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Behörden: Kein Netzwerk

In Frankreich haben Spekulationen über einen Komplizen des Serienmörders von Toulouse durch ein Tatvideo Auftrieb erhalten. Eine Kopie der Aufnahmen war dem arabischen Nachrichtensender al-Jazeera nach eigenen Angaben zugeschickt worden.

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Fest steht, dass Merah selbst das Video nicht mehr verschickt hat. Denn es wurde am Mittwoch abgeschickt - ab Mittwochfrüh war der Attentäter aber in seiner Wohnung von der Polizei umzingelt. In der französischen Öffentlichkeit wird daher nun spekuliert, dass ein Komplize das Video abgeschickt haben könnte. Mohammed Merah hatte seine Verbrechen nach Angaben der Ermittler selbst gefilmt.

„Man sieht alle Taten drauf“, sagte der Pariser Büroleiter des Senders, Zied Tarrouche, am Dienstag dem TV-Sender BFM. Auch die Schreie der Opfer seien klar zu hören. Den Angaben zufolge zeigen die Aufnahmen einen Zusammenschnitt mehrerer Morde des 23-jährigen Attentäters. Demnach ist das Video mit Musik unterlegt und mit Versen aus dem Koran besprochen.

Sieben Morde an drei Tagen

Der Toulouse-Attentäter Mohammed Merah erschoss an drei Tagen im März insgesamt sieben Menschen, darunter an einer jüdischen Schule drei Kinder und einen Lehrer. Der Attentäter wurde am Donnerstag von der Polizei in seinem Haus erschossen.

Sarkozy-Appell an TV-Stationen

Präsident Nicolas Sarkozy rief alle Fernsehstationen des Landes auf, das Mordvideo auf keinen Fall auszustrahlen. Das erfordere der Respekt vor den Opfern, mahnte Sarkozy am Dienstag in einer vom TV-Nachrichtensender BFM übertragenen Ansprache. Al-Jazeera beschloss laut BBC am Dienstag, das Material nicht zu senden. Ein Mitarbeiter des Senders in Paris sagte gegenüber Reuters, in dem Video gebe es keine Information, und seine Ausstrahlung würde gegen ethische Normen verstoßen.

Der Polizei war das Filmmaterial bereits zuvor bekannt: Sie hatte die Kamera gefunden, nachdem ihr Merah während der stundenlangen Belagerung seiner Wohnung mitgeteilt hatte, wo sie sich befindet. Der für Terrorismus zuständige Pariser Staatsanwalt Francois Molins hatte bereits letzte Woche Ausschnitte aus den Aufnahmen geschildert. Laut Molins sagte Merah den Ermittlern auch, dass er den Film ins Internet gestellt habe, „aber wir wissen nicht, wo oder wie oder wann“.

Bekennerschreiben in fehlerhaftem Französisch

Dem Video sei ein handgeschriebenes Bekennerschreiben in fehlerhaftem Französisch beigelegen, hieß es am Dienstag. Die Behörden, die beides untersuchten, halten die Aufnahmen für authentisch. Sie bezweifeln aber eine Beteiligung des Terrornetzwerks Al-Kaida. Merah hatte sich selbst als „Mudschahed“ bezeichnet und erklärt, Al-Kaida nahezustehen.

Die Sendung trug den Poststempel von Mittwoch, schrieb die Zeitung „Le Parisien“. An diesem Tag hatte die Belagerung des Appartements bereits begonnen, in dem der Serienmörder nach einem mehr als 30-stündigen Nervenkrieg von der Polizei erschossen wurde. Die Ermittler interessiert nun, ob Merah selbst das Päckchen am Dienstagabend aufgegeben hatte oder ob es am Mittwochvormittag von einem Komplizen abgeschickt wurde.

Zweiter Komplize gesucht

Bisher galt nur Merahs Bruder als möglicher Komplize. Abdelkader Merah wurde am Sonntag wegen Mittäterschaft angeklagt. Die Ermittler suchen aber nun auch nach einem zweiten Komplizen. Dabei gehe es um den Diebstahl des Motorrollers, den Merah bei seinen drei Bluttaten benutzt hatte, hieß es am Dienstag vonseiten der Polizei in Paris. Dieser dritte Mann, der noch nicht identifiziert sei, sei womöglich auch vor den Anschlägen an Vorbereitungen beteiligt gewesen, etwa indem er Motorradzubehör gekauft oder sich zur Abschaltung der Diebstahlsicherung kundig gemacht habe.

Merah war nicht in Terrorlager

Frankreich rätselt unterdessen weiter über die Radikalisierung des Serienmörders. Merah gehörte nach derzeitigem Stand der Ermittlungen weder zu einer Terrorgruppe noch besuchte er ein Trainingscamp in Afghanistan. „Nach unserer Kenntnis gab es keine Zelle“, sagte Staatschef Nicolas Sarkozy am Montag in einem Radiointerview. „Er hat kein Ausbildungslager absolviert, er war an keiner religiösen Hochschule und er hat sich nicht an terroristischen Handlungen beteiligt.“ Merah habe sich über das Internet selbst radikalisiert, sagte Sarkozy.

Als einziger möglicher Mitwisser gilt bisher Merahs Bruder Abdelkader. Gegen ihn leitete die Justiz am Sonntagabend ein Anklageverfahren. Abdelkader Merah verurteile die Taten zutiefst und hoffe, „nicht zum Sündenbock für das zu werden, was sein Bruder getan hat“, sagte Pflichtverteidigerin Anne-Sophie Laguens am Sonntagabend nach der Ausstellung des Haftbefehls.

Mit Touristenvisum in Palästinensergebiete

Bekannt ist mittlerweile auch, dass Merah 2010 für drei Tage nach Israel und in die Palästinensergebiete reiste. Laut israelischen Sicherheitskreisen reiste er im September über die Grenze zu Jordanien in das von Israel besetzte Westjordanland ein. Er habe ein israelisches Touristenvisum gehabt und sei möglicherweise mit weiteren französischen Staatsangehörigen eingereist. Drei Tage später habe er das Land über denselben Weg verlassen. Merah reiste damals nach Angaben des israelischen Armeeradios womöglich mit einem falschen Pass nach Israel.

Vater plant Klage gegen Republik

Merahs Vater kündigte unterdessen von seinem Wohnsitz in Algerien aus an, Frankreich wegen der Tötung seines Sohns klagen zu wollen. Die Sicherheitsbehörden hätten seinen Sohn lebendig fassen müssen, kritisierte er. Zudem kündigte der Vater an, dass sein Sohn in Algerien bestattet werden solle. Ein Onkel beantragte nach eigenen Angaben bereits die Überführung der Leiche nach Algerien. Ein Bruder des Attentäters verwies nach Angaben des französischen Rates der Muslime (CFCM) aber darauf, dass Merah in seinem Heimatland Frankreich bestattet werden wollte.

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