„Ernste Lage“ für Viertel der Bevölkerung
Die nicht abreißende Wirtschaftskrise hat in Spanien zwischen 2009 und 2010 über eine Million Menschen in die Armut gestürzt. Das ergab eine Studie der spanischen Vereinigung gegen Armut und soziale Ausgrenzung (EAPN).
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Die zunehmende Arbeitslosigkeit, die mittlerweile in Spanien laut den jüngsten Zahlen einen Rekordstand von fast 23 Prozent erreicht hat, sowie sinkende Gehälter, Einkünfte und Sozialleistungen hätten zwischen 2009 und 2010 rund eine Million Spanier in die Armut gestürzt beziehungsweise an die Armutsgrenze gebracht, so die am Dienstag in verschiedenen spanischen Zeitungen veröffentlichte EAPN-Studie. Damit befänden sich seit Beginn der Wirtschaftskrise 2008 bereits 11,6 Millionen Spanier, rund 25,5 Prozent der gesamten Bevölkerung, in einer wirtschaftlich ernsten Lage.
Auch Mittelmeer-Region mitgerissen
Die finanzielle Situation der von der Wirtschaftskrise betroffenen Personen habe sich im untersuchten Zeitraum besonders in den Mittelmeer-Regionen Katalonien, Murcia und in Andalusien sowie in der Extremadura und in der spanischen Enklave Melilla in Nordafrika verschlimmert. Während Melilla und die Extremadura von jeher zu Spaniens strukturschwächsten Regionen gehören, wurden die touristischen Mittelmeer-Regionen vor allem vom Platzen der Immobilienblase 2008 heimgesucht. Der Bausektor war mit Blick auf Ferienimmobilien einer der wichtigsten Wirtschaftspfeiler in den Küstenregionen.
Arbeitsmarktreform: Generalstreik erwartet
Auch das riesige Sparpaket setzt den Spaniern zu. Die neue Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy von der konservativen Volkspartei (PP) geht anscheinend fest davon aus, dass die für Mitte Februar vorgesehene Arbeitsmarktreform zu einem Generalstreik in Spanien führen wird. Das zumindest erklärte Rajoy am Montag auf dem EU-Gipfel in Brüssel seinem finnischen Amtskollegen Jyrki Katainen.
Rajoy achtete am Rande des Treffens anscheinend nicht auf eine in der Nähe stehende TV-Kamera, die das informelle Gespräch zwischen dem spanischen und dem finnischen Ministerpräsident aufnahm. „Am Freitag haben wir ein Stabilitätsgesetz verabschiedet. Am kommenden Freitag kommt die Reform des Bankensektors und danach die Arbeitsmarktreform, die mir einen Generalstreik einbringen wird“, zitierten spanischen Zeitungen am Dienstag Rajoy aus dem von der TV-Kamera aufgenommenen Gespräch.
Rajoy versucht Kurve zu kratzen
Der seit Mitte Dezember in Spanien regierende Rajoy ging nach seinem ungewollten Ausrutscher in die Offensive und erklärte den spanischen Medien, dass er von einem Generalstreik ausgehe, da das vor zwei Jahren bereits die Reaktion der spanischen Gewerkschaften auf die von der sozialistischen Vorgängerregierung angegangene Arbeitsmarktreform war.
Rajoys sozialistischer Vorgänger Jose Luis Rodriguez Zapatero verabschiedete im September 2010 ein „Gesetz zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“, um neue Jobs zu schaffen. Die Reform sah unter anderem vor, den Kündigungsschutz zu lockern. Die als überhöht geltenden Abfindungen bei Entlassungen sollten ebenfalls gesenkt werden. Im Gegenzug waren die Unternehmen zu mehr Festanstellungen von Langzeitarbeitslosen und Jugendlichen aufgerufen. Zudem sollte nach deutschem und österreichischem Vorbild das System der Kurzarbeit gefördert werden. Die sozialistische Regierung hoffte, damit die hohe Arbeitslosigkeit von rund 20 Prozent reduzieren zu können.
Die beiden großen spanischen Gewerkschaftsverbände CCOO (Arbeiterkommissionen) und UGT (Allgemeine Union der Arbeit) riefen aus Protest gegen die Reform Ende September 2010 zu einem landesweiten Generalstreik auf. Der Aufruf wurde regional und je nach Wirtschaftszweig sehr unterschiedlich befolgt, führte aber dazu, dass die Regierung teilweise in ihren Reformbestrebungen zurückruderte.
Einigung auf Verlegung von Feiertagen
Die neue spanische Regierung will sogar eine noch härtere Arbeitsmarktreform durchziehen. Dennoch könnte Rajoy Glück haben und es nicht zu einem Generalstreik kommen. Denn alle Beteiligten, auch die Gewerkschaften, sehen derzeit den Ernst der spanischen Wirtschaftslage. Bereits in der vergangenen Woche konnten sich Gewerkschaften und der Arbeitgeberverband (CEOE) auf langsamer wachsende Lohnerhöhungen sowie auf eine Verlegung von Feiertagen einigen, um die in Spanien zahlreichen „Fenstertage“ zu reduzieren.
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