Kritiker sehen Manöver der Kommission
Das umstrittene Anti-Piraterie-Abkommen ACTA bleibt erst einmal in der Schublade. Nach heftiger Kritik legt die Brüsseler Kommission das unter anderem mit den USA und Japan vereinbarte Vertragswerk zunächst dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor.
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Dieser soll klären, ob ACTA mit den europäischen Grundrechten vereinbar ist. Das kündigte EU-Handelskommissar Karel De Gucht am Mittwoch in Brüssel an. Während mehrere nationale Regierungen von einer klugen Entscheidung sprachen, sehen Kritiker darin ein durchsichtiges Manöver: Brüssel spekuliere darauf, dass ein langes EuGH-Verfahren den aktuell europaweit großen Widerstand im Sand verlaufen lässt und später, wenn die Entscheidung ansteht, kaum noch wer auf die Straße gehen werde, so etwa der deutsche Verein Digitale Gesellschaft.
Umstrittenes Abkommen
Ziel des Anti-Counterfeiting Trade Agreements (ACTA) ist es, Urheberrechte weltweit durchzusetzen. Kritiker sehen in dem Vertrag aber eine Einschränkung von Freiheitsrechten im Internet.
„Fakten, nicht Gerüchte“
Die Richter sollten klären, ob das Abkommen dem EU-Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit, dem Datenschutz sowie dem Schutz des geistigen Eigentums entspreche. Damit wolle die EU-Kommission der internationalen Kritik entgegentreten: „Die Debatte muss sich auf Fakten und nicht auf falsche Informationen oder Gerüchte gründen“, sagte der Kommissar. Spätestens seitdem Polen zuletzt klargemacht hatte, dass es ACTA nicht ratifizieren werde, war klar, dass das Abkommen vorerst gestorben ist.
Auch Tschechien hatte die ACTA-Ratifizierung ausgesetzt, Deutschland hatte die Ratifizierung ebenfalls verschoben. Auch Österreich kündigte an, die Ratifizierung auszusetzen - allerdings erst am Mittwoch, nachdem die EU-Entscheidung, ACTA dem EuGH vorzulegen, bekanntgeworden war.
Bis zu zwei Jahre Verzögerung
Der EU-Ministerrat hatte den Text im Dezember einstimmig angenommen und die Staaten autorisiert, den Vertrag zu unterzeichnen. Auch das Europaparlament werde noch darüber abstimmen, sagte De Gucht. Nun könne sich dieser Prozess verzögern: „Ich gehe davon aus, dass der Ratifizierungsprozess solange ausgesetzt wird, bis das Urteil vom Europäischen Gerichtshof vorliegt.“ Nach Einschätzung von Experten wird sich der Prozess dadurch um ein bis zwei Jahre verzögern.
Neue Proteste
Am Samstag finden erneut Demos in Österreich statt. Geplant sind Kundgebungen in Wien, Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck, Klagenfurt und Bregenz. Das letzte Mal gingen trotz eisiger Kälte allein in Wien über 4.000 Menschen auf die Straße.
Der Verein Digitale Gesellschaft warf der Kommission vor, auf Zeit zu spielen. „Sie hofft, dass die Proteste gegen das Abkommen nach einem langen EuGH-Verfahren vergessen sind und die Nutzer nicht mehr auf die Straße gehen“, schrieb der Vorsitzende der Organisation, Markus Beckedahl, in einer Mitteilung. Bereits im Laufe dieses Jahres komme „ACTAs kleiner Bruder“ auf den Tisch. Die Überarbeitung der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum (IPRED) werde weitere Verschärfungen bei der Rechtsverfolgung von Urheberrechtsverstößen mit sich bringen.
De Gucht verteidigte erneut das Abkommen. ACTA werde helfen, Arbeitsplätze zu schützen. „ACTA wird keine Webseiten schließen und auch nicht die Rede- oder Internetfreiheit einschränken“, sagte der Kommissar. EU-Justizkommissarin Viviane Reding, die für Grundrechte zuständig ist, betonte hingegen die Bedeutung der Freiheitsrechte im Internet: „Copyrightschutz kann niemals eine Aufhebung der Meinungs- oder Informationsfreiheit rechtfertigen.“
Schwierige Vermittlung
Seit Jahren war das ACTA-Abkommen, für das vor allem die Industrie weltweit heftig lobbyiert, verhandelt worden. Doch erst seitdem die EU-Staaten im Jänner den Vertrag unterzeichneten, hat der weltweite Widerstand gegen die mit dem Produkt- und Piraterieschutz befürchteten Einschränkungen der Freiheit im Internet an Fahrt gewonnen.
Das späte Aufkommen eines breiten Protests liegt einerseits daran, dass die Verhandlungen jahrelang streng geheim gehalten wurden. Andererseits an der schwammigen Formulierung des ACTA-Textes, wie der grüne Bundesrat Marco Schreuder und der unabhängige EU-Parlamentarier Martin Ehrenhauser sagten. Es sei schwer zu vermitteln, worum es bei ACTA wirklich gehe, denn der Text lasse viel Interpretationsspielraum zu, so Schreuder: „Wir kennen die echten Auswirkungen derzeit nicht.“
Das Abkommen wurde im Vergleich zu den Erstversionen in vielen kritischen Punkten entschärft. Zu Beginn war die verpflichtende Einführung von Netzsperren vorgesehen, geblieben ist eine verpflichtende Einführung von Schadenersatzzahlungen, die dazu führen könnte, dass sich Unternehmen etwa an Onlinespeicheranbietern und Internet Service Providern schadlos halten wollen. Diese könnten dann ihrerseits versuchen, mit Hilfe von Filtern mögliche Urheberrechtsdelikte im Vorfeld abzufangen - und damit tief in die Privatsphäre der Nutzer eingreifen.
„Undemokratisches Vorgehen“
Das Problem sei, dass ACTA in der jetzigen Form erst über Gerichtsurteile und die vorgesehene ACTA-Kommission ausjudiziert werden müsse, so Stoff. Bisher sei aber nicht klar, wer die wichtige ACTA-Kommission beschicke, ob etwa Konsumentenschützer vertreten sein werden. Die für die Interpretation des ACTA-Abkommens ebenfalls notwendigen Verhandlungsunterlagen seien zudem bisher nicht veröffentlicht worden. Das sei ein nicht hinnehmbares „undemokratisches Vorgehen“, so Schreuder.
Man könne derartige Handelsabkommen schon verhandeln, sagt Netzaktivist Thomas Lohninger, es müssten nur alle mitreden können und gehört werden. Denn auch Interessenverbände wie die Musikindustrie, die ACTA vorangetrieben haben, hätten mitunter andere Ziele als ihre Künstler. Dass sich niemand für das Abkommen öffentlich einsetze, zeige zudem, wie problematisch es in Wirklichkeit sei.
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