„Niemand ist sakrosankt“
Man dürfe als Politiker doch auch prominente Freunde haben: So lautete einer der Verteidigungssätze des nun zurückgetretenen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff Anfang des Jahres im bisher einzigen Interview zu seiner Kredit- und Mailbox-Affäre. Doch Wulff hatte nicht nur Freunde. Ein Blick zurück zeigt, wie er sich gerade im Zusammenspiel mit Medien einige Feinde geschaffen hat.
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„Wenn man als Ministerpräsident keine Freunde mehr haben darf und wenn alle Politikerinnen und Politiker in Deutschland ab sofort nicht mehr bei Freunden übernachten dürfen, sondern, wenn sie bei den Freunden im Gästezimmer übernachten, nach einer Rechnung verlangen müssen, dann verändert sich die Republik zum Negativen.“ So drückte sich Wulff in einem Interview mit ARD und ZDF rund um die Affäre seines Privatkredits und der umstrittenen Mailbox-Nachricht bei „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann aus. Zu Wulffs Freunden zählen etwa die Schauspielerin Veronika Ferres und ihr Lebensgefährte, AWD-Gründer Carsten Maschmeyer.
In seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident wurde Wulff als Kanzlerhoffnung in der CDU gehandelt. Diese Ambitionen, die Wulff selbst immer bestritt, haben sich durch die Wahl zum deutschen Bundespräsidenten vorerst erledigt. Jetzt hängt seine gesamte politische Laufbahn an einem seidenen Faden.
Ein Mann und das Modell VW
Wulff positionierte sich in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident als prominenter Gegenspieler der von SPD-Kanzler Gerhard Schröder in Gang gebrachten Hartz-IV-Reform. Peter Hartz, VW-Personalchef, SPD-Mitglied und enger Berater des Kanzlers, war Vordenker dieser Reform, die allerdings nie nach seinem Plan eins zu eins umgesetzt wurde, aber bis zum heutigen Tag seinen Namen trägt. Hartz war als Personalchef von Volkswagen auch auf anderer Ebene ein Gegenüber von Wulff, der das Land Niedersachsen, das mit über 20 Prozent an VW beteiligt ist, im VW-Aufsichtsrat vertrat.
Wulff, der 2003, im Jahr des Inkrafttretens der Hartz-IV-Reformen, niedersächsischer Ministerpräsident wird, ist ein Gegner der engen Verbindung von IG Metall, SPD und Ferdinand Piech bei VW. Seinen idealen Partner im Aufräumen bei VW will Wulff im damaligen Volkswagen-Chef Bernhard Pischetsrieder, der von BMW gekommen ist, gefunden haben. Doch Pischetsrieder wird sich mit seiner Kritik an der Modellpolitik bei VW den Ärger des mächtigen VW-Aufsichtsratsvorsitzenden Piech zuziehen.

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Wulff fordert seit 2003 indirekt auch Ferdinand Piech bei VW heraus
Wulff will sich ab 2003 als Hartz-IV-Kritiker profilieren - angetrieben und beraten von seinem Pressesprecher Olaf Glaeseker. Glaeseker, in Medienkreisen gerne als „der Wulff-Macher“ apostrophiert, der seine Karriere als Sprecher der CDU in Niedersachen begonnen hat, unterhält vor allem gute Kontakte zum Nachrichtenmagazin „Focus“.

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„Wulff-Macher“ Olaf Glaeseker (links)
Im „Focus“ erscheint im Juni 2005 ein Artikel, in dem Untreuvorwürfe gegen hochrangige VW-Manager, darunter gegen den damaligen Skoda-Personalvorstand Helmuth Schuster, den Ex-Betriebsratschef Klaus Volkert und den früheren VW-Personalmanager Klaus-Joachim Gebauer thematisiert werden. Gebauer lässt zu seiner Entlastung, wie eine ARD-Dokumentation zum 70. Geburtstag von Hartz jüngst erinnerte, tief in das „Innenleben“ bei VW blicken. Thema werden Lustreisen der VW-Betriebsräte auf Firmenkosten, in denen auch bezahlter Sex eine Rolle spielt.

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Allianz ohne Erfolg: System Piech bleibt, dafür muss Pischetsrieder gehen
„Persönlichkeiten kaltstellen“
Der FDP-Politiker und Gebauer-Anwalt Wolfgang Kubicki äußert gegenüber der ARD die Vermutung, dass es damals galt, „einige hochrangige Persönlichkeiten“ innerhalb des Volkswagen-Konzerns „kaltzustellen“. Piech, so Kubicki retrospektiv, habe auch mit Hilfe dieser Affäre alle eigenen Interessen im Konzern durchgesetzt.
Hartz soll im Juli 2005 einen Anruf bekommen haben, dass die „Bild“-Zeitung einen Artikel über eine Verbindung zwischen ihm und einer brasilianischen Prostituierten zum Thema machen würde. Zur gleichen Zeit steht der niedersächsische Ministerpräsident Wulff in den Medien, der davon spricht, dass es auch für den Personalchef von VW, so er von allen Vorgängen in dem von ihm verantworteten Bereich gewusst habe, „keinen Persilschein“ gebe.
Hartz bekennt sich schuldig
Hartz bietet, nachdem seine Verwicklung in die Affäre evident wird, seinen Rücktritt an. VW stellt daraufhin einen Strafantrag wegen des Verdachts der Begünstigung von Betriebsräten.
Hartz räumt bei einer Vernehmung eine „strafrechtliche Verantwortlichkeit für Begünstigungen des ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden“ ein. Im Jänner 2007 bestätigt Hartz vor Gericht, den früheren Betriebsratschef Volkert „gekauft“ zu haben. Er wird zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen verurteilt - gemessen an den Einkünften von Hartz umgerechnet 576.000 Euro.
System Piech war nicht zu stürzen
„Niemand ist sakrosankt“, hatte Wulff im Juli 2005 medial wirksam verlauten lassen. Gegen das System Piech unterlag er ebenso wie sein einstiger Verbündeter Pischetsrieder, der 2006 von Martin Winterkorn an der VW-Spitze abgelöst wurde. Der einst mächtige IG-Metall-Chef Jürgen Peters erinnerte sich gegenüber der ARD an die Stimmung in der Zeit zwischen 2003 und 2005: „Der Sumpf sollte trockengelegt werden, wie da einige sagten.“
Wulff war die Rolle der Medien und die Nähe zu Medien bei der Durchsetzung politischer Interessen bewusst. Erst vor wenigen Wochen trennten sich Wulff und Glaeseker. Die Kritik an Wulff hatte damals, wenige Tage vor Weihnachten, einen ersten Höhepunkt erreicht.
Springer-Presse auf Distanz
Dass mittlerweile sogar die Springer-Presse, die nicht zuletzt die junge Ehe von Christian und Bettina Wulff so gerne thematisierte, auf Distanz ging, erstaunte politische Beobachter, etwa den Journalisten Jakob Augstein. Der Moderator Günther Jauch thematisierte in seiner ARD-Talksendung zu Jahresbeginn Gerüchte, die in Berlin über das Vorleben der Präsidentengattin zirkulierten und die angeblich unter Verschluss gehalten würden, kam aber gegenüber dem Leiter des Berlin-Büros der „Bild“-Zeitung, Nikolaus Blome, nicht über eine Frage hinaus. Menschen, die Christian Wulff nicht nur Gutes wollten, versorgten die Medien weiter mit Material - analog dem Modell Wulff.
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