gebildet, die bis in die 90er Jahre hinein aktiv bleiben sollte. Als Höhepunkt gilt 1976 die Besetzung des ehemaligen Auslandsschlachthofes, ebenfalls in Simmering. Der Coup dabei: Weite Teile der Bevölkerung unterstützten die „bunten Hunde“ der Arena, sogar die „Kronen Zeitung“ berichtete positiv.

Einen Sommer lang war das Areal für alle offen - nicht nur für Sympathisanten der Szene. In der Ausstellung „Besetzt! Kampf um Freiräume seit den 70ern“ im Wien Museum wird das meiste Augenmerk auf die Arena-Bewegung gelegt. Videos zeigen die Auftritte von solidarischen Künstlern, Plakate belegen das pralle Veranstaltungsprogramm, Fotos zeigen fröhlich feiernde Menschen. Die „Arena-Festwochen“ lockten im Sommer 1976 Zehntausende in den Alten Schlachthof.

Ausstellungshinweis

„Besetzt! Kampf um Freiräume seit den 70ern“: Wien Museum, 12. April bis 12. August. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag und feiertags von 10.00 bis 18.00 Uhr.

Gewaltsame Räumung als Folklore

Doch dann wurde geräumt - wie überhaupt Räumungen durch die Polizei ein wichtiger Teil der internationalen Squat-Folklore sind. Ein Teil der Bewegung akzeptierte den Vorschlag der Gemeinde Wien, ein viel kleineres Areal, das zum Inlandsschlachthof gehörte, zu übernehmen. Bis heute finden dort Independent-, Punk- und Heavy-Metal-Konzerte statt. Die Arena ist nicht das einzige Überbleibsel der historischen Hausbesetzerszene. Dem Ursprungsgedanken eines autonomen Zentrums für frei organisierte Gruppen blieb neben dem Amerlinghaus vor allem das Wiener Werkstätten und Kulturhaus WUK treu.

Konservative gegen progressive Besetzer

Ein harter Kern der Hausbesetzerszene war zwar über die Jahrzehnte aktiv - sonst zeigten sich die Gruppen in den Häusern aber keineswegs homogen. Aktivisten eines in der Aegidigasse (1982/1983 bis 1988) besetzten Hauses sprachen von drei Typen: den Politischen, den Kreativen und den Junkies. Und dann gab es noch eine Bruchlinie: die Arrivierten und die Wilden, wie ein aufschlussreiches Video zeigt.

Man kann eine Versammlung im besetzten WUK, - das bereits etabliert war, und seinerseits noch einmal besetzt wurde - verfolgen von jenen Aktivisten, die gewaltsam aus den Häusern in der Aegidi- und Spalowskygasse vertrieben worden waren. Es ging heiß her zwischen den „Spießern“, also den alteingesessenen Besetzern, und den „Chaoten“, also den neuen Besetzern, die sich so gar nicht in das Regelwerk der freien Gruppen einfügen wollten.

Räumung eines besetzten Hauses in der Lindengasse 60-62 in Wien-Neubau (2011)

APA/Herbert P. Oczeret

Die Räumung eines besetzten Hauses in der Wiener Lindengasse (2011)

Gemeinsam ist allen der Kampf gegen rein kommerzielle Überlegungen auf dem Immobilienmarkt. Mühsame, sich jahrelang ziehende Debatten mit Eigentümern und der Stadt Wien werden in Kauf genommen. Der Grundgedanke: Wohnungen sind teuer - dabei stehen nach wie vor viele Häuser leer oder werden aus Spekulations- oder Investitionsgründen abgerissen. Neben kreativen Ideen ist in Squats Platz für Obdachlose. In der Aegidigasse gab es gleich zwei alternative Schulen für Kinder. Zahllose Gruppen in den Häusern treten für die Rechte von „Minderheiten“ ein. Seit 1990 gilt das Ernst-Kirchweger-Haus als Paradebeispiel eines solchen besetzten Hauses.

„Rauch-Haus-Song“

Ein Klassiker unter den Hausbesetzer-Songs ist der „Rauch-Haus-Song“ der Band Ton Steine Scherben, der sich mit einer Hausbesetzung in Berlin im Jahr 1971 befasst:


„Der Mariannenplatz war blau,
So viele Bullen waren da.
Und Mensch Meier musste heulen,
Das war wohl das Tränengas."
"(...) Doch die Leute im besetzten Haus
riefen: "Ihr kriegt uns hier nicht raus!Das is unser Haus,
Schmeißt doch endlich
Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus!“

Die Kinder der Revolution

Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss der Hausbesetzungen auf Kultur und Medien. Viele, die in den 70er Jahren dabei waren, zählen heute zu den angesehensten Künstlern, Schriftstellern und Denkern. Ein Kind der Arena-Bewegung ist auch die Wiener Wochenzeitung „Falter“. Heute gibt es FM4, in den 70er Jahren waren es die Musicbox auf Ö3 und die engagierte Jugendsendung „Ohne Maulkorb“ im ORF-Fernsehen, die eingehend über gegenkulturelle Phänomene berichteten. Die Szene selbst kommuniziert mittlerweile längst im Internet, auf Blogs und in Facebook.

Der Brückenschlag zu den aktuellen Bewegungen beziehungsweise den Besetzungen der letzten Jahre scheint die Kuratoren nur am Rande interessiert zu haben. Gerade einmal der Pankahyttn, einem Projekt, das zwischen selbst organisiertem Widerstand und Sozialprojekt der Stadt Wien oszilliert, sind ein paar Worte gewidmet. Die Wagenburgen und die wilde Debatte über sie wird jedoch genauso wie die bemerkenswerte Besetzung eines Hauses in der Lindengasse im Vorjahr kaum erwähnt.

Die neue Generation der Hausbesetzer

Gerade im Fall der Lindengasse hätte man sehen können, wie sehr eine neue, junge Szene autonome Kreativräume braucht und zu nützen weiß. Street-Art-Künstler, Fahrradaktivisten, Wagenburgbewohner, DJs und Musiker boten dort das bunte Bild einer lebendigen Szene, das so gar nichts mit jenem Geruch des „Ewiggestrigen“ am Hut hat, der in der allgemeinen Wahrnehmung Hausbesetzungen oder alternativen Szenen anhaftet - von wegen „Jesuspatscherl“, Rauschebart und naive Revolutionsromantik auf der einen, Irokese und „No Future“-Attitüde auf der anderen Seite.

Simon Hadler, ORF.at

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