Leila Hatami im Interview
Das iranische Kino gilt als eines der führenden Autorenkinos - vor allem im Ausland, aber nicht immer gleichzeitig im eigenen Land. Der Oscar-Anwärter „Nader und Simin: eine Trennung“ könnte das ändern. Mit Ashgar Farhadis neuem Film tut sich für iranische Autorenfilmer „ein neuer Horizont“ auf, erzählte Leila Hatami, die Hauptdarstellerin des Films, im Interview mit ORF.at.
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ORF.at: „Nader und Simin“ zeigt vor allem die Mittelschicht der iranischen Gesellschaft und mehr oder weniger den Unterschied zwischen einem aufgeklärten und einem stark religiösen iranischen Ehepaar. Wie nah an der iranischen gesellschaftlichen Struktur ist dieses Drama?
Leila Hatami: Der Film beginnt mit der Geschichte von Nader und Simin, und dazu kommt das andere Ehepaar, das ebenfalls eine wichtige Rolle im Film hat. Im Iran gibt es natürlich beide Versionen des Ehelebens. Gleichzeitig hat Religion einen starken Einfluss auf unsere Kultur. Wir sind religiöse, traditionelle Menschen - auch wenn wir ein modernes Leben führen und auch wenn wir moderne Ansichten und Erwartungen an unseren Alltag haben. Der Großteil der Menschen im Iran ist religiös.
Manche von uns praktizieren ihre Religion. Aber ich würde sagen, dass der Großteil ihre Religion nicht stark praktiziert. Mit dem sozialen Grad in der Gesellschaft hat das starke Praktizieren der Religion nicht unbedingt zu tun. In diesem Film stammt die stark religiöse Ehefrau aus ärmeren Verhältnissen, aber sie könnte auch aus bürgerlichen Verhältnissen oder aus der High-Society stammen. „Nader und Simin: eine Trennung“ mimt aus dieser Sicht keinen dokumentarischen Film, aber es ist ein sehr guter Spielfilm mit einer Geschichte, die unsere Gesellschaft reflektiert.

Pieter Dirkx
Leila Hatami im Interview mit ORF.at
ORF.at: Der Film kommt offensichtlich den gesellschaftlichen Strukturen im Iran sehr nah - vor allem was die Fragen rund um die Religion betrifft.
Hatami: Da ich keine Politikerin bin, bin ich nicht in der Lage und will ich die Rolle von Religion im Iran nicht kritisieren und beurteilen. Als Schauspielerin kann ich auch über die Überzeugungen des Großteils der Menschen im Iran nicht wirklich viel sagen. Aber das, was ich sagen kann, ist, dass dieser Film ein sehr, sehr ehrlicher und aufrichtiger Film ist, und dass er mit Sicherheit keine Show für Menschen von außerhalb, die über die Gesellschaft im Iran nichts wissen, ist oder sein will. Der Film spricht für sich und zeigt das, was er zeigt - und jeder kann sich mit dem Film auf seine Weise vorstellen wie die iranische Gesellschaft ist.
ORF.at: Der Film wirft Fragen der Ethik auf. Loyalität, Wahrheit und Moral spielen eine wesentliche Rolle in der Geschichte des Films.
Hatami: Die Geschichte des Films basiert auf Fragen der Moral und Loyalität. Mit Fragen, die sich Menschen in Beziehungen oft stellen, Fragen die sich so gut wie alle Menschen in ihrem Leben mal stellen. Die Filmsprache ist eine sehr universelle.
ORF.at: Wie haben Sie Ihre Rolle als Simin erlebt?
