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Bus nicht zu schnell unterwegs

Das tragische Unglück eines belgischen Busses in der Schweiz könnte nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft verschiedene Ursachen haben. Es komme ein technischer Defekt infrage. Auch eine plötzlich auftretendes gesundheitliches Problem des Fahrers oder menschliches Versagen seien möglich.

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„Der Reisebus war neu und gut instand gehalten, und der Fahrer war allen Erkenntnissen nach ausgeruht“, sagte Oberstaatsanwalt Olivier Elsig am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Sitten. Die Leiche des Fahrers werde untersucht.

Spekulationen über DVD-Wechsel

Medienberichten zufolge gibt es seit Donnerstag Gerüchte, wonach der Fahrer des verunglückten Reisebusses kurz vor dem Unfall eine DVD wechseln wollte. Das hätten mehrere der verletzten Kinder ihren Eltern und dem Krankenhauspersonal erzählt, berichteten die flämische Boulevardzeitung „Het Laatste Nieuws“ („HLN“) und die „Aargauer Zeitung“. „Ein kleiner Moment der Unachtsamkeit“ könne damit die Unfallursache sein.

Vom Schweizer Polizeisprecher Renato Kalbermatten sei diese Version des Unglückshergangs vorläufig aber als Spekulation bezeichnet worden, die durch die ausgewerteten Videoaufzeichnungen im Tunnel nicht belegbar sei.

Nach Angaben des Chefs des betroffenen Busunternehmens Top Tours, Yves Mannaerts, der am Donnerstag erstmals Stellung zum Unfall nahm, werden die Untersuchungen Aufschluss über die Ursachen geben. Mannaerts betonte aber, dass es in der Regel Aufgabe des Ersatzchaffeurs sei, den DVD-Player zu bedienen.

„Gewaltiger Zusammenprall“

Bei einem der schwersten Busunglücke in der Geschichte der Schweiz waren 28 Menschen gestorben. Darunter waren 22 Kinder, auch die beiden Busfahrer sowie vier weitere Erwachsene sind tot. 24 Kinder erlitten laut Polizei Verletzungen. Drei von ihnen seien in einem besonders schlechten Zustand, sagte ein Mediziner bei der Pressekonferenz. Die Kinder im Fahrzeug waren nach Angaben des Oberstaatsanwalts angeschnallt. Sie seien aber wohl losgerissen worden beim Aufprall.

„Der Zusammenprall war so gewaltig, dass es die Sitze aus der Verankerung gerissen hat. Aber angeschnallt oder nicht, das hätte jetzt nicht viel geändert für die Kinder, die bei dem Unfall ums Leben gekommen sind“, sagte Elsig. Der Bus sei aber jedenfalls nicht zu schnell unterwegs gewesen, das könne man zum derzeitigen Zeitpunkt ausschließen. Es seien keine anderen Fahrzeuge in der Nähe gewesen, auch die Straße sei in einem guten Zustand gewesen. Das habe die erste Analyse der Überwachungsvideos ergeben.

Grafik zum Unfall

Google Earth (Montage)

Der Autobahntunnel bei der Walliser Ortschaft Siders ist Teil der Schweizer Autobahn A9, die von der französischen Grenze am Genfer See entlang ins Rhonetal führt

Erst 20 Minuten unterwegs

Schon zuvor hatte es keine Erklärung für den Unfall gegeben: Dieser „geschah in einem gut ausgeleuchteten Abschnitt des Tunnels. Der Verkehr war auch nicht sehr dicht“, so Simon Epiney, der Bürgermeister der Gemeinde Anniviers, gegenüber der „Basler Zeitung“ („BAZ“). Laut Angaben des Schweizer Fernsehens (SF) war der Reisebus erst rund 20 Minuten unterwegs gewesen.

Auch der Fahrer könne nach Ansicht des Staatssekretärs im belgischen Verkehrsministerium, Melchior Wathelet, nicht übermüdet gewesen sein. „Es sieht so aus, als seien die Bestimmungen zu den Fahrzeiten eingehalten worden.“ Die Rückfahrt hatte am Abend begonnen. Wathelet sagte, dass es sich um „einen Bus der neusten Generation mit allen empfohlenen Sicherheitseinrichtungen“ gehandelt habe.

Fahrer besonders ausgebildet

Dem belgischen Staatssekretär zufolge habe auch das betroffene Busunternehmen bisher einen „exzellenten“ Ruf genossen. Der verunglückte Bus gehörte laut Medienberichten dem belgischen Unternehmen Top Tours, das auf Reisen in Skigebiete spezialisiert ist. Die in Aarschot nordöstlich von Brüssel ansässige Firma sei nach Angaben des Sprechers des Verbandes belgischer Busunternehmen besonders erfahren bei Reisen in die Skigebiete Italiens, Österreichs, Frankreichs und der Schweiz. Auch die Fahrer seien für die Fahrt in den Alpen besonders ausgebildet.

Mehrere Schwerverletzte

Die Schweizer Polizei hatte bereits am Dienstagabend die Öffentlichkeit über den schweren Unfall informiert. Erst Mittwochfrüh wurde das wahre Ausmaß bekannt. Die meisten Opfer sind Kinder im Alter von zwölf Jahren, die im Val d’Anniviers in den Skiferien waren. Bei der Reisegruppe handelte es sich um zwei Schulklassen aus den flämischen Städten Lommel und Heverlee, die auf der Heimfahrt aus der Skiregion Val d’Anniviers waren.

Havarierter Reisebus

APA/Keystone/Laurent Gillieron

Der verunglückte Reisebus

Frontal in Nothaltestelle geprallt

Nach Angaben der Behörden ereignete sich der Unfall am Dienstag gegen 21.15 Uhr auf der A9 nahe der Ortschaft Siders. Der Reisebus geriet laut Polizeiaussendung in einem Autobahntunnel aus noch ungeklärten Gründen auf die rechte Seite, touchierte dort die Randsteine und prallte in der Folge frontal in eine Nothaltestelle.

Laut Angaben der Behörden waren nach dem Aufprall zahlreiche Insassen in dem stark beschädigten Bus gefangen und mussten aus dem Wrack befreit werden. Ein Großaufgebot an Ambulanzen, Feuerwehrleuten und der Kantonspolizei habe sich unverzüglich zur Unfallstelle begeben. Die Autobahn wurde in beiden Richtungen gesperrt. Schweizer Medienberichten zufolge dauerte die Rettungsaktion bis in die frühen Morgenstunden. Zahlreiche Krankenwagen, mehrere Hubschrauber und über 200 Rettungssanitäter, Feuerwehrleute, Ärzte und Polizisten waren im Einsatz.

Rettungskräfte bei der Unfallstelle

APA/Keystone/Laurent Gillieron

Über 200 Rettungskräfte waren die ganze Nacht im Einsatz

Eine Tragödie dieses Ausmaßes hat es laut Polizeikommandant Varone im Kanton Wallis noch nie gegeben. Die Rettungsaktion wurde von den Helfern als „extrem schwierig“ beschrieben. Berichtet wurde von „schockierenden Szenen“. Sie seien erschüttert gewesen von dem, was sie gesehen hätten, sagte der Chef der Rettungskräfte, Jean-Pierre Deslarzes.

2.460 Meter langer Tunnel

Der 2.460 Meter lange Autobahntunnel wurde 1999 für den Verkehr freigegeben und ist Teil der Autobahn A9. Der deutsche Autofahrerclub ADAC bewertete den Tunnel in einem Test im Jahr 2005 mit „Gut“. Die A9 führt von der französischen Grenze am Genfer See entlang ins Rhonetal. Täglich fahren laut der Walliser Dienststelle für Straßenbau im Durchschnitt 15.000 Fahrzeuge durch den Tunnel. Er ist in beiden Richtungen mit je zwei Fahrspuren ausgestattet. In den Tunnelröhren herrscht kein Gegenverkehr.

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