„Lügt nicht übern Walla.!“
August Walla, sagt Johann Feilacher, der Leiter des Hauses der Künstler in Maria Gugging, war ein Universalkünstler. Er malte alles an, was ihm in die Finger kam, arbeitete mit den unterschiedlichsten Materialien - und erschuf sich sein eigenes künstlerisches Universum, samt Göttern, Philosophie und Symbolik - ein Universum, in dem er auch lebte.
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Diese in sich geschlossene Welt zeigt das Art-Brut-Center Gugging nun in der ersten Einzelausstellung des 2001 im Alter von 65 Jahren verstorbenen Walla: „august walla.! weltallende“. Früher nannte man Art Brut „Die Kunst der Geistesgestörten“ oder sprach von „Kunst als Therapie“. Heute werden Künstler wie Walla und seine Gugginger Kollegen Oswald Tschirtner und Johann Hauser ernst genommen. Wallas größte Gemälde haben einen Versicherungswert von bis zu 300.000 Euro.
Das Gugginger Haus der Künstler wurde vom Psychiater Leo Navratil 1981 als Teil der Nervenheilanstalt Maria Gugging gegründet und später von Johann Feilacher in jeder Hinsicht aus dem Krankenhauskontext gelöst und privatisiert. Walla lebte und arbeitete dort bis zu seinem Lebensende. Noch heute kann man sein Zimmer besuchen, in dem jeder Zentimeter der Wände und der Decke bunt bemalt ist.

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August Walla fotografiert seine Mutter - sie hält sein Kunstwerk
Kunstattacken in der Au
Walla war aber schon lange vor seinem Einzug in Gugging künstlerisch tätig. Er lebte mit seiner Mutter zuerst in einem Salettl in der Au, später in einer aufgelassenen Kaserne. Die beiden stromerten viel durch die Gegend, und es gab nichts, was vor Wallas Kunstattacken sicher war: Bäume in der Au, Häuserwände in Klosterneuburg, Sperrmüll. In der Ausstellung in Gugging sieht man Fotos, die das dokumentieren und einzelne Artefakte, etwa die bemalte Arbeitsplatte einer Waschmaschine.
Meist hatte Walla auf seinen Touren eine Tasche, ein Rollwagerl oder einen Einkaufstrolley dabei, mit Farbtöpfen und Pinseln darin. In Klosterneuburg und Umgebung hatten er und seine Mutter keinen guten Ruf, wohl nicht zuletzt deshalb. Sie waren seltsame Vagabunden - und besonders August Walla hatte stets schlechte Laune, schimpfte mitunter laut vor sich hin, und es soll sogar vorgekommen sein, dass er sich vor Fremden entblößte.
Satan und Gespenstergott Kappar
Es war Navratil, der Walla eingeladen hatte, ins Haus der Künstler zu ziehen. Wallas Bedingung: Die Mutter muss mit. In Gugging hatte er dann die Möglichkeit, sich und seinen Kosmos voll zu entfalten. Die dort entstandenen Leinwände sind - bis auf wenige Ausnahmen - bunt und bis zum letzten Millimeter ausgemalt. Ein wenig erinnern die Gestalten, die sich darauf finden, an jene der Inka-Kunst.

