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Kaum Handlungsspielraum

Die Ereignisse in Toulouse sind vom laufenden französischen Wahlkampf nicht zu trennen. Staatschef Nicolas Sarkozy wandte sich, noch während die Belagerung des Hauses des mutmaßlichen Attentäters lief, mit entschlossenen Botschaften an die Öffentlichkeit. Marine Le Pen legte mit markanten Forderungen zum Schutz „unserer Kinder“ nach.

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„Herausforderer Francois Hollande hat in diesem Klima der Belagerung in Frankreich nicht zum ersten Mal den Eindruck vermittelt, sich im Kielwasser des Gegners zu halten“, kommentierte die italienische „La Stampa“ mit einem Blick von außen am Mittwoch das Geschehen und erinnerte an eine bekannte Tatsache: Die Tragödie von Toulouse, wie alle Augenblicke kollektiver Emotion, nutze demjenigen, der schon an der Macht ist, „und nicht jenem, der sie erringen will“.

„Temperament eines Super-Präsidenten“

Die Situation ist allerdings heikel. Das Thema Toulouse ist im Wahlkampf eigentlich tabu. Es sollte daher nicht der Eindruck entstehen, dass die Tragödie im Wahlkampf breitgetreten wird, um damit Stimmen zu lukrieren. Auf dem Weg nach Toulouse am Mittwoch demonstrierten die konkurrierenden Präsidentschaftskandidaten sogar Einigkeit und stiegen in dasselbe Flugzeug.

Einige französische Medien sehen den Wahlkampf dennoch vor einem Wendepunkt. Wie sehr die Ereignisse in Toulouse positiv auf Sarkozy abfärben, zeigt etwa das Kommentar der Zeitung „La Republique de Pyrenees“ (Donnerstag-Ausgabe): „Dass Nicolas Sarkozy von seiner Präsidentenstatur profitiert hat, um während der letzten drei Tage die ‚Einigkeit der Nation‘ zu verkörpern, ist logisch. (...) Dass er etwas mehr getan hat, als seine Rolle unbedingt erforderte, entspricht dem Temperament eines Super-Präsidenten, der ebenso ein Super-Präsidentschaftskandidat ist.“

Marine Le Pen rutscht ab

Sarkozy konnte seinen Rückstand zu Hollande in den Umfragen nach den Anschlägen von Toulouse aufholen. In einer am Donnerstag veröffentlichten Erhebung des Meinungsforschungsinstituts BVA lag der Amtsinhaber mit 28 Prozent Zustimmung nur noch 1,5 Prozentpunkte hinter seinem sozialistischen Herausforderer Francois Hollande. Vor einem Monat betrug der Abstand noch fünf Punkte.

Sarkozy schnitt bei den Themen Sicherheit und Immigration besser ab. Die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen rutschte dagegen in der Umfrage auf Platz vier ab. Sie wurde überholt von Jean-Luc Melenchon, dem Kandidaten der Linken.

Sarkozy nutzt den Moment

Sarkozy nutzt jedenfalls den Moment, um zu zeigen, dass er das Heft des Handelns in der Hand hat, und versucht, Sicherheit zu vermitteln. „Wir müssen zusammenstehen. Wir dürfen uns weder zur Diskriminierung noch zur Rache verleiten lassen“, sagte Sarkozy in Paris. „Der Terrorismus wird unsere nationale Gemeinschaft nicht zerbrechen“, so Sarkozy am Mittwochvormittag vor der Presse - just in einem Moment, wo die Polizei mit dem in einem Haus verschanzten Attentäter verhandelte.

Der Attentäter hatte am Montag drei jüdische Kinder und einen Rabbiner vor ihrer Schule in der südwestfranzösischen Stadt erschossen. Er soll außerdem drei Fallschirmjäger nordafrikanischer Abstammung getötet haben.

Le Pen kritisiert Afghanistan-Politik

Die rechtsextreme Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen rief am Mittwoch zum Kampf gegen „diese fundamentalistischen politischen und religiösen Gruppen, die unsere Kinder töten“, auf. Die Vorsitzende der Front National (PN) meinte in einem Radiointerview, dass „das fundamentalistische Risiko in unserem Land“ unterschätzt worden sei. Die Attentate seien das Ergebnis der fehlgeleiteten französischen Afghanistan-Politik, so Le Pen.

Dem Sender i-Tele sagte sie: „Die Gefahr des Fundamentalismus ist in unserem Land unterschätzt worden. Bestimmte politische und religiöse Gruppen entwickeln sich angesichts einer gewissen Laxheit. Wir müssen nun Krieg gegen diese fundamentalistischen politischen und religiösen Gruppen, die unsere Kinder töten - unsere jungen christlichen Männer, jungen muslimischen Männer und jüdischen Kinder -, führen.“

Die beiden Hauptkonkurrenten um das Präsidentenamt, der konservative Amtsinhaber Sarkozy und sein aussichtsreicher Herausforderer Hollande von den Sozialisten, entzweit die französische Militärpräsenz in Afghanistan. Hollande will die französischen Soldaten bis Jahresende abziehen. Sarkozy plant den Abzug für Ende 2013.

Wahlkampf mit Immigration und Islam

Immigration und der Islam waren große Themen im bisherigen Wahlkampf. Sarkozy versuchte mit seinen Aussagen jüngst, potenzielle Le-Pen-Wähler auf seine Seite zu ziehen. „Sie wollen den Wahlkampf aussetzen, sagen sie. Aber der Wahlkampf ist wie die Natur, er rächt sich und gewinnt immer die Oberhand“, kommentierte die Zeitung „Sud-Ouest“ aus Bourdeaux das Verhältnis von Anschlagstragödie und der anstehenden Wahl.

Die „Dernieres Nouvelles d’Alsace“ aus Straßburg befanden, dass der Handlungsspielraum im Wahlkampf für alle „eng“ sei: „Man sagt, einen Staatsmann erkenne man in der Bewährungsprobe. Und diese hier ist nicht ohne. Wenn ein Kandidat zu emotional reagiert, wird er sofort beschuldigt, er wolle das Drama zu seinen Gunsten ausschlachten. Und wenn er zu kühl ist, gerät er in den Verdacht, das ganze Ausmaß der Situation nicht zu erfassen.“ So kurz vor dem Ziel könne der kleinste Ausrutscher zum Verhängnis werden.

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