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„Topfhalten“ und Co.

Man soll die Lehrer mit dem erhöhten Erziehungsbedarf an Schulen nicht alleine lassen: Denn auf sich selbst gestellt greifen sie teilweise zu Maßnahmen, die eigentlich längst als veraltet und kontraproduktiv gelten. Hierzu im Folgenden fünf Beispiele - recherchiert von ORF.at - mit Kommentaren von Schüler-, Eltern- und Lehrervertretern und von einer Schulpsychologin.

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Das klassische Nachsitzen war früher Erziehungsalltag an Schulen, verschwand aber weitgehend von der Bildfläche - allerdings nicht überall. An einer Hauptschule etwa müssen jene Schüler, die ihre Hausaufgaben nicht rechtzeitig gemacht haben, diese am Nachmittag in der Aula nachholen. Der Schuldirektor ist anwesend und bietet bei Bedarf Unterstützung an. Die Maßnahme ist also eine Mischung aus Strafe und Hilfestellung.

Geteilte Meinung beim Nachsitzen

Die Leiterin der Abteilung Schulpsychologie des Wiener Stadtschulrats, Mathilde Zeman, hält das für eine vertretbare Maßnahme – weil der Direktor dabei ist, die Schüler nicht alleine lässt und ihnen Fragen beantwortet. Wichtig sei ihr, dass so eine Maßnahme mit den Eltern besprochen wird. Das ist an der betreffenden Schule auch der Fall.

Ähnlich sieht das AHS-Elternvertreter Theodor Saverschel. Er hält die Maßnahme ebenfalls für „okay“, weil den Schülern geholfen wird und sie nicht alleine sind. Paul Kimberger, Vorsitzender der Pflichtschullehrergewerkschaft, pflichtet Saverschel bei: „Ich halte das Nachholen versäumter Pflichten für eine absolut sinnvolle Maßnahme.“

Anders bewertet Bundesschulsprecherin Conny Kolmann das Vorgehen an der Schule. Sie hält Nachsitzen generell für „keine wirklich sinnvolle Maßnahme“. Dadurch, dass man den Schülern Freiraum und Freizeit entzieht, erzeuge man bei ihnen bloß Unmut und Aggressionen. Es werde zu keiner Besserung kommen – im Gegenteil: So würden Schüler noch weniger Respekt vor Lehrpersonen haben.

Ab in die Ecke oder vor die Tür

Ein weiteres Beispiel: Knapp über 20 Kinder einer sogenannten „Problemklasse“ in einer Volksschule werden von zwei Lehrerinnen unterrichtet, die dadurch überfordert sind. Die Schüler beschimpfen einander und mitunter auch die Lehrerinnen ordinär, machen Lärm während der Unterrichtszeit und es gibt klasseninterne Grabenkämpfe. Die Lehrerinnen stellen vor allem einen Burschen und ein Mädchen immer wieder ins „Winkerl“, also in die Ecke. Andere müssen alleine vor die Türe gehen.

Auszeit für Gespräch nutzen

Schulpsychologin Zeman gibt sich skeptisch. Es solle keine Maßnahme gesetzt werden – Stichwort „Winkerlstehen“ -, die die Würde eines Kindes verletzt. Das festige die Positionierung eines Kindes außerhalb der Gruppe.

Einen Schüler aus der Klasse zu schicken, sei nur sinnvoll, wenn eine Lehrkraft mitgehe, sich mit dem Schüler zusammensetze und die Situation bespreche. Auch ein Beratungslehrer könne zu Hilfe geholt werden. Die Verweildauer auf dem Gang solle so kurz wie möglich gestaltet werden. Von einer automatischen Traumatisierung zu sprechen, hält Zeman jedoch in beiden Fällen für übertrieben.

Meinungen der Eltern gehen auseinander

Elternvertreter Saverschel sieht beim In-der-Ecke-Stehen die Gefahr einer Gewöhnung – die so weit gehen könne, dass Kinder sich einen Wettbewerb daraus machen. Die Maßnahme bringe schlicht nichts und stehe für eine Philosophie, wo Menschen sich „durch so etwas“ Respekt zu verschaffen versuchen: „Und es hat sich bis jetzt noch immer herausgestellt, dass das nicht wirklich hilft.“ Die Meinungen der Eltern gingen diesbezüglich jedoch auseinander.

Schülervertreterin Kolmann findet das „‚Winkerlstehen‘ ziemlich heftig“, vor allem, wenn man bedenke, „dass das eigentlich Maßnahmen sind, die vor fünfzig Jahren angewendet worden sind, sollte man meinen, dass unsere Pädagogik schon weiter ist und man schon in der Lehrerausbildung lernt, wie man mit einer Person klarkommt,ohne dass man sie in die Ecke oder vor die Türe stellt.“

Lehrergewerkschafter Kimberger sagt, statt Maßnahmen aus dem letzten Jahrtausend sollten lieber solche gesucht werden, die für das Kind das beste sind. Aber – kein Lehrer müsse sich beschimpfen lassen: „Die Maßnahmen, die Konsequenzen müssen auf gesetzlicher Ebene deutlich ausgeweitet werden. Das ist meine Forderung.“

Kollektivstrafe: Turnen fällt aus

In einer anderen Volksschulklasse wird der Turnunterricht für alle gestrichen, wenn der Lärmpegel in der Klasse aufgrund einiger weniger zu hoch ist. Stattdessen wird Mathematik und Deutsch gelernt. In diesem Fall sind sich alle einig: Erstens sei die Maßnahme kontraproduktiv, weil gerade das Austoben beim Turnen die Kinder beruhige. Und zweitens seien Kollektivstrafen nicht nur unfair, sondern auch gesetzlich verboten.

