Lyriker und Dramatiker
Im Februar 1898 ist in der alten Kaufmannsstadt Augsburg der spätere Dichter und Theatermacher Bertolt (eigentlich Eugen Berthold Friedrich) Brecht als Sohn eines leitenden Angestellten einer Papierfabrik und einer Hausfrau zur Welt gekommen.
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Der „Arbeiterdichter“ hatte in seiner Jugend nie wirkliche Beziehungen zu Arbeiterkindern und mied auch später jeden allzu hautnahen Kontakt zur Masse. Aber seinem großbürgerlichen Elternhaus wollte er bald entfliehen. So werden schon in seinen frühen Gedichten von 1914 - auch unter den Einflüssen von Frank Wedekind - antibürgerliche Tendenzen deutlich.
Das erste Stück „Baal“ (1918) zeigt einen von Trieb besessenen, genusssüchtigen, selbstverliebten und intoleranten Poeten in seiner Rebellion gegen die Spießbürger. Aber dem Werk fehlte nach Brechts späterer Ansicht „Weisheit“, wenn es auch dem Lebensgefühl vieler junger Menschen in jeder Gesellschaftsordnung entsprechen dürfte. Ein bedeutender Künstler wollte er werden, das wusste Brecht schon früh, aber die Boheme war seine Sache zeitlebens nicht.
Sehnsucht nach Erfolg
„Wonach er sich am meisten sehnte, war Erfolg - in der Kunst und bei den Mädchen“, schreibt der Brecht-Biograf Werner Mittenzwei. „Da Brecht immer seine Mitarbeiterinnen zu seinen Geliebten machte bzw. die Geliebten zu Mitarbeiterinnen und sie in beiden Eigenschaften möglichst oft um sich haben wollte, musste er Helene Weigel als Chefin des Berliner Ensembles in eine Lage bringen, die sie nicht anders als deprimierend empfinden konnte“, so Mittenzwei weiter.
In einer Rezension von Mittenzweis Biografie hieß es schon vor zehn Jahren, den von John Fuegi neu entfachten Streit vorwegnehmend: „Brecht war ein Kollektiv. Kaum eines seiner großen Werke hat er allein gemacht.“ Zu dem Kollektiv gehörten Weigel, Elisabeth Hauptmann, Ruth Berlau, Margarete Steffin, Isot Kilian und Käthe Reichel. Manche von ihnen zahlten einen hohen Preis, sei es der einsame Tod oder eine psychische Störung.
1924 nach Berlin
Für das 1922 in München uraufgeführte Kriegsheimkehrerstück „Trommeln in der Nacht“ erhielt der junge Brecht den Kleist-Preis und setzte sich damit als Dramatiker durch. Mit seiner Gedichtsammlung „Hauspostille“ (1927) machte er auf seine bedeutende Begabung als Lyriker aufmerksam, die im Bewusstsein der Öffentlichkeit lange Zeit hinter der als Dramatiker zurücktrat. Dabei ist Brecht einer der folgenreichsten Lyriker des 20. Jahrhunderts.
1924 siedelte Brecht nach Berlin, wo er neben Carl Zuckmayer Dramaturg an Max Reinhardts Deutschem Theater wurde und bald auch Helene Weigel, seine spätere Frau, kennenlernte. Die legendären Goldenen Zwanziger in der Reichshauptstadt waren in ihrer sozialen Widersprüchlichkeit für Brecht Anschauungsmaterial für seine Studien der Nationalökonomie und des Marxismus, dem er sich jetzt verstärkt zuwandte.
Als Folge entstanden Lehrstücke wie „Die Maßnahme“ (1930), „Die Ausnahme und die Regel“ (1931) und „Der Jasager“ (1930). Aber auch „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ mit der Musik von Kurt Weill, mit dem Brecht die „Dreigroschenoper“ erarbeitete und die 1930 im Theater am Schiffbauerdamm, dem heutigen Berliner Ensemble, zu einem sensationellen Erfolg wurde.
Die Emigration
Nach dem Brand des Reichstags in Berlin Ende Februar 1933, den die Nationalsozialisten zum Anlass zur Verfolgung politischer Gegner nahmen, emigrierte Brecht und lebte in den folgenden Jahren in Dänemark, Finnland und den USA.
In der Fremde entstanden seine antifaschistischen und pazifistischen Stücke wie „Mutter Courage und ihre Kinder“ (1941), „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ (1932), „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ (1938) und die Hitler-Parabel „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ (1941). Unter dem Eindruck der 1938 entdeckten Kernspaltung schrieb Brecht das „Leben des Galilei“, eines seiner bedeutendsten Stücke.
Brechts „Episches Theater“
Stücke wie „Mutter Courage“ und „Das Leben des Galilei“ prägten das von Brecht entwickelte Konzept vom „Epischen Theater“. Mit Hilfe des „Verfremdungseffekts“ sollte der Zuschauer vor allem zum Nachdenken über die dargestellten Vorgänge angehalten werden. Eine Berauschung des Publikums durch Emotionen galt es in jedem Fall zu vermeiden. Dass Theater auf besondere Weise auch unterhalten und vergnüglich sein sollte, war zwar ebenfalls Brechts oberste Devise, wurde aber von vielen Regisseuren seiner Stücke seltener beachtet.
Brecht und der real existierende Sozialismus
1947 kehrte Brecht nach Europa zurück und folgte schließlich einer Einladung nach Ost-Berlin. Dort schufen er und Helene Weigel das Berliner Ensemble. In den letzten Lebensjahren geriet der Schriftsteller in einen immer größer werdenden Zwiespalt zwischen der Loyalität zur „kommunistischen Sache“ - in der Partei war er nie - und den immer offenbarer werdenden Widersprüchen. Seine unklare Haltung zum (von sowjetischen Truppen niedergeschlagenen) Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 führte im Westen zeitweise zu einem regelrechten Brecht-Boykott an den Theatern.
Tod eines Herzneurotikers
Am 10. August 1956 brach der Autor die Proben an seinem „Galilei“ ab und starb vier Tage später an einem Herzinfarkt. Er wurde neben seinem Wohnhaus in der Berliner Chausseestraße auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof - wie auch später Helene Weigel - beigesetzt.
Der Herztod des ewigen Herzneurotikers Brecht machte einen Strich durch den letzten Plan des Dramatikers. Geplant war eine „Nationalkomödie“ über den „Ewigen Deutschen“, über jene Person also, die, so Brecht-Biograf Mittenzwei, „stets auf der Suche nach einem Führer ist, der ihn in den Arsch tritt“.
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