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„Nur für bessere Politik zu sein ist zu wenig“

Nicht links, nicht rechts, frei von Schablonen - und auf jeden Fall im Dienst der Bürgerrechte: So beschreiben sich viele Mitglieder der deutschen Piratenpartei, die sich nach den Wahlerfolgen, zuletzt im Saarland, verstärkt in den Medien artikulieren. Mit ihrer Anziehungskraft sind sie wohl eine feste Größe im kommenden Bundestagswahlkampf. Fragt sich, ob es auch in Österreich die Chance auf ein Piratenlager gibt - und wer sich in diesem sammeln würde.

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Mit geblähten Segeln - ihrem Parteizeichen - ist die Piratenpartei in Deutschland auf Erfolgskurs. In Berlin und nun im Saarland zog sie bereits in Landesparlamente ein. In zwei weitere Landesparlamente, darunter jenes im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen, will man einziehen. Gleichzeitig stellen die Piraten immer selbstbewusster ihre Ansprüche für den Fall, dass sie auch in den deutschen Bundestag einziehen sollten. Zünglein an der Waage bei Koalitionsbildungen sein und „mitregieren können“, das sind Schlagworte, die man dieser Tage in deutschen Medien liest.

Jungwähler, Protestwähler und ehemalige Nichtwähler haben nach Beobachtungen der Wahlforscher zuletzt im Saarland den Piraten ihre Stimme gegeben. Überzeugt waren sie nicht unbedingt. Eher von den traditionellen Parteien abgestoßen, die sich schon vorab auf eine große Koalition geeinigt hatten. Da könne man auch eine andere Partei wählen, etwa die Piraten, gaben 85 Prozent der befragten Piraten-Wähler als ein Wahlmotiv gegenüber der Forschungsgruppe Wahlen an.

Personen sitzen an einem Tisch mit Laptops, vielen Kabeln und Wimpeln der Piratenpartei

dapd/Mario Vedder

Piraten-Kongress: Erinnerung an die Geschichte der Grünen - nur mit deutlich mehr Kabeln

Die Piraten und der „Neuigkeitseffekt“

Der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann von der Universität Halle verweist im Deutschlandfunk auf den „Neuigkeitseffekt“ und eine „mangelnde Anziehungskraft der etablierten Parteien“ als Triebfeder für die Piratenpartei.

„Die Piraten füllen trotz ihrer erfrischenden Unbedarftheit offenbar ein Vakuum und schaffen ein Ventil für Politikerverdrossenheit“, kommentierte zuletzt Thomas Seifert in der „Presse“ das Abschneiden der Piratenpartei in Deutschland. Der Parteienstaat, wie man ihn bisher gekannt habe, sei am Ende, so Seifert. Allerdings: „Ob freilich die Piraten die Antwort auf eine renovierungsbedürftige politische Architektur sind, darf bezweifelt werden. Zu hoffen ist aber, dass der Erfolg der Piraten Anstoß zu demokratiepolitischen Debatten gibt.“

Filzmaier: Grundsätzlich gute Ausgangslage

Der Politologe Peter Filzmaier sieht die Ausgangslage für neue Parteien in Österreich so gut wie schon lange nicht. Er fügt allerdings einschränkend hinzu, dass neue Parteien nicht unbedingt unter der Piratenflagge segeln müssen. Für Filzmaier müsse eine neue Partei vor allem „glaubhaft anders“ sein. Das sei eine notwendige Grundbotschaft, so der Politologe im Gespräch mit ORF.at. Die Piraten seien eine Option von mehreren.

„Das Potenzial an Enttäuschten ist groß“, erinnert er. Allerdings könnten sich neue Gruppierungen, die auftreten, auch gegenseitig kannibalisieren. Wichtig sei auch das zentrale Thema, mit dem die Partei in eine Wahlauseinandersetzung gehe - „nur für eine bessere Politik zu sein ist zu wenig“. Zuletzt hätten ja „alte“ Namen für Überraschungen gesorgt, wenn sie sich auf die richtigen Themen gesetzt hätten, erinnert Filzmaier an vergangene Wahlerfolge der KPÖ in der Steiermark und von Fritz Dinkhauser in Tirol.

Das Potenzial für neue Parteien sei in städtischen Räumen jedenfalls größer als auf dem Land, sagt Filzmaier. Wem im etablierten Lager eine neue Partei schade, ließe sich nicht grundsätzlich entscheiden - das hänge von der Stoßrichtung einer neuen Gruppierung ab. Grüne oder BZÖ könnten von ihren Wählergruppen dabei aber leicht anfälliger sein, Wähler zu verlieren.

Lässt sich eine Marke importieren?

Die Marke „Piraten“, die in Deutschland gerade Erfolge verspricht, mag interessant erscheinen. An einen Übertragungseffekt glaubt der Politologe nicht. Eine neue Gruppierung bräuchte neben einem „Anstoßeffekt“ aber auch genügend Neugierde aus dem Lager der Medien, um zu einer Art Selbstläufereffekt zu kommen. Und, so Filzmaier, es bedürfe einer guten Internetstrategie, wenn man sich auf traditionelle Wege der Wahlwerbung nicht verlassen könne.

Deutschland: NRW als Gradmesser

In der deutschen Debatte sieht man das Abschneiden der Piraten bei den anstehenden Landtagswahlen im einwohnerstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen als „Lackmustest“ (Politologe Holtmann). Schaffen die Piraten dort am 13. Mai ebenfalls auf Anhieb den Sprung in den Landtag, haben sie wohl auch für die Bundestagswahl im nächsten Jahr gute Chancen. Um sich für die nationale Wahl zu rüsten, hat die Piratenpartei bereits für November in Bochum einen Wahlprogramm-Parteitag geplant.

Der Siegeszug der 2006 gegründeten Piratenpartei gibt vielen Rätsel auf. „Nicht links, nicht rechts, vorne sieht man sich“, so versucht „Der Tagesspiegel“ aus Berlin das neue Phänomen zu verorten. Auf jeden Fall kann die Partei, die in der digitalen Welt zu Hause ist, überraschend viele Wähler für sich mobilisieren.

Der Erfolg bei der Berlin-Wahl letzten September konnte noch mit der besonderen Situation der Metropole erklärt werden. Im Saarland war die Ausgangssituation völlig anders. Dennoch schafften die Piraten auch dort ein respektables Ergebnis.

Man muss immer wieder überzeugen

Piratenparteichef Sebastian Nerz warnt schon vor zu viel Selbstbewusstsein und Optimismus. Das Dümmste wäre es, jetzt zu sagen: „Die Erfolge fliegen uns zu.“ Er betont: „Man muss immer wieder überzeugen.“ Noch haben die Piraten nur Bruchstücke eines Parteiprogramms. Verteidigung der Bürgerrechte, Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Teilhabe nennen sie als ihre Ziele. So treten sie inzwischen für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein.

Im Vordergrund steht aber nach wie vor die digitale Welt, in der das Urheberrecht völlig abgeschafft werden soll. Ganz wichtig ist das Prinzip einer absoluten Transparenz. So kennt die Piratenpartei keine Delegierten, jedes Mitglied kann sich an allen Debatten und Entscheidungen beteiligen. Wie sich das mit einem Parlamentsbetrieb vereinbaren lässt, muss sich noch zeigen.

In Österreich waren Abspaltungen erfolgreicher

Im Gegensatz zu Deutschland sind Parteineugründungen in Österreich seit dem Einzug der Grünen 1986 in den Nationalrat erfolglos geblieben, erinnerte zuletzt auch die „Wiener Zeitung“: „In Österreich haben es nach den Grünen nur Abspaltungen wie LIF oder BZÖ ins Parlament geschafft.“

Die Zeiten hätten sich mittlerweile geändert, und 80 Prozent der Wählerstimmen seien auf dem Markt. Nur noch 20 Prozent fühlten sich an Parteien gebunden, sagt Politologe Peter Ulram. In Österreich ist die Eintrittshürde in den Nationalrat mit vier Prozent zudem ziemlich niedrig.

In Deutschland wissen die etablierten Parteien, auch die Grünen, die auch einer Protestbewegung entstammen, nicht, wie sie auf die neue Konkurrenz reagieren sollen. Alle verweisen auf verstärkte Aktivitäten im Netz. Aber Piraten lassen sich eben nicht wegtwittern.

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