Hatami: Es war sehr einfach für mich, mit einem guten Drehbuch kann man immer gut arbeiten. Es ist immer einfach, in einem guten Film mitzuspielen. Die Rolle der Simin war für mich als Schauspielerin etwas vollkommen Neues und hat meine Person stark geprägt, aber ich bin natürlich noch immer die gleiche Person, die ich vor 15 Jahren - als ich meine Schauspielkarriere startete - war. Es war toll, Teil dieses Films zu sein und diese Rolle zu spielen. Ich bin glücklich, dass meine schauspielerische Leistung von Kritikern oft gelobt wurde, aber die hervorragende Leistung in diesem Film ist die unseres Regisseurs Farhadi.
ORF.at: Sie gewannen 2011 den Goldenen Bären. Die Reaktionen von Farhadi und Ihnen sowie des Filmteams waren sehr rührend. Man fühlte mit Ihnen das Glück und Ihre Freude mit. Auch die Kritiken für Ihre schauspielerische Leistung sind übereinstimmend ausgefallen: sehr gut. Haben Sie, als Sie den Film zum ersten Mal sahen, solche Erfolge wie den Goldenen Bär und den Golden Globe Award erwartet?
Hatami: Berlin und der Goldene Bär bedeuten uns sehr viel. Wir, die Filmcrew, hatten bei der Reise eine tolle Atmosphäre, wir Frauen waren untereinander, und alle zusammen hatten wir das Gefühl eine Theaterfamilie zu sein. Und irgendwie war ich nicht überrascht, dass wir den ersten Preis gewonnen haben. Es ist einfach ein starker Film, von einem tollen Regisseur wie Farhadi, mit guter Dramaturgie und Text bzw. Dialogen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er die Menschen nicht berührt.
ORF.at: Welche Filme treffen Ihren Geschmack? Welche haben Sie in Ihrer schauspielerischen Sprache, Erziehung und Ihrer Art zu Schauspielern am meisten beeinflusst?
Hatami: Ich bin immer schon den Filmen nahe gewesen. Ich weiß aber nicht ganz genau, welche Filme mich am meisten beeinflusst bzw. fasziniert haben. Aber so wie ich spiele, zeigt vielleicht auch, von welchen Filmen ich am meisten beeinflusst wurde - und auch meinen Filmgeschmack. Als Kind habe ich ständig Filme geschaut. Meine Generation im Iran war überhaupt sehr stark filmverliebt. Zu Hause Filme schauen war eines der wenigen Hobbys, die wir hatten.
ORF.at: Welche iranischen Filmemacher und Filme schätzen und mögen sie am meisten? Und gibt es eine neue Generation von Filmemachern, die Sie besonders schätzen?
Hatami: Filme von Abbas Kiarostami, Dariush Mehrjui, meinem Vater (Ali Hatami) und Naser Taghvai. Ebenso die von Kimiai und Beizai, die in den letzten Jahren sehr geschätzt werden. Die Filme von der Regisseurin Rakhshan Bani-Etemad mag ich auch sehr. Weiter denke ich, dass mit Farhadi ein neuer Horizont für den iranischen Film aufgeht. Wir haben derzeit überhaupt eine gute neue Generation an Regisseuren. Bahram Tavakoli zum Beispiel und andere neue jüngere Filmemacher, die vielleicht noch unbekannt sind, aber die ebenso Chancen haben, international bekanntzuwerden.
ORF.at: In Bezug auf den erwähnten neuen Horizont für den iranischen Film, wo steht da „Nader und Simin: eine Trennung“?
Hatami: Das ist einfach populäres Kino. Die Weise, wie er an den Film herangeht und wie er die Geschichte erzählt, ist eine populäre, eine neue. Das Genre des Films ebenso.
ORF.at: Der Film ist in zwei Kategorien bei den Oscars (für die Nominees) nominiert?
Hatami: Ich bin sehr glücklich über die Nominierung. Ich denke auch, dass wir ganz gute Chancen haben. Es ist ein großer Erfolg für den Film. Der Golden Globe, den wir gewonnen haben, ebenso. Wir sind sehr glücklich darüber.
Das Interview führte Dalibor Manjic, ORF.at
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