Themenüberblick

ÖVP tritt auf die Bremse

Das ACTA-Abkommen, mit dem unter anderem schärfere Maßnahmen gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet durchgesetzt werden sollen, gerät auch seitens der Politik zunehmend unter Kritik. Gegenüber ORF.at sprachen sich nun auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz für Zurückhaltung im Umgang mit dem Abkommen aus.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

In einer Stellungnahme, die ORF.at vorliegt, haben sich Mikl-Leitner und Kurz auch in ihren Eigenschaften als ÖAAB-Obfrau und JVP-Chef von ACTA distanziert. „Die Freiheit im Internet soll unangetastet bleiben“, heißt es. Solange es ernsthafte Bedenken in der Bevölkerung gebe, dass diese Freiheit eingeschränkt werden könne, werde es im heimischen Ministerrat keine Zustimmung zu ACTA geben.

Österreich hat ACTA zwar schon Ende Jänner in Tokio durch seinen dortigen Botschafter unterschreiben lassen und sich damit den meisten EU-Mitgliedsstaaten sowie den Hauptantriebskräften hinter dem Abkommen, den USA und Japan, angeschlossen. Damit ACTA aber in Kraft treten kann, muss es noch vom EU-Parlament und von den Volksvertretungen der Mitgliedsstaaten bestätigt, also ratifiziert werden.

„Stopp ACTA“

Mikl-Leitner und Kurz sprechen sich dafür aus, die Ratifizierung des Abkommens in Österreich einzufrieren, bis die Entscheidung des EU-Parlaments vorliege, diese werde voraussichtlich am 12. Juni 2012 fallen. Vorher müsse die EU-Kommission die Verhandlungen voll transparent machen und alle Dokumente auf den Tisch legen. Bis dahin heiße es seitens ÖAAB und JVP „Stopp ACTA“.

„Die Menschen sind von diesen Plänen verunsichert“, so Mikl-Leitner, „das müssen wir ernst nehmen.“ Kurz bezeichnet in der Mitteilung die Freiheit des Internets als „sehr hohes Gut, das es zu schützen gilt“. Wenn die ernsthaften Bedenken der Bevölkerung gegenüber ACTA nicht ausgeräumt werden könnten, dürfe man eine Nachverhandlung des Abkommens nicht ausschließen, teilen die ÖVP-Politiker mit.

Abwarten nach Protesten

Auf EU-Ebene hat sich ÖVP-Mandatarin Elisabeth Köstinger dafür ausgesprochen, das Abkommen zu prüfen, auf eine Ablehnung festlegen wollte sie sich noch nicht. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP), dessen Ressort für ACTA federführend zuständig ist, hat sich - ebenso wie ÖVP-Chef und Außenminister Michael Spindelegger - nicht grundsätzlich gegen das Abkommen ausgesprochen, man werde nun die Entwicklung im EU-Parlament abwarten.

Am Samstag, den 11. Februar, fanden sich in zahlreichen europäischen Städten Zehntausende Bürger zu durchwegs friedlichen Protesten gegen ACTA zusammen. Zur Demonstration in Berlin hatten die Veranstalter aus der netzpolitischen Gemeinde bei der Polizei 600 Personen angemeldet, gekommen waren aber rund 10.000. In Wien gingen nach Angaben der Polizei bzw. der Veranstalter zwischen 3.000 und 4.500 Bürger bei klirrender Kälte gegen ACTA auf die Straße, in Graz, Salzburg, Innsbruck und Bregenz jeweils um die 1.000, in Linz um die 600.

Ablehnung wächst

Begonnen hatten die Massenproteste in Polen, wo anlässlich der Unterzeichnung des Vertrags am 27. Jänner rund 60.000 Personen gegen das Vorhaben demonstriert hatten. Die polnische Regierung war auch die erste, die die Ratifizierung auf Eis legte, Tschechien, die Slowakei, Lettland und Estland folgten, auch Deutschland und Bulgarien wollen die weitere Entwicklung auf EU-Ebene abwarten.

Schon vor den Protesten hatten sich Politiker der Sozialdemokraten - wie Jörg Leichtfried, Leiter der SPÖ-Delegation im Europaparlament, Kultursprecherin Sonja Ablinger und Datenschutzexperte Johann Maier gegen ACTA ausgesprochen. Hannes Swoboda, Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, kündigte an, die Vereinbarkeit des Abkommens mit dem EU-Recht in den kommenden Wochen genau prüfen zu wollen. Man habe nicht die Option, ACTA zu verändern, man könne nur ablehnen oder zusagen, also sei eine Ablehnung im Bereich des Möglichen, so Swoboda.