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Wallas Götter; mit dem Bild links wollte er seinen Kollegen Johann Garber beleidigen - diesen „Dieb“, „Satan“ und „Teufel“
Wallas Figurenkosmos besteht in erster Linie aus Göttern - solchen, die es auch in den Weltreligionen gibt oder im Lauf der Geschichte gab, mehr noch aber erfundenen. Sie regieren über Weltallende - dem Jenseits in Wallas Universum, einem magischen Land, das im Gegensatz zur tatsächlichen Umwelt Wallas - dem Weltall - existiert. Da gibt es Satttus, der etwas von einem Satyr hat und ein bisschen etwas von Satan, auch Satan selbst kommt vor, oft mit Doppelpenis, einen für Urin, einen für Sperma, und den Gespenstergott Kappar.
Hakenkreuz als Weiblichkeitssymbol
Weltallende wird auch von Symbolen, Abkürzungen und Wörtern bevölkert - die oft nicht dasselbe bedeuten wie in der realen Welt. Das verkehrt herum gemalte Hakenkreuz etwa ist bei Walla häufig (nicht immer) ein Symbol der Weiblichkeit. Seine Mutter hatte ihn als jungen Burschen in Frauenkleider gesteckt, damit er von den Nazis nicht zum Militärdienst oder sonstigen Einsätzen geholt wurde. Hammer und Sichel wiederum stehen meist für Männlichkeit. Als 1945 die Russen einmarschierten, waren das zum Großteil Männer.
Ausstellungshinweis
„august walla.! weltallendeland“, von 29. März bis 28. Oktober, Brut-Center Gugging, dienstags bis sonntags 10.00 bis 18.00 Uhr.
Auch persönliche Geschichten und Befindlichkeiten fließen mit ein. Zum Beispiel konnte er einen anderen Künstler in Gugging überhaupt nicht ausstehen: Johann Garber. Ihm widmete er ein eigenes Bild, in dem er ihn als „Dieb“ und „Teufel“ beschimpft. Dann wiederum gab es eine Pflegekraft, der er sehr zugetan war - ihr sind einige Details in Bildern gewidmet.

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Appell an die Nachwelt - auf Leukoplast ins Gemälde geklebt. Detail aus: „Lügner sind dumm.!“, Sammlung Simacek-Scharl
Lokalverbot für „größten“ Art-Brut-Künstler
In manchen seiner Gemälde kommt eine Zauberpistole vor, mit der Walla in der Hoffnung auf Weltallende zielt, ein Zauber möge herabkommen und seine 1993 im Alter von 97 verstorbene Mutter als junge Frau zurück ins Leben holen. Ihr Tod war für ihn ein schwerer Schock. Fortan saß Walla viel in jenen Wirtshäusern der Umgebung herum, in denen er noch nicht Lokalverbot erhalten hatte. Er war jetzt noch grantiger - und verhielt sich noch provokativer.
Als Walla 2001 starb, hinterließ er ein unermessliches Oeuvre an Gemälden, Zeichnungen, Radierungen und Objekten. Feilacher nennt ihn gegenüber ORF.at, ohne mit der Wimper zu zucken, den bedeutendsten Art-Brut-Künstler des 20. Jahrhunderts, noch vor dem Schweizer Adolf Wölfli, weil der weniger gefördert und dreißig Jahre lang weggesperrt worden sei.
Buchhinweis
Zur Ausstellung ist ein aufwändig im Stile Wallas gestalteter Schuber mit drei Bildbänden und einem reproduzierten, bemalten Schulheft Wallas erschienen.
Johann Feilacher, August Walla: august walla.! weltallendeland. Residenz Verlag, vier Bände im Schuber, 750 Seiten, 149 Euro.
Alles, nur keine Maltherapie
Walla ist ein gutes Beispiel dafür, dass Art Brut nichts im Therapie- oder Kritzelkunstkontext zu suchen hat. Sein Werk ist von einer Dichtheit, die ihresgleichen sucht. Mehr als dreißig Jahre lang differenzierte er seine Motive, Methoden und Materialien aus. Die spät entstandenen großen Leinwände entwickeln eine ungemeine Sogwirkung.
Und noch etwas zieht sich durch seine Kunstwerke: ein bestechender Humor. Auf eines seiner Bilder hat er einen dünnen Leukoplaststreifen geklebt - und darauf Appelle an die Nachwelt deponiert: „Nicht schlecht übern Walla reden“ und „Lügt nicht übern Walla.!“ Beim Hinausgehen aus dem Art-Brut-Center möchte man ein Gebet gen Weltallende schicken, wo Walla jetzt vielleicht gerade mit seiner Mutter spazieren geht, einen Satan mit Doppelpenis auf ein Wölkchen malt und herzhaft vor sich hingrantelt.
Simon Hadler, ORF.at
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