Bundesschulsprecherin Kolmann führt ein weiteres Argument gegen Kollektivstrafen ins Rennen: Sie würden der Person, die sie verursache, eine noch schlechtere Stellung in der Klasse verschaffen. Dadurch würden sich Probleme „noch weiter aufschaukeln“: Ein weiterer Punkt stört ebenfalls alle: Der Alternativunterricht würde dazu führen, dass Fächer wie Mathematik und Deutsch als Strafe angesehen werden. Besser sei es, sich mit den Störenfrieden pädagogisch auseinanderzusetzen.

„Schnalle halten“ sinnlos?

In einem Gymnasium opfert ein engagierter Lehrer viel seiner Freizeit für Projekte mit den Schülern - er ist beliebt. Allerdings setzt er auch eine umstrittene Maßnahme: Er lässt einen Schüler, der oft „tratscht“ und auch den Unterricht durch ständige Einwürfe und offensichtlich nicht ernst gemeinte Fragen stört, aus der Klasse vor die Tür gehen. Dort muss der Bub die Schnalle in der Hand halten, um jederzeit beweisen zu können, dass er wirklich vor dem Klassenraum steht.

Schulpsychologen-Vertreterin Zeman hält den Trick mit dem Schnallehalten für „keine gute Aufsicht“, weil Schüler sich dennoch davonstehlen könnten. Und durch die Notwendigkeit einer Wiederholung zeige sich die Wirkungslosigkeit der Maßnahme. Mit einem AHS-Schüler müsse man auch eine andere Vereinbarung treffen können, eventuell unter Miteinbeziehung der Eltern. Das Problem des Schülers müsse analysiert werden, um gemeinsam eine Lösung finden zu können.

Kein pädagogischer Mehrwert

Lehrergewerkschafter Kimberger sieht das Vorgehen des Lehrers ambivalent. Einerseits müsse ein Kind bei Fehlverhalten die Konsequenz seines Handelns zu spüren bekommen. Andererseits habe diese Strafe keinen pädagogischen Mehrwert: „Ich würde diese Maßnahme nicht setzen.“

Für Schülervertreterin Kolmann ist das Vorgehen des Lehrers falsch. Es lenke ihn vom Unterricht ab, wenn er ständig an den draußen stehenden Schüler denken müsse. Dass der Umgang mit so einem Schüler nicht einfach sei, räumte sie zwar ein, aber man solle versuchen, ihn durch Förderung zu fordern. Vor der Tür werde sein Sprechdrang bestimmt nicht kleiner werden.

Für AHS-Elternvertreter Saverschel ist die Maßnahme „völlig indiskutabel“: „Das ist wirklich 70er Jahre. Kommt nicht infrage.“ Gerade ein Lehrer, der durch sein Engagement Freiheiten signalisiere, müsse dann auch besser damit umgehen können.

Bis das Wasser kocht

In einer Berufsschule für Köche gibt es eine Maßnahme, die laut Ausbildnern weit verbreiteter Usus in der Branche ist. Regelverstöße, mangelnder Gehorsam und Ungeschicklichkeit werden folgendermaßen geahndet: Der oder die Betroffene muss so lange einen Kochtopf, der auf einem Herd steht, an den Henkeln halten, bis darin das Wasser zu kochen begonnen hat. Dabei werden die Schüler nicht verletzt, die Maßnahme ist lediglich eine „Auszeit“.

Schulpsychologin Zeman sieht diese Sanktionierung dennoch unter dem Sicherheitsaspekt problematisch. Es könne nicht sichergestellt werden, dass kochendes Wasser herausspritze oder überschwappe. Außerdem sei zu klären, ob so ein Verhalten des Ausbildners durch welches Fehlverhalten des Schülers auch immer zu rechtfertigen sei.

„Gewalt sät wieder nur Gewalt“

Auch hier gibt sich Elternvertreter Saverschel fassungslos: „Indiskutabel. Das ist ja Wahnsinn, was den Leuten einfällt.“ Gewalt säe nur wieder Gewalt. Es könne nicht sein, dass jemand sagt: „Jetzt bin ich der Ältere und jetzt zeige ich den Jüngeren, wo es lang geht. Wenn wir keine anderen Möglichkeiten finden, haben wir schon verloren.“

Ähnlich sieht das Bundesschüler-Vertreterin Kolmann, sie hält die Maßnahme für „nicht zielführend“. Die verlorene Zeit würde den Auszubildenden beim Kochen abgehen. Und ein „Problemschüler“ werde so nur zusätzlich benachteiligt, es entstünden wieder Unmut und Aggressionen gegenüber dem Lehrer. Eine Besserung des Verhaltens würde sich so sicher nicht einstellen.

Lehrergewerkschafter Kimberger sagt, dass er sich mit einer Beurteilung schwertue - weil er sich schlicht nicht vorstellen könne, dass das Beispiel der Realität entstammt. Abgesehen vom „Topfhalten“ könne es laut ihm aber sinnvoll sein, einem Jugendlichen Zeit zu geben, über sein Fehlverhalten nachzudenken. Reiche das nicht - müsse man pädagogische Spezialisten heranziehen.

Simon Hadler, ORF.at

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