Umstrittene Maßnahmen
Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (Data Retention) ist nicht erst seit ihrer Verabschiedung 2006 umstritten und heiß umkämpft. Während Befürworter zusätzliche Möglichkeiten der Fahndung in den Vordergrund stellen, zweifeln Gegner an der Rechtmäßigkeit und auch Wirksamkeit der Maßnahme.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Zuletzt entfachte eine Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, die im Auftrag des deutschen Bundesamts für Justiz erstellt wurde, erneut die Diskussion über die Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung. Sie kam auf Basis von Daten unter anderem deutscher Behörden zu dem Schluss, dass die Vorratsdatenspeicherung bei der Aufklärung von Straftaten nicht hilft, auch nicht bei dem oftmals angeführten Thema Kinderpornografie.
„Defizite in der Beweisführung“
In Deutschland war die Vorratsdatenspeicherung von 2008 bis März 2010 in Kraft, dann wurde sie vom deutschen Bundesverfassungsgericht aufgehoben. Die Studie vergleicht Daten aus diesem Zeitraum mit Daten vor dem Inkrafttreten beziehungsweise mit Ländern ohne Vorratsdatenspeicherung zu diesem Zeitpunkt, darunter auch Österreich. Laut Studie gibt es etwa bei vorsätzlichen Tötungsdelikten für den Zeitraum 2005 bis 2009 keine Unterschiede bei den Aufklärungsquoten zwischen Deutschland und Österreich, sie sind ungefähr gleich hoch.
Darauf angesprochen, erklärte der Sprecher des heimischen Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, dass die Studie einen eingeschränkten Zeitraum betrachte. „Es gibt immer wieder Defizite in der Beweisführung“, diese sollten durch die Vorratsdaten vermieden werden. Justiz- und Innenministerium in Österreich erklären immer wieder, dass die schon bisher gespeicherten Verkehrsdaten (meist im Rahmen der Abrechnung) bereits bei Ermittlungen geholfen haben - mehr dazu in oe1.ORF.at. Mit der Vorratsdatenspeicherung gebe es für die Speicherung und die Verwendung nun klare Richtlinien und einen Rechtsschutz und damit auch Sicherheit, so Grundböck.
Umgehung leicht möglich
Kritiker weisen im Gegenzug darauf hin, dass die technischen Maßnahmen der Vorratsdatenspeicherung relativ einfach umgangen werden können. Wertkartenhandys etwa können in Österreich ohne Registrierung von Namen und Adresse genutzt werden, entsprechend können sie nicht direkt zurückverfolgt werden. Der Gesetzgeber hat das insofern einkalkuliert, als bei der Vorratsdatenspeicherung die Erstaktivierung gespeichert wird, da davon ausgegangen wird, dass ein Wertkartenhandy zu Hause aktiviert wird. Echte Terroristen werden damit umzugehen wissen.
Ebenso wenig wird die Kommunikation via Facebook-Chat, Twitter und Instant Messenger von der Vorratsdatenspeicherung erfasst - oder auch die Internettelefonie via Skype, obwohl Internettelefonie grundsätzlich vom Gesetz eingeschlossen wird, allerdings nur von lokalen Anbietern.
Daten wecken Begehrlichkeiten
Für Michael Bauer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) ist die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich unverhältnismäßig, es bestehe zudem die Gefahr, dass die Daten für andere Zwecke als die eigentlich gedachten verwendet werden. So gibt es laut Bauer immer wieder Anfragen der Industrie bei der EU-Kommission, Vorratsdaten explizit auch bei Urheberrechtsverletzungen verwenden zu können. „Wenn ein System erst besteht, ist eine Ausweitung ganz leicht möglich.“
Der AK Vorrat will das Thema Vorratsdatenspeicherung in Österreich auch über den 1. April am Leben halten, unter anderem dafür wurde eine Bürgerinitiative gegen die Vorratsdatenspeicherung gestartet. Von der österreichischen Regierung fordert der AK Vorrat, dass sie sich bei der EU in Brüssel im Zuge der Überarbeitung für eine Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung einsetzt. Zudem soll sie alle Terrorgesetze evaluieren und auf ihre Verhältnismäßigkeit prüfen. Mit einer Sammelanfechtung beim Verfassungsgericht will der AK Vorrat zudem erreichen, dass die Vorratsdatenspeicherung als in Österreich verfassungswidrig festgestellt wird.
Die Freiheitlichen in der Kärntner Landesregierung haben mit ihrer absoluten Mehrheit am Dienstag ebenfalls eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen. SPÖ und ÖVP stimmten dagegen - mehr dazu in oesterreich.ORF.at
Genaue Kontrolle der Zugriffe
An der Vorbereitung der Sammelklage des AK Vorrat ist auch Christof Tschohl beteiligt, obwohl er im Rahmen seiner Tätigkeit für das Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte (BIM) das Gesetz selbst mitausgearbeitet hat. Die Möglichkeit, vor das Verfassungsgericht zu ziehen, habe sich das BIM ausdrücklich vertraglich zusichern lassen - nachdem es in einer Studie im Auftrag des Infrastrukturministeriums vor der eigentlichen Umsetzung bereits festgestellt hatte, dass die Vorratsdatenspeicherung in die Grund- und Menschenrechte eingreift und daher eigentlich nicht umsetzbar ist.
„Ich wollte möglichst viel Schaden abwenden“, so Tschohl, der laut eigenen Angaben stolz ist, dass es mit der Durchlaufstelle eine genaue Protokollierung aller Zugriffe auf Verkehrsdaten nach dem Telekommunikationsgesetz gibt - ein in ganz Europa in dieser Form einzigartiger Kontrollmechanismus. Das ändere aber nichts daran, dass die Vorratsdatenspeicherung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und auch heimische Datenschutzgesetze verstoße. Sie ist laut Tschohl bei Terrorismus und ähnlich schweren Straftaten, für die sie eigentlich gedacht war, auch wenig wirksam, weil sie etwa durch eine direkte Verbindung via VPN leicht umgangen werden könne.
Anon Austria kündigt Aktionen an
Die Internetaktivisten von Anon Austria zählen ebenfalls zu den ausgesprochenen Gegnern der Vorratsdatenspeicherung, sie haben rund um den 1. April einige Aktionen angekündigt, neben Demonstrationen auch die Veröffentlichung von angeblich heiklem Material: Man habe über Monate hinweg im Rahmen einer „eigenen Vorratsdatenspeicherung“ Dutzende E-Mail-Accounts von Politikern überwacht und werde Dinge publik machen, die „Österreich erschüttern werden“, hieß es in einer Aussendung der Gruppe.
Links: