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Böse Fetischobjekte

Ein besseres Thema als Autos kann man sich für eine Ausstellung kaum vorstellen, außer Sex vielleicht. Jede Menge Ambivalenz hat sich in Sachen Mobilität aufgestaut - eine Ambivalenz, die sich dankbar in Kunst umwandeln lässt: Unser liebstes Fetischobjekt gilt heute als böse, weil es die Umwelt verschmutzt.

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Großartige Beispiele dafür liefert der Vorarlberger Künstler Gottfried Bechtold. Er zählt zu den Pionieren der automobilen Kunst und zeigt zwei Werke in der Ausstellung „Car Culture“, die von Peter Weibel für das ZKM Karlsruhe zusammengestellt wurde und nun in einer von Direktorin und Kuratorin Stella Rollig abgespeckten Version im Linzer Lentos zu sehen ist.

Gleich im Eingangsbereich ist ein nagelneuer Porsche platziert. Über 200.000 Euro kostet dieser in jener Ausstattung, in der Bechtold ihn übernommen hat. Nein, Porsche-Fan sei er keiner, sagte er gegenüber ORF.at, aber er würde auch niemanden verteufeln, der sich mit ehrlich verdientem Geld so ein Modell kauft.

Porsche-Fahren ohne Blick nach außen

Seine Augen leuchten, wenn er die Spezialfeatures aufzählt. Hört man ihm zu, könnte man fast meinen, der Wagen fahre ganz von selbst. Aber das eigentlich Spannende sind natürlich die Änderungen, die Bechtold vorgenommen hat. Denn sämtliche Scheiben wurden durch Bronzeplatten ersetzt - in einer mühevollen Arbeit, die mehr als 2.000 Stunden in Anspruch nahm.

Kunstwerk der Car Culture Ausstellung in Linz

ORF.at/Peter Prantner

Bronze statt Scheiben: Gottfried Bechtold, „Panamera“ (2012)

Man sieht also nicht hinaus, es ist dunkel in dem Auto. Deshalb sind außen - sowohl vorne, als auch hinten - Kameras angebracht, die ihre Bilder auf vier verschiedene Screens im Inneren übertragen. Eine Stunde Übung braucht man, dann kann man auf diese Weise ganz gut fahren - Bechtold hat schon weitere Strecken damit zurückgelegt.

Spielzeugauto im Wert eines Hauses

Man kann sich das so vorstellen, als ob man ein Computerspiel spielt. Nur, sagt Bechtholt, Computerspiele seien kindisch. Der Künstler lächelt zufrieden - das hier sei viel besser, das hier sei echt. Er stellt die Frage nach der Zukunft der Mobilität: Wie sehr werden wir uns selbst noch einbringen können? Was wird vernetzt, was von Maschinen übernommen?

Und mit den goldglänzenden Bronzefenstern treibt er den Fetischaspekt auf die Spitze. Als ob ein Kind sein Spielzeugauto mit dem goldenen Nagellack der Großmutter bearbeitet hätte. Auch im großen Ausstellungsraum ist ein Porsche von ihm ausgestellt, aber der sieht anders aus - ganz anders. Wer im Eingangsbereich Bechtold der Bubenschwärmerei bezichtigt, überdenkt das einen Stock weiter oben schlagartig.

Beton für einen Porsche

Vor einiger Zeit hatte er sich von Porsche einen Neuwagen ausgeborgt, gute 100.000 Euro wert. Alleine die innenbelüfteten Scheibenbremsen kosten 10.000 Euro, das Soundsystem noch einmal soviel. Er wollte einen Abdruck machen und das Auto dann in Beton gießen - eine künstlerische Technik, der sich Bechtold seit den frühen 70er Jahren bedient. Aus Mobilität wird Immobilität, die an die teuren Statussymbole nur noch erinnert - was bleibt ist Form, ohne jegliche Funktion.

Bei Porsche wusste man nicht so recht, was man danach mit dem unbeschädigten Auto noch anfangen sollte. Ihn zu verkaufen, nachdem ein Künstler Weiß-Gott-was damit gemacht hatte, schien zu riskant. Bechtold schlug vor, den Wagen ihm zu überlassen, er wolle ein Kunstwerk daraus machen. Porsche willigte ein.

