Fressen, Liebe, Boxen, Saufen - Moral?
Die Wiener Staatsoper widmet sich traditionellerweise eher dem klassischen Opernrepertoire - das soll nun, geht es nach Direktor Dominique Meyer, anders werden. Und so feierte man am Dienstagabend mit „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Kurt Weill und Bert Brecht eine Erstaufführung - und, so der Opernchef, die „Flucht aus der Traviata-Welt“.
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Stattdessen setzt man nun auf Kapitalismuskritik mit aktuellen Bezügen. In der Brecht-Weill-Oper haben drei flüchtige Straftäter einen Plan fürs schnelle Geld. Leokadja Begbick (Elisabeth Kulman), Fatty (Herwig Pecoraro) und Dreieinigkeitsmoses (Tomasz Konieczny) gründen kurzerhand eine Stadt namens Mahagonny, in der sie Durchreisenden das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Doch so richtig aufzugehen scheint das Konzept nicht - schnell langweilt man sich mit den Huren rund um Jenny Hill (Angelika Kirchschlager) und die Preise für die dekadenten Zerstreuungen verfallen. Zu viele Verbotstafeln, zu wenig Abwechslung drohen die paradiessuchenden Geldbringer wieder weiterzutreiben.

Wiener Staatsoper/Michael Poehn
„Vor allem aber achtet scharf, dass man hier alles dürfen darf“
Eine Stadt, in der man „alles dürfen darf“
Erst als die Stadt von einem bedrohlich knapp vorüberziehenden Hurrikan verschont wird, steigert sich die Vergnügungssucht ins Zerstörerische. Das neue, von Holzfäller Jimmy Mahoney (Christopher Ventris) eingeführte Konzept: Der Mensch darf in Mahagonny jetzt alles - fressen, lieben, stehlen, rauben, schänden -, solange die Bezahlung stimmt.
Die Stadt wird zu einem Hort der Hoffnungslosigkeit, und das vermeintliche irdische Paradies stellt sich als das reinste Sodom und Gomorrha heraus - dem auch das Schicksal der biblischen Städte nicht erspart bleibt.
Theaterskandal bei Uraufführung
Was passiert mit einer Gesellschaft, die alles erlaubt? Mit ihrer provokanten Oper lösten Brecht und Weill bei der Uraufführung 1930 in Leipzig einen der größten Theaterskandale des 20. Jahrhunderts aus. Selten zeigte sich ein Premierenpublikum so gespalten - es hagelte Buhrufe, Pfiffe, aber auch Applaus und Jubel, bis sich im Parkett regelrechte Handgemenge entwickelten. Vor dem Theater randalierten zudem die Nationalsozialisten, die zu Störaktionen aufgerufen hatten.
Mit der Verarbeitung der Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise 1929 hatten Brecht und Weill den Nerv der Zeit getroffen. Und auch wenn das Thema zeitlos gültig ist - Brechts Entlarvung der Verlogenheit einer in sich maroden Gesellschaft in Zeiten von Bankenskandalen und in der Finanzkrise kollabierenden Staaten ist aktueller denn je.
„Alabama Song“ von Doors bis Marilyn Manson
Genauso zeitlos ist Weills Musik. Was die „Moritat von Mackie Messer“ für die „Dreigroschenoper“ ist, ist der „Alabama Song“ für „Aufstieg und Fall der Stadt Magahonny“. Vielfach gecovert - unter anderem von den Doors, David Bowie und Marilyn Manson - ist das Lied mit der bekannten Textzeile „Oh show us the way to the next whisky bar“ längst unabhängig von der Oper ein Klassiker.

Wiener Staatsoper/Michael Poehn
„Wenn einer tritt, dann bin ich es - und wird einer getreten, bist du’s“
Doch auch abseits der unbestreitbaren Schlagerqualität einzelner Nummern der „Mahagonny“-Musik ist Weills Komposition teils aggressiv - aber hauptsächlich voller Witz gespickt mit ironischen musikalischen Zitaten von Bach bis Verdi.
Musikalisch geglückter Abend
Dirigent Metzmacher führt das Orchester der Wiener Staatsoper routiniert und mit hervorragend sitzenden Tempi durch das Stück und verbindet die Qualitäten des Hausorchesters mit Bravour mit jenen der Weill-Kompositionen. Auch die Besetzung der Inszenierung ist großteils geglückt. Heldentenor Ventris beeindruckt mit seiner starken und klaren Stimme, aber auch Kulman und Clemens Unterrainer lassen dank solider stimmlicher Leistung wenig zu wünschen übrig. Musikalisch doch leicht hinter den Erwartungen blieb Kirchschlager, die jedoch rein schauspielerisch trotzdem eine gute Jenny Hill gab.
Was Metzmacher mit der Umsetzung am Dirigentenpult gelungen ist, dem kann die Inszenierung nicht folgen. Deschamps bleibt zwar in vielfacher Hinsicht dem epischen Theater, an dessen Definition und Entwicklung Brecht während der Entstehung der Oper intensiv arbeitete, treu, durch seine statische Inszenierung regt er das Publikum aber nicht unbedingt zum Nachdenken an. Von inhaltlich motiviertem Erkenntnisgewinn im Zuschauerraum ganz zu schweigen.
Hinweis
„Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ ist am 27. und 30. Jänner sowie am 2. und 5. Februar jeweils um 19.30 Uhr in der Wiener Staatsoper zu sehen.
Faschingsparty der Kostüme
Im Vergleich zur reduziert-langweiligen Inszenierung kommt die Oper rein optisch ziemlich kunterbunt daher: Die Kostüme von Vanessa Sannino erinnern stark an überzeichnete Faschingskostüme, von knallfarbigen, schrillen Kleidern, Kostümen, Perücken und Hüten bis zum karnevalesk-schwarzen Trauerflor fürs Schlusstableau.
Denn am Ende wird die nur vermeintlich perfekte Stadt, „in der man alles darf“, zu Grabe getragen. Mit dem Vorhang regnete es viel Applaus für Sänger, Dirigent und Orchester - nur die Regie musste sich am Premierenabend unüberhörbare Buhrufe anhören.
Sophia Felbermair, ORF.at
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