Themenüberblick

Mut zur bunten Lücke

Angewandte Kunst - alleine der Begriff ist sperrig. Wer nichts damit zu tun hat, kann ihn schwer einordnen. Christoph Thun-Hohenstein, der neue Direktor des Museums für Angewandte Kunst, will das ändern. Er möchte das Profil seines Hauses schärfen und einem breiteren Publikum Lust machen auf Angewandtes. In einer Überblicksschau zeigen Kuratoren des MAK, in welche Richtung die Reise gehen könnte.

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Die Schau „Magie der Vielfalt“, eine Zusammenstellung von Objekten aus den verschiedenen Sammlungen des Hauses, nennt Thun-Hohenstein eine „Arbeitsausstellung“. Der neue Direktor konnte sich im Zuge der Vorbereitungen einen Überblick über das Archiv verschaffen und die neun für die einzelnen Bereiche zuständigen Kustoden kennenlernen. Jeder von ihnen stellte einige Gegenstände oder Kunstwerke zur Verfügung.

Ein „Best of Themen“ des MAK

Bei der Auswahl galt es nicht so sehr, ein Best-of zusammenzustellen. Vielmehr wurden einzelne Themenkomplexe herausgegriffen, zu denen bereits künftige Ausstellungen geplant oder angedacht sind. Damit haben die Kustoden hausintern Vorarbeiten und „Machbarkeitsstudien“ abgeliefert. Aber auch für das „breite Publikum“, das Thun-Hoheinstein sucht, ist dieses Vorgehen nicht ohne Reiz.

Denn in der Vergangenheit war der Blick einzelner Ausstellungen des MAK oft recht speziell, die Auseinandersetzung mit theorielastig aufgearbeiteten Gesichtspunkten der Design- und Modegeschichte ging in die Tiefe - für Laien mitunter allzu weit. Bei „Magie der Vielfalt“ jedoch sind ein Großteil der Ausstellungsstücke Punktlandungen, anhand derer sich nachvollziehbare Aussagen zu den Grundfragen der Angewandten Kunst stellen lassen. Was ist Kunsthandwerk, was Design, was Mode, was Kommerz - und was ist Kunst? Und wie korrespondieren diese Bereiche mit der Gesellschaft?

Vitrine mit Ausstellungsstücken

MAK

Ausstellungsstücke - nach Farbe und Größe geordnet

Rätselrallye in grellen Farben

Ein Beispiel dafür ist der Regenbogenkasten im Eingangsbereich. Alle Kustoden durften eine Handvoll Objekte abgeben, die dann streng nach Farbe und Größe angeordnet wurden. Ein Teil davon gehört zur Sammlung, ein Teil sind banale Alltagsgegenstände - und das Ganze wird durch die ästhetische Anordnung aus jedem kuratorischen Kontext gerissen. Der Besucher kann selbst entscheiden, was er für herausragendes, museumswürdiges Design hält und was nicht.

Wie verhält es sich etwa mit dem autodromvioletten Dyson-Staubsauger? Kustodin Heidemarie Caltik merkt man ihre Begeisterung an, wenn sie gegenüber ORF.at erzählt, ihn selbst für die Sammlung angekauft zu haben. Ein weißes Feuerzeug, wie man es billig in jeder Trafik bekommt, dürfte hingegen als Alltagsgegenstand eingeflossen sein - aber ganz sicher sein kann man sich dabei nicht, ein Dialog zwischen Betrachter und Objekt entsteht.

Das MAK und „die Welt da draußen“

Thun-Hohenstein sagte bei der Präsentation, dass ihm gerade der Dialog zwischen dem MAK und der „Welt da draußen“ wichtig ist. Kunst funktioniert als Kommentar auf die Welt, Design macht seinen Einfluss hingegen oft über die Masse der Produkte geltend. Dabei kann es zu Grenzüberschreitungen kommen, wie die für Gegenwartskunst zuständige Kustodin Bärbel Vischer sagt. Das berühmte orangefarbene Sitzei von Peter Ghyczy wurde etwa vor allem in der DDR produziert und gilt als Ikone des Ostblock-Designs - fälschlicherweise.

Denn Ghyczy war bereits in jungen Jahren aus Ungarn in die BRD ausgewandert und entwarf das Ei 1969 für die dortige Kunststoffindustrie, was auch die für kommunistische Länder untypische Material- und Farbenauswahl erklärt. Georg Herold übersiedelte 1973 seinerseits von der DDR in die BRD. Dessen Kunstwerk aus absichtlich mit einfachen Mitteln zusammengesetzten Holzlatten fällt durch seine „Lücken“ auf und gilt als Kommentar auf die Kunstwelt des Westens - und als Anspielung auf dröge politische Denkmäler.

Der Mensch als Pelztier

Im Bereich der Mode sind es vor allem Arbeiten von Carol Christian Poell, die ins Auge stechen und vielschichtige Interpretationen zulassen. Er entwarf aus einem präparierten Ferkel eine Handtasche und fertigte aus Menschenhaaren - Kustodin Caltik erzählt, dass der Modemacher es auf einer Perückenmesse gekauft hatte - einen Mantel ohne Ärmel und ohne Öffnung für die Arme. Wenn Tiere für uns nur noch Objekte sind - wieso soll man dann keine Ferkelhandtasche herstellen? Weil wir den Blick auf die Form des lebenden Tieres nicht ertragen?

Und wenn Pelzmäntel in Ordnung sind - wieso dann nicht welche aus Menschenhaar herstellen? Der Mantel ist gleichzeitig ein Kommentar auf die Rolle der Frau - die fehlenden Armausgänge stehen für fehlenden Handlungsspielraum. Caltik hat den Mantel getragen und sagt, dass man sich sehr seltsam fühlt, wenn man die Umgebung nur betrachten, aber nicht auf sie einwirken und nichts angreifen kann.

Fetische - vom Stöckelschuh bis zum Smartphone

Das Team für die Ausstellungsgestaltung, Doris Krüger und Walter Pardeller, zieht zusätzlich eine Metaebene ein und reflektiert die Möglichkeiten des Zeigens von Objekten der Sammlung. So werden etwa Stoffmuster dreidimensional als Paravan-artige Skulpturen ausgestellt und das digitale Archiv des MAK in rollbaren, runden Riesenzettelkästen präsentiert - ein weiteres Beispiel ist der bereits erwähnte Regenbogenkasten. Humor spielt dabei eine große Rolle, was sich auch bei einzelnen der ausgewählten Objekte zeigt.

Ausstellungsgegenstand MAK Wien

MAK

Birgit Jürgenssen, „Schuhsessel“, 1974

So treibt der Schuhsessel von Birgit Jürgenssen den Fetisch Damenstöckelschuh auf die Spitze, er ist eine Mischung aus Stuhl und Riesenriemchenschuh. Zu den heutigen Fetischen zählen Smartphones. Thun-Hohenstein sagt, es ist ihm ein Anliegen, auch aktuelle Kommunikationstechnologien zu reflektieren und die Rolle, die sie für unsere Wahrnehmung - nicht nur von Kunst - spielen. Der neue Direktor hat sich viel vorgenommen. Zumindest die Vorschau macht Lust auf mehr Angewandtes. Der Rest wird sich zeigen.

Simon Hadler, ORF.at

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