Böse Überraschung für Porsche-Manager

Auf mehrmalige Anfragen per E-Mail nach der konkreten Art des Kunstwerks kündigte Bechtold stets eine Überraschung an - solange, bis nicht mehr nachgefragt wurde. Bei der Ausstellungseröffnung in Bregenz vor einigen Jahren erlebten die beiden angereisten Porsche-Männer dann tatsächlich eine Überraschung.

Bechtold hatte das Auto ausgetestet, war damit auf der Autobahn gerast. Dann hatte er es liebevoll geputzt. Der ganze Prozess ist auf Video festgehalten. Und dann ließ er den edlen Sportwagen mit einem Tachostand von 80 Kilometern in einer Schrottpresse auf Kleinformat zusammenfalten. Bechtold sagte, der heutige Individualverkehr führe in die Sackgasse. So, als Metallpäckchen, sieht man den Porsche jetzt im Lentos stehen - daneben in einer Flasche der „Lebenssaft“, der zuvor abgelassene Treibstoff samt Öl.

Car Culture Ausstellung in Linz

ORF.at/Peter Prantner

Gottfried Bechtold mit seinem Kunstwerk „Verdichtung, 997“ (2006)

Von Autonarren mit dem Tod bedroht

Das Kunstwerk ist ein Schlag in das Gesicht des Kapitalismus. Viele Menschen würden alles tun, um so ein Auto zu besitzen. Wer wenig verdient, arbeitet an die zehn Jahre, bis er auf die nötige Summe kommt - wenn er für nichts anderes Geld ausgibt. Bechtold nennt das Projekt Verdichtung. Denn früher oder später wäre der Porsche wohl ohnehin in der Presse gelandet, in 20 Jahren oder mehr. Er habe nichts anderes getan, als die Zeit zu komprimieren.

Die Porsche-Manager schienen wenig begeistert von dieser Theorie und wohnten der Ausstellungseröffnung damals mit steinernen Mienen bei. Immerhin beweist der Autobauer genügend Kunstsinnigkeit und Humor, Bechtold weiter mit Autos zu versorgen - wie man im Eingangsbereich des Lentos sehen kann.

Weniger humorvoll sind eingefleischte Porsche-Fans. Von ihnen hat Bechtold bitterböse E-Mails erhalten. Einer habe sogar gedroht, ihn in einer Schrottpresse zu entsorgen, sollte er ihm jemals begegnen. Severin Hofmann erzählt, dass manche Besucher auch im ZKM fassungslos und voll Trauer vor dem Modell gestanden seien.

Im VW-Käfer-Karussell an Gummischnüren

Von Hofmann und seinen Kollegen David Moises und Leo Schatzl ist ebenfalls ein Kunstwerk ausgestellt: Sie haben einen weißen VW-Käfer auf Gummibändern an einem Gestell aufgehängt. Besucher dürfen sich im Rahmen von Führungen hineinsetzen. Dann wird der Käfer eingedreht und losgelassen - er dreht sich in schwindelerregender Geschwindigkeit aus, wieder ein und aus, ein und aus, bis die Bewegung zum Stillstand gebracht wird.

An Gummiseilen befestigtes Auto

ORF.at/Peter Prantner

Severin Hofmann, David Moises, Leo Schatzl: „Gimme Gummi (Autorotation)“ (2003)

Das Gefühl, wenn man in dem Auto sitzt, erinnert an wackelnde Ein-Euro-Auto-Maschinen, in die man Kinder vor Einkaufshäusern setzen kann. Und es evoziert Erinnerungen an alte Filme, wo Schauspieler das Lenkrad nach rechts und links bewegen, das aber nichts an der Landschaftsprojektion ändert, die an der Windschutzscheibe vorüberzieht.

Wie in einem alten Film

Hofmann sagt, dass es einerseits um die ästhetische Form ging. Sie hätten damals mit rotierenden Formen experimentiert - etwa, wie durch Bewegung aus einem Dreieck optisch ein Kegel wird. Aus einem sich schnell um die eigene Achse drehenden VW-Käfer wird von der Seite betrachtet ein UFO.

Andererseits führe man das Prinzip der Mobilität ad absurdum. Man fühle die rasche Bewegung in dem Auto körperlich, könne das Lenkrad bewegen und aus der Windschutzscheibe schauen. Und trotzdem bewege man sich nicht vom Fleck. Ganz abgesehen von jeder Theorie macht das Kunstwerk einfach Spaß - man sollte eine Mitmachvorführung nicht versäumen.

Radfahrer-Porsche aus Pappe

Überhaupt spielt Humor in der Ausstellung eine große Rolle. Folke Köbberling und Martin Kaltwasser haben zwei lebensgroße Autos aus Holz gebaut und spektakulär ineinander krachen lassen. Hanges Langeder bastelt Porsches aus Pappe, die mit Pedalen wie ein Fahrrad gefahren werden können. Yin Xiuzhen hat einen Kleinbus zur enorm langen, begehbaren Raupen-Stretchlimousine umgebaut, deren Seitenwände aus Unterwäsche zusammengestückelt sind.

Ausstellungshinweis

Lentos: „Car Culture: Das Auto als Skulptur“. Linz, Ernst-Koref-Promenade 1. Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags von 10.00 bis 18.00 Uhr, donnerstags von 10.00 bis 21.00 Uhr, montags geschlossen.

Axel Philipp wütete ähnlich wie Bechtold. Er füllte den Innenraum eines Mercedes-Cabriolets bis an den Rand mit Altöl an. Franz Ackermann baute einen alten VW zum RAF-Hubschrauberfluchtauto zusammen. Von Erwin Wurm ist einmal mehr sein schräg gekipptes Auto ausgestellt, samt Video vom Zusammenbau. Ein phänomenales, auf den Boden projiziertes Autocomputerspiel, bei dem man mit realen Gegenständen (oder Körperteilen) Hindernisse bauen kann, hat Lieven van Velthoven programmiert.

Valentin Ruhry präsentiert einen aus einem einzigen Kabel stilisierten Kleinbus, der nichts tut außer Energie zu fressen - am Ende des Kabels hängt eine Glühbirne. Fritz Panzer formt einen Golf aus Draht - er sieht aus, als ob er verschwinden würde. Die Klammer um die Kunstwerke ist: Sie zeigen, dass man Automobile zwischendurch auch einmal anders betrachten und nicht als selbstverständlich hinnehmen sollte.

Genervt, geliebt und schädlich

Mit Mobilität ist immer auch Ideologie verbunden. Kuratorin Rollig sieht von vielen Künstlern das Auto als ausgelagerten Teil der Persönlichkeit thematisiert: als Status- und Identifikationsobjekt. Und dennoch nerve es im Alltag - Stichworte Stau, Parkplatzsuche, Reparaturen.

Dazu kommt die Angst vor Unfällen und das schlechte Gewissen wegen der Schädlichkeit für den Planeten. Andere Künstler würden aber auch durchaus freundlich die Stellung des Autos als liebgewonnenen Lebensraum anerkennen.

Bald nur noch im Museum?

Insgesamt würde sich momentan ein Imagewandel abzeichnen, ähnlich wie zuvor etwa bei Zigaretten. Rollig gibt sinngemäß ein Zitat aus einem Interview wieder, das sie treffend findet: „Die führenden Manager sitzen mittlerweile Erste Klasse im Hochgeschwindigkeitszug, während der gemeine Proll auf der Autobahn im Stau steht.“

Vielleicht sollte man die Preise für die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln senken. Dann könnte sich auch der „gemeine Proll“ das tägliche Pendeln mit dem Zug leisten - und schmunzelnd durch eine Ausstellung wie jene im Lentos gehen, ein wenig nostalgisch und ein wenig verwundert auf die Vergangenheit zurückblickend. Bechtold sagte, wenn auch leicht wehmütig, mit Blick auf den 200.000-Euro-Porsche: „Es wird die Zeit kommen, wenn man Autos nur noch im Museum sieht.“ Und das sei auch gut so.

Simon Hadler, ORF.at

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