Opposition gegen ACTA

Die Grünen bekämpfen ACTA sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene schon seit Veröffentlichung der ersten offiziellen Dokumente im Jahr 2010, da es in die Grundrechte der Nutzer eingreife und den Datenaustausch von Privatnutzern kriminalisiere. Der freiheitliche EU-Abgeordnete Andreas Mölzer lehnt ACTA in der derzeitigen Form ebenso ab, es führe zu überschießender Kontrolle und Überwachung der Internetnutzer. Auch das BZÖ und der unabhängige EU-Abgeordnete Martin Ehrenhauser wollen gegen die Ratifizierung von ACTA stimmen.

Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement wird seit 2007 zwischen den USA, Japan, den EU-Mitgliedsstaaten und weiteren Industrienationen wie der Schweiz und Kanada ausgehandelt. Es soll eine Übereinkunft darüber schaffen, wie die Unterzeichnerstaaten mit Produktfälschungen und unlizenzierter Übertragung von Medienprodukten im Internet umgehen.

Verdeckte Verhandlungen

Das Abkommen wurde lange unter der Wahrnehmungsschwelle der Öffentlichkeit und vorbei an den zuständigen Institutionen der UNO ausgehandelt. Erst Mitte 2008 kamen erste Dokumente aus den geschlossenen Verhandlungen ans Tageslicht, aus denen hervorging, dass auch Kontrollen privater Datenträger an der Grenze und Internetsperren für Urheberrechtsverletzer nach französischem Vorbild diskutiert wurden.

Die deutsche Organisation LobbyControl wies darauf hin, dass die ACTA-Verhandler seitens der USA aus Kreisen der US-Unterhaltungs- und Pharmaindustrie stammten. Vertreter von Konsumenten- und Datenschutzorganisationen waren dagegen nicht an den Verhandlungen beteiligt. Dementsprechend sind in ACTA vornehmlich die Interessen der Rechteverwerter berücksichtigt. Die EU-Kommission sieht ACTA als voll vereinbar mit dem Unionsrecht, auch wenn sich die für Grundrechtsschutz zuständige Kommissarin Viviane Reding dafür ausgesprochen hat, das Abkommen durch den EU-Gerichtshof prüfen zu lassen.

Problematische Passagen

Erst 2010 zwang das EU-Parlament mit überwältigender Mehrheit die Kommission dazu, den Verhandlungstext offenzulegen. Die Passagen über Netzsperren und iPod-Kontrollen am Zoll waren zu diesem Zeitpunkt bereits auf Druck der Öffentlichkeit entfernt worden, es bleiben aber zahlreiche problematische Passagen.

So ist im Text nicht definiert, wie hoch das „gewerbliche Ausmaß“ von Urheberrechtsverletzungen sein soll, gegen das die Unterzeichnerstaaten mit strafrechtlichen Mitteln vorgehen sollen. In Deutschland gilt das schon für den unlizenzierten Tausch einer einzigen Datei.

Empfehlungen vom ACTA-Ausschuss

Auch wenn die Haftung der Provider für die Inhalte in ihren Netzen und damit eine Kontrolle des Datenverkehrs nur indirekt aus den Haftungsansprüchen in ACTA abgeleitet werden kann, so ist in der Präambel doch eine „Kooperation“ zwischen Rechteinhabern und Infrastrukturanbietern verankert, die eine Überwachung des Datenverkehrs voraussetzen würde. Auch in Vorschlägen zur Neufassung der EU-Richtlinie zum Schutz des geistigen Eigentums (IPRED) gibt es Überlegungen in diese Richtung.

Zudem würde mit ACTA auch der ACTA-Ausschuss eingesetzt, der das Abkommen nachträglich verändern und weitere Verschärfungen und Anpassungen nach Zuziehung von Lobbyisten aus der Industrie empfehlen kann. Damit wäre in den Unterzeichnerstaaten der wichtige Politikbereich des Urheberrechts von einem demokratisch nur äußerst schwach legitimierten Gremium quasi vordefiniert. Zur Transparenz ist der ACTA-Ausschuss nicht verpflichtet.

Günter Hack, ORF.at

Links: