Crewmitglied verteidigt Kollegen
Bereits unmittelbar nach dem Unglück auf der „Costa Concordia“ ist Unmut der geretteten Passagiere über das Verhalten der Bordcrew laut geworden. Nun gibt es auch Kritik in die umgekehrte Richtung: Das Verhalten vieler Passagiere sei katastrophal gewesen, sagte ihrerseits eine Wienerin, die während des Unglücks auf dem Schiff im Dienst war.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
„Wie sich die Passagiere teilweise verhalten haben, war eine Katastrophe. Anweisungen der Mitarbeiter wurden nicht befolgt“, sagte die „Costa“-Mitarbeiterin Marie Bulgarini gegenüber der APA. Sie hatte seit Ende November als „International Hostess“ auf dem Schiff gearbeitet. „Die Crew hat sehr gut zusammengeholfen. Sobald die Anweisung zur Evakuierung kam, wurden die Passagiere sehr schnell evakuiert“, erzählte sie aus ihrer Sicht.
„Plötzlich hat das ganze Schiff gewackelt“
„Ich war gerade im Büro auf Deck fünf, als das Schiff eine scharfe Rechtskurve machte und in Schräglage geriet“, so die 23-jährige Wienerin. Das komme aber öfters vor, die Reisebegleiterin habe sich dabei nichts gedacht. „Plötzlich hat das ganze Schiff gewackelt und vibriert, die Kästen gingen auf, und alles fiel heraus, das Licht begann zu flackern, und wir hatten ein Blackout, also Stromausfall.“
Sie ging daraufhin nach eigenen Angaben sofort hinauf zur Brücke auf Deck acht. „Wie alle anderen ‚internationalen Hostessen‘ habe ich dann die erste Durchsage (in der jeweiligen Muttersprache, Anm.) gemacht.“ Vorerst war nur die Rede von Problemen mit den Generatoren. „Auch wir wussten bis zur Evakuierung nicht, was wirklich passiert war. Dass der Riss 70 Meter lang war, war uns nicht bekannt. Wir hörten nur von einem Loch.“
Verweis auf 4.000 Gerettete
In der Folge habe sie noch zwei Durchsagen gemacht, um die Passagiere zu beruhigen, sagte Bulgarini. „Die vierte Durchsage kam dann direkt vom Kapitän: ‚Abandon ship‘ (Schiff verlassen).“ Sie sei dann „sofort hinunter zum vorgeschriebenen Treffpunkt der Crew auf Deck drei“ gegangen. Die Passagiere seien „in Panik gewesen. Für sie ist der Treffpunkt für die Evakuierung auf Deck vier. Viele Passagiere wurden zu diesem Zeitpunkt schon mit den Rettungsbooten evakuiert. Nachdem das Schiff bereits schräg lag, haben wir die restlichen Passagiere vom oberen Deck auf Deck drei geleitet, damit sie direkt von dort die Rettungsboote besteigen konnten.“
Die Kritik der Passagiere an der Crew kann sie nicht nachvollziehen. „Zumindest jene Crewmitglieder, die ich beobachten konnte, haben sehr gut zusammengeholfen. Ich habe selbst gesehen, wie einige Offiziere ins Wasser gesprungen sind, um Passagiere zu retten. Wir konnten innerhalb kürzester Zeit mehr als 4.000 Menschen evakuieren.“
Klage über rücksichtslose Passagiere
Außerdem seien alle Schiffsmitarbeiter gut ausgebildet, so Bulgarini. „Alle Crewmitglieder besitzen ein BST-Zertifikat (Basic Safety Training, Anm.). Wir müssen regelmäßig Sicherheitstrainings absolvieren, um uns für solche Katastrophen vorzubereiten.“ Nachsatz: „Mit einem Training kann man so ein Unglück allerdings nicht vergleichen. Es ist natürlich eine komplett andere Situation.“
Das Verhalten vieler Gäste hat Bulgarini als „katastrophal“ in Erinnerung. „Viele haben auch während der Evakuierung ihre Handys hochgehalten und gefilmt und fotografiert, sind uns somit teilweise wirklich im Weg gestanden und haben damit die Räumung des Schiffs behindert. Andere haben sich unseren Anweisungen widersetzt. Egal ob Frauen oder Kinder da waren, manche Touristen haben sich rücksichtslos durch die Menge geboxt, um als Erste im Boot zu sein.“
Das bestätigte auch die Tirolerin Bettina Weger, die als Kinderanimateurin auf der „Costa Concordia“ tätig war. Als der Alarm ging, betreute sie fünf Kinder. „Beim Einsteigen in die Rettungsboote stießen Männer die Kinder zur Seite“, berichtet die 19-Jährige - mehr dazu in oesterreich.ORF.at
„Ich war eine der letzten“
Bulgarini habe sich laut eigenen Angaben um insgesamt vier Boote gekümmert, bis alle Passagiere von Deck drei und vier gerettet waren. Einmal habe sie selbst als Begleitung in einem Rettungsboot auf die Insel Giglio übergesetzt, sei dann aber zur havarierten „Costa Concordia“ zurückgekehrt, um weitere Passagiere, die von der anderen Schiffsseite kamen, einzuweisen.
„Die Boote waren knallvoll, teilweise sind die Passagiere auch in der Mitte gestanden. Zum Schluss bin ich selbst schon gut fünf Zentimeter im Wasser gestanden. Die Passagiere konnten direkt vom Deck ins Rettungsboot umsteigen. Das Schiff war bereits so in Schräglage, dass sich alle gegenseitig gehalten haben, um nicht über Bord zu gehen“, schilderte die Österreicherin. „Ich war eine der Letzten, die das Deck verlassen haben.“
Crewmitglied verteidigt Kapitän
Auf der Insel hätten sich auch die Einwohner um die Passagiere gekümmert. „Sie haben Decken und Kleidung gebracht, es war ja sehr kalt“, sagte Bulgarini. „Am Pier haben sich dann auch viele Gäste bei den Crewmitgliedern bedankt.“ Bis Samstagmittag sei sie im Dauereinsatz gewesen und habe „wie all meine Arbeitskollegen alles zurücklassen müssen, wir haben uns nur um die Rettung der Passagiere gekümmert“. Auch Kapitän Francesco Schettino nimmt die Wienerin in Schutz.
„Dass der Kapitän als einer der Ersten das Schiff verlassen hat, kann ich nicht glauben. Vielleicht ist er so wie ich mit einem Rettungsboot auf die Insel übergeschifft, dann aber wieder auf die ‚Costa Concordia‘ zurückgekehrt, um weiter bei der Evakuierung zu helfen. Ich habe ihn in den Morgenstunden am Pier gesehen, wo alle Rettungsboote ankamen“, sagte Bulgarini. „Ich habe den Kapitän als gut organisierten, kompetenten Menschen kennengelernt. Warum wir so nahe an die Insel gefahren sind, weiß ich nicht.“
Bulgarini zeigte sich selbst erstaunt darüber, wie ruhig sie während des Unglücks geblieben sei. „Vielleicht war das auch deshalb, weil die Insel sichtbar und so nahe war.“ Nach den schlimmen Ereignissen möchte sie sich bei ihrer Familie erholen. „Ich glaube aber, dass ich zurück aufs Schiff gehe.“
Link: