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„Neun Zehntel unter der Oberfläche“

Ein Angriff auf Atomanlagen im Iran würde nach Einschätzung von Militärexperten selbst die hochmoderne israelische Luftwaffe an ihre Grenzen führen - nicht nur, weil die Reaktoren gut geschützt sind. Vor allen die Distanz wäre für die Kampfjets ein Problem. Nun machen Gerüchte die Runde, Israel könnte einen Angriff von Aserbaidschan aus starten.

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Israel und die Kaukasus-Republik hatten bereits in den letzten Jahren wirtschaftlich eng kooperiert, unter anderem ist Israel ein bedeutender Erdölkunde. Doch die Beziehungen gehen laut einer Analyse des US-Magazins „Foreign Policy“ wohl deutlich tiefer. Wie tief tatsächlich, scheint selbst Israels sonst gewöhnlich gut informierter Verbündeter USA nicht zu wissen.

Die US-Botschaft in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku habe bereits 2009 eine „diskrete Symbiose“ mit Israel nach Washington gemeldet, heißt es in „Foreign Policy“. In dem Memo, das später auch von der Enthüllungsplattform WikiLeaks veröffentlicht wurde, war der Präsident der früheren Sowjetrepublik, Ilham Alijew, mit den Worten zitiert worden, die Beziehungen seines Landes zu Israel glichen einem „Eisberg“ mit „neun Zehntel davon unter der Oberfläche“.

Angeblich bereits grünes Licht

Diese neun Zehntel dürften wohl militärische Kooperationen betreffen und ließen nun in Washington die Sorge wachsen, Israel könnte seine Drohungen gegen den Iran tatsächlich wahr machen. Laut dem Magazin, das sich in seinem Bericht auf US-Militärstrategen und Geheimdienstoffiziere beruft, könnte Israel aus Baku bereits grünes Licht für die Nutzung militärischer Infrastruktur bekommen haben.

Karte von Aserbaidschan und Iran

Google Earth; ORF.at (Montage)

Baku liegt nur wenige hundert Kilometer von Teheran entfernt

Doch für welche Aktionen Israel diese genau nutzen könnte, ist nicht wirklich klar. Laut „Foreign Policy“ hatte der Außenminister des Kaukasus-Landes zuletzt in Teheran gesagt, man würde „niemals“ jemandem erlauben, von seinem Territorium aus gegen den „Bruderstaat“ Iran vorzugehen.

Für Baku „absurder“ Bericht

Am Donnerstag dementierte Baku den Bericht des US-Magazins: „Diese Informationen sind absurd und entbehren jeder Grundlage“, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Teimur Abdullajew. Für die Präsidentschaft sagte Ali Hassanow, es werde „keine Aktionen gegen den Iran (...) vom Territorium Aserbaidschans aus geben“. Anderslautende Äußerungen zielten nur darauf, das Verhältnis der beiden Nachbarländer zu „schädigen“.

Allerdings, meinten US-Militärstrategen, könnten israelische Kampfjets die Erlaubnis bekommen, nach einem Angriff in Aserbaidschan zu landen, und es könnten Such- und Bergungsaktionen mit Hubschraubern von dort aus durchgeführt werden. Selbst das würde einen israelischen Angriff auf den Iran schon bedeutend vereinfachen.

Waffendeal für 1,2 Mrd. Euro

Abseits aller Spekulationen zeichnete sich zuletzt tatsächlich eine Intensivierung der militärischen Zusammenarbeit zwischen Israel und Aserbaidschan ab, während sich die Beziehungen zum Nachbarn Iran offenbar deutlich abkühlen. Erst Ende Februar teilte das israelische Verteidigungsministerium mit, Aserbaidschan Drohnen sowie Flugabwehr- und Raketensysteme im Wert von 1,6 Mrd. Dollar (rund 1,2 Mrd. Euro) zu liefern.

Im Iran sorgte diese Ankündigung des Auftrags für die staatlichen Israel Aeorospace Industries (IAI) für heftige Proteste. Nur wenige Wochen zuvor hatte die Islamische Republik Aserbaidschan indirekt beschuldigt, Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad von seinem Territorium aus operieren zu lassen. Anlass war ein tödlicher Autobombenanschlag auf einen iranischen Atomwissenschaftler.

Außerdem beschuldigte Teheran Baku der „systematischen antiiranischen Propaganda“. In Aserbaidschan wurden zuletzt über 20 Personen unter dem Vorwurf der Spionage für den Iran festgenommen. Die Beziehungen der beiden Nachbarn scheinen de facto nicht mehr wirklich „brüderlich“.

Angriff wäre bedeutend einfacher

Aserbaidschan grenzt im Süden an den Iran. Ein Angriff vom Territorium des Kaukasus-Landes aus hätte allein deshalb für Israel große strategische Vorteile. Von den heimischen Militärbasen aus müssten Kampfflugzeuge je nach Route über Syrien bzw. Jordanien und den Irak zumindest 1.700 Kilometer in eine Richtung zurücklegen, hieß es Ende Februar in einer Analyse der „New York Times“.

Die Flugzeuge müssten dafür in der Luft auftanken, alles in allem „eine harte Probe“ für die verantwortlichen Militärstrategen. Samt Tankflugzeugen und Begleitschutz müsste Israel rund 100 Flugzeuge gleichzeitig in der Luft haben - rund ein Fünftel seiner Gesamtflotte.

Weniger Treibstoff, mehr Bomben

Mit grünem Licht aus Baku müssten israelische F-15- und F-16-Kampfjets nach einem Angriff auf den Iran nicht für den Rückflug betankt werden, sondern könnten in Aserbaidschan landen. Alles andere würde die israelische Luftwaffe „an ihre Leistungsgrenzen führen“ sagte der Militärexperte David Isenberg gegenüber „Foreign Policy“. Ähnlich der frühere Chef des Zentralkommandos der US-Armee (CENTCOM), General Joe Hoar, der in einem solchen Szenario ebenfalls einen wesentlichen strategischen Vorteil sieht. Die Israelis seien beim Betanken in der Luft nämlich „einfach nicht gut“.

Der frühere US-Airforce-Oberst Sam Gardiner, Autor einer strategischen Studie über die Wahrscheinlichkeit eines Kriegs zwischen Israel und dem Iran, verwies darauf, dass das Treibstoffproblem noch einen weiteren Nachtteil mit sich bringe: Je mehr Sprit die F-15 und F-16 mitführen müssten, desto weniger Waffen könnten sie an Bord nehmen, was wiederum die Wahrscheinlichkeit für einen erfolgreichen Einsatz schmälere.

USA „nicht glücklich“

Aserbaidschan verfügt laut „Foreign Policy“ über vier aufgelassene Militärflugplätze noch aus der Sowjetära, die für Israel verfügbar wären ,und dazu über vier weitere für die eigene Luftwaffe. Ausgangspunkt für Angriffe könnte das Flugfeld Sitalcay rund 550 Kilometer von der iranischen Grenze entfernt sein.

Die USA seien besorgt, dass die intensivierte Kooperation mit der Kaukasus-Republik die Anstrengungen Washingtons, Israel zu bremsen, unterlaufen könnte. Am meisten Kopfzerbrechen bereite US-Militärstrategen allerdings, dass sie nicht nur einen Konflikt in der Golfregion einplanen müssten, „sondern einen, der den Kaukasus einschließt“. „Wir beobachten sehr genau, was der Iran tut“, zitierte „Foreign Policy“ einen namentlich nicht genannten US-Geheimdienstoffizier. Aber man beobachte auch, „was Israel in Aserbaidschan tut. Und wir sind nicht glücklich damit